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Brettspiel-Review: Alien – Das Rollenspiel

Am Spieltisch hört dich niemand schreien ...

Mit Alien – Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt erschien 1978 ein SciFi-Film, der auch über 40 Jahre später zu den wichtigsten Titeln des Genres gehört. Wie es sich für einen solch einflussreichen Film gehört, inspirierte er auch allerhand andere Medien – von Romanen und Comics über Crossover in diversen Medien bis hin zu Video- und Brettspielen gibt es allerhand Alien-Material. Jüngstes Mitglied im Bunde: ein Pen&Paper-Rollenspiel, entwickelt von Free League (Mutant: Year Zero). Wir sind mit unserer Party ins Grauen von Alien – Das Rollenspiel hinabgetaucht.

Zum Spielen benötigt ihr nur das Regelbuch (und beliebige Würfel). Aber es gibt natürlich eine Menge zusätzliches Material zu kaufen.

Jedes Unternehmen braucht seine Mu/th/ur

Wer schonmal ein Pen&Paper-Rollenspiel wie beispielsweise Das Schwarze Auge oder natürlich Dungeons & Dragons gespielt hat, kennt das grundlegende Spielprinzip – für alle anderen hier eine kurze Erklärung der Spielidee in diesem Genre: Die Spieler am Tisch (oder auch virtuell – gerade Rollenspiele lassen sich z.B. über Videochats gut spielen) schlüpfen in die Rolle eines Charakters, den sie in der kommenden Geschichte übernehmen. Dieser wird einerseits durch seinen Charakterbogen definiert, auf dem die wichtigsten Eigenschaften und Kenntnisse der Figur notiert sind, andererseits erwacht er erst durch den Spieler zum Leben, denn dieser gibt ihm eine Persönlichkeit, eine Stimme und bestimmt seine Aktionen (deren Gelingen in wichtigen Fällen oft durch Proben auf die Charakterwerte festgestellt wird). Die einzige Ausnahme von dieser Regel ist der Meister (im speziellen Fall in Anlehnung an den Bordcomputer der Nostromo Mu/th/ur, gesprochen „Mutter“, genannt): Er ist der Erzähler der Geschichte, reagiert auf die Entscheidungen der anderen Spieler, übernimmt die anderen Charaktere der Geschichte (NPCs, Non-Player-Character), spielt die Feinde und kennt als einziger die Story des Abenteuers. Denn während die anderen auf alles, was ihnen entgegengeworfen wird, reagieren, kennt er das Ziel und den Weg dorthin – was nicht heißt, dass man nicht trotzdem oft genug improvisieren muss, da das Spiel vollständig (bis auf gelegentliche Visualisierungen, wie sie z.B. im Kampf nützlich sein können) in der Fantasie der Spieler stattfindet und diese oft unerwartete Lösungen finden.

Artworks wie dieses sorgen dafür, dass die Regeln nicht nur eine Textwüste sind.

Luftig leichter Horror

In Sachen Regelwerk gehört Alien – Das Rollenspiel zu den Leichtgewichten. Wo andere Regelsysteme ganze Regale füllen, habt ihr hier mit dem Basisregelbuch schon alle Informationen, um loszulegen. Die knapp 400 Seiten des Regelbuchs decken alle Regeln ab und bieten zusätzlich Informationen nur für den Spielleiter und ein Einstiegsabenteuer, das euch nach Hadley’s Hope (den Schauplatz von Aliens) bringt. Und tatsächlich könnte man das Regelwerk noch knapper gestalten, denn einerseits liefert das Buch eine Menge Zusatzinfos über die Welt (zum Beispiel konkurrierende politische Gruppierungen), die man für viele Szenarien gar nicht brauchen wird (und über die Inhalte der Filme hinausgehen), andererseits lässt man sich auch beim Layout Platz. Das sorgt zwar für mehr Blättern, liest sich aber angenehmer.

Aber auch auf anderer Ebene gibt sich Alien im Vergleich zu anderen Spielen eher luftig: Man beschränkt die Regeln und das System auf einige Grundprinzipien, die schnell erklärt sind – auch die einzelnen Charaktere finden auf einem einzelnen Charakterblatt locker Platz. Unzählige Talente, die man fast nie zum Einsatz bringen kann, braucht dieses System nicht. Es gibt vier Attribute (wie Stärke oder Empathie), insgesamt zwölf jeweils von einem Attribut abhängige Fertigkeiten sowie spezielle Skills aus dem entsprechenden Pool eurer Klasse – von einem eigenen Bogen nur für eure Talente wie in anderen Systemen ist man hier weit entfernt. Das erlaubt euch auch, sehr schnell einen neuen Charakter zu erstellen – und das ist natürlich eine gute Idee, denn man wäre meilenweit von der Vorlage entfernt, wenn man sich zu sehr an seine Spielfigur gewöhnen könnte. Eher im Gegenteil: Blutige Tode sind fast vorprogrammiert.

Auf diesem Charakterbogen könnt ihr alle nötigen Informationen über euren Helden unterbringen

Wie im Kino – oder wie im Rollenspiel?

Tatsächlich muss man das aber ein wenig einschränken, denn Alien setzt auf zwei sehr verschiedene Spielweisen: Einerseits den Kampagnen-Modus, in dem man auf klassische Art und Weise seinen Charakter erstellt, durch mehrere Abenteuer führt und wo er auch an seinen Erfahrungen wachsen kann. Hier wird allerdings empfohlen, das weite Alien-Universum für weniger tödliche Storys abseits der Xenomorphs zu nützen (das Buch hat dafür auch ein paar Vorschläge) und das klassische Alien für das große Finale der Kampagne zu nutzen. Andererseits gibt es den sogenannten Szenarien einen „cinematischen“ Modus, der sich klar an den Filmen orientiert: Hier spielt ihr (bei fertigen Abenteuern vorgegebene) Charaktere, an die ihr euch lieber nicht gewöhnen solltet, da die Wahrscheinlichkeit, dass sie ihre unheimliche Begegnung der dritten Art überstehen, recht gering ist. Deshalb gibt es hier auch anders als in vielen anderen Systemen keine Fixierung auf die Erfahrung der Charaktere, sondern Boni für gutes Rollenspiel der Spieler selbst, die man in folgenden Abenteuern einsetzen kann.

Mit Karten wie diesen könnt ihr im Kampf die Reihenfolge und bereits absolvierte Aktionen tracken. Unbedingt nötig ist diese Investition aber nicht.

Ein Spiel für Charaktertypen

Wie schon gesagt ist Alien – Das Rollenspiel ein regeltechnisches Leichtgewicht – dafür legt es umso mehr Fokus auf das Rollenspiel. Das beginnt schon damit, dass es wirklich strikt notwendig ist, Spieler- und Charakterwissen zu trennen. Als Alien-Fans wissen wir natürlich, dass es eine schlechte Idee ist, mit komischen Eiern zu interagieren, dass die Xenomorphe Säureblut haben und dass es wohl nichts bringt, einfach ein Nest zu stürmen – wie oft haben wir die Charaktere auf der Leinwand angeschrien, dass sie sich doch bitte vernünftig verhalten sollen? Aber unsere Spielcharaktere wissen das oft nicht und bringen keine Erfahrung mit diesen seltsamen Wesen mit – und deshalb müssen wir sie auch anhand ihrer Charaktere und Motivationen spielen. Das bringt uns aber auch ein wenig zum Pferdefuß des ganzen Rollenspielprojekts: Natürlich sind die Xenomorphs der wichtigste Grund, dieses Spiel zu spielen, aber gleichzeitig nutzt sich das Prinzip „eine Gruppe unbedarfter Menschen trifft auf das berühmte Alien“ irgendwann ab. Die Lösung dafür kann natürlich sein, sich als Meister neue, ähnlich grauenvolle Kreaturen auszudenken und die Spieler zu überraschen, das Spiel liefert dafür aber relativ wenig Material. Selbst die Neomorphs (Alien: Covenant) und die Konstrukteure werden schon recht kurz abgehandelt, weitere Bedrohungen nur kurz erwähnt, nur für die diversen Xenomorphe gibt es ausführliche Infos bis hin zur Wüfeltabelle, die im Kampf das Alien unberechenbar machen soll. Hier sollten sich die Macher für die Zukunft weiteres Material überlegen.

Wir haben vorhin schon die Motivation der Charaktere erwähnt – und die ist tatsächlich spielentscheidend, denn jeder Charakter hat seine eigenen Beweggründe, denen er folgen möchte und die sich im Laufe seines Lebens und sogar innerhalb des Abenteuers ändern können. Dass die anderen Spieler diese Motivation nicht kennen, sorgt für zusätzliche Spannung am Spieltisch. Ist der Android wirklich auf unserer Seite? Hat der Vertreter von Weyland-Yutani tatsächlich unser Ãœberleben im Sinn oder folgt er nur Konzerninteressen? Hat jemand einen Verräter eingeschleust? Gutes Rollenspiel wird auch daran gemessen, diesen Zielen zu folgen und sie gekonnt ins Spiel einfließen zu lassen. Eher geradeheraus noch ein letzter Parameter: Jeder Spieler hat einen besten Freund und einen Widersacher innerhalb der Gruppe. Auch das sorgt wenn es gut gespielt wird für Spannungen, sodass oft weniger die tatsächlichen Begegnungen mit den Xenomorphen eine Gefahr für die Gruppe darstellen als die Konflikte, die innerhalb der Gruppe ausbrechen. Hier sind also die Rollenspieler gefragt, die ihre Rollen verkörpern – und gerade mit vorgegebenen Charakteren gehört manchmal auch ein wenig Lust dazu, in eine andere Rolle einzutauchen und Meinungen und Interessen zu vertreten, die man sonst nie in einem Charakter spielen würde.

Optional gibt es zwei Würfelsets (hier zu sehen: die Stresswürfel). Allerdings ist der Preis dafür nach unserem Empfinden ein wenig happig – genügend Sechsseiter aus der Brettspielsammlung tun es auch.

Stress Pur

Die schon erwähnten Spannungen und das Grauen im Dunkel haben aber auch eine regeltechnische Repräsentation – Stress. Und so wie im echten Leben ist Stress auch hier nicht nur etwas Negatives: Er kann uns zu Höchstleistungen anspornen, aber irgendwann wird es zu viel und wir knicken darunter ein. Wie sieht das im Spiel aus? Dafür sollten wir zunächst das Prinzip der Proben erklären: Alien setzt auf ein Dice-Pool-System, bei dem ihr bei einer Probe eine passende Anzahl von sechsseitigen Würfeln werfen müsst. Stellt euch vor, ihr wollt in einer recht entspannten Situation einen Computer hacken. Die entsprechende Fähigkeit hört auf den Namen Comtech, das zugrundeliegende Attribut ist Verstand. Hat unser Charakter nun zum Beispiel zwei Punkte in Comtech und drei in Verstand, dürfen insgesamt fünf Würfel geworfen werden. Damit die Probe gelingt, muss mindestens ein 6er fallen, gibt es weitere, können positive Zusatzeffekte eintreten. Alle anderen Würfelwerte sind irrelevant.

Jetzt stellen wir uns dieselbe Situation in einer kritischen Situation vor: Unser Charakter hat dem Grauen ins Gesicht geblickt und wird von Aliens verfolgt – sein Stresslevel ist dementsprechend hoch und hat fünf erreicht. Will er in dieser Situation den Computer hacken, muss er zu den schon erwähnten fünf Würfeln weitere fünf aufgrund des Stresslevels dazu geben; das erhöht natürlich die Chance auf mindestens einen 6er gewaltig, birgt aber auch ein Risiko: Zeigt mindestens einer der durch den Stress hinzugefügten Würfel (die deshalb entweder farblich klar erkennbar sein oder separat gewürfelt werden müssen) einen 1er, muss ein Panikwurf abgelegt werden, der Effekte von harmlos bis potenziell fatal bedeuten und eventuell das gesamte Überleben der Gruppe gefährden kann. Aber gut, niemand hat gesagt, dass das Sterben in einer Runde Alien nicht omnipräsent ist …

Pros and Cons

+ schnell zu begreifende Regeln
+ Filmflair gut getroffen
+ gute Ideen für Rollenspiel am Spieltisch

– irgendwann werden Xenomorphe als Gegner langweilig

Fazit

Wertung

Alien – Das Rollenspiel ist ein Rollenspielsystem, das einen interessanten Spagat schafft: Einerseits regeltechnisch so einfach, dass man es schnell erlernen kann (vor allem, wenn man andere Rollenspiele und insbesondere andere Dice-Pool-Systeme kennt); andererseits stellt es Meister (für das Erschaffen der richtigen Space-Horror-Atmosphäre) und Spieler (das optimale Verkörpern ihrer Rolle mit allen dazugehörigen Elementen) vor einige Herausforderungen, die Gruppen mit Erfahrung sicher besser meistern werden. Das darf man Alien allerdings nicht zum Vorwurf machen – es sorgt einfach nur dafür, dass sich die Abenteuer tatsächlich wie die Filme anfühlen, man sich nie sicher sein darf, dass die Gruppe wirklich an einem Strang zieht und der Tod aufgrund von inneren und äußeren Faktoren omnipräsent ist. Wenn es einen Haken gibt, dann wohl jenen: Wer sich immer nur auf Begegnungen mit Xenomorphs stürzt (auch wenn es hier natürlich allerhand Evolutionsstufen gibt), wird das Spielprinzip bald ein wenig ausgelutscht haben – wie oft will man einen Charakter spielen, der mehr oder weniger unbedarft mit den Aliens konfrontiert wird? Auf Dauer ist der Meister gefragt, sich andere Herausforderungen, die nicht weniger grauenvoll sind, auszudenken, was aber irgendwie dem, was man sich unter dem Namen "Alien" vorstellt, dann wieder weniger entspricht. In unserer Spielgruppe stellt sich deshalb jetzt schon heraus: Alien hat nicht das Potential, DSA als unser Haupt-Rollenspiel abzulösen – aber für ein schnelles Szenario zwischendurch, wenn wir Fantasy mit Space Horror ersetzen wollen, werden wir es wohl immer wieder herauskramen.

Genre: Rollenspiel
Verlag: Free League, Ulisses
Spieleranzahl: ab 3 Spielern
Alter: ab 12 Jahren
Spieldauer: je nach Abenteuer
Preis: ca. 50 Euro

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Florian Scherz

Bereits früh entwickelte Florian zwei große Leidenschaften: Videospiele und Theater. Ersteres brachte ihn zu einem Informatikstudium und zu Jobs bei consol.MEDIA und Cliffhanger Productions; zweiteres lässt ihn heute (unter anderem) als Schauspieler, Regisseur, Komponist und Lichtdesigner arbeiten. Wenn er gerade keine Musicals inszeniert, spielt oder schreibt, vermisst er auf Shock2 Videospiele von anno dazumal in seiner Blog-Reihe "Spiele, die ich vermisse".

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