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Spiele, die ich vermisse #19: Half-Life

Diese Woche war es also soweit und der ultimative Gaming-D-Day brach an: Call of Duty: Black Ops II kam in den Handel. Für etliche Spieler ist der Titel wohl DER Grund schlechthin, sich eine Gaming-Maschine zuzulegen – und für manchen sogar der einzige. Mir persönlich ist der Titel – abgesehen von professionellen Gründen – allerdings reichlich egal. Ich ärgere mich höchstens darüber, dass sich die Spielewelt so sehr gewandelt hat, dass Shooter für die Masse der Gipfel des Spielerlebnisses sind und andere Genres in ihrem Schatten stehen. Das hängt natürlich damit zusammen, dass ich kein Shooter-Spieler bin und privat um diese Titel eher einen Bogen mache. Das heißt allerdings nicht, dass ich nie Shooter gespielt habe (auch wenn es manchmal den Eindruck macht); es gab eine Zeit, als ich Wolfendstein 3D, Duke Nukem (3D, nicht Forever), Doom, Quake und allerhand andere Titel gern gespielt gespielt habe. Hurra-Patriotismus, kurze Single-Player-Kampagnen und der Fokus auf immer bessere Optik und mehr Explosionen statt einer gute Story vergällten mir das Genre allerdings sukzessive – mal abgesehen davon, dass ich nie besonders GUT in diesen Spielen war. Ein weiterer Gegenbeweis: Ein Spiel, das ich regelmäßig (und heute in diesem Blog) vermisse, ist tatsächlich ein Shooter. Sein Name? Half-Life.

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Wer mich gut kennt, ahnt vielleicht, warum es gerade dieses Spiel war, das mich vor den PC fesseln konnte (denn es ist tatsächlich einer der wenigen, die ich durchgespielt habe): In Half-Life wurde die Story großgeschrieben und nebenbei packend inszeniert. Ihr schlüpft in die Rolle von Gordon Freeman, ein theoretischer Physiker, der in der Black Mesa Research Facility arbeitet. Schon die Credits waren dabei spektakulär inszeniert, denn während Gordon mit dem Tram-System tiefer und tiefer in den Komplex fährt (und sich dabei innerhalb der Kabine bewegen kann – generell gibt es hier keine blanken Zuseh-Cutscenes, sondern alles wird aus eurer Sicht samt entsprechender Kontrolle präsentiert), sieht man nicht nur, wer an dem Spiel mitgearbeitet hat, sondern erfährt so nebenbei, wie groß hier alles ist, und sieht Locations, die man später betreten kann. Knapp darauf schlüpft ihr auch schon in euren Schutzanzug und beginnt mit der Arbeit an einem Experiment, das natürlich prompt gehörig schiefgeht: Der Scan eines unnatürlichen Materials resultiert in einer Verbindung zwischen der Alien-Welt Xen und unserer Welt, einer Ohnmacht Freemans und – wie er feststellt, sobald er das Bewusstsein wieder erlangt hat – einem Angriff der Aliens, der nicht nur Black Mesa schwer beschädigt, sondern auch etliche Opfer gefordert hat. Da darüber hinaus die Kommunikation abgeschnitten ist, muss er sich selbst auf den Weg nach draußen machen – mit allen Gefahren, die auf ihn warten.

Gordon Freeman ist kein Soldat und auf diese Reise nicht besonders gut vorbereitet, was besonders die ersten Minuten nach dem Vorfall sehr spannend macht. Zwar haben wir unseren Schutzanzug, der uns zumindest nicht ganz so anfällig für Verletzungen macht, aber bewaffnet sind wir zu Beginn gar nicht – beunruhigend, wenn man sich ansieht, wie es in der ganzen Anlage aussieht und man ständig befürchtet, dass irgendwoher ein Gegner auftaucht; erst ein wenig später erhalten wir unsere erste Waffe – das berühmt/berüchtigte Brecheisen, mit dem wir uns gegen Headcrabs (die kleinen Aliens erinnern nicht nur vom Aussehen, sondern auch vom Verhalten her an die Alien-Facehugger) wehren können. Bevor allzu starke Gegner auftauchen, bekommen wir aber zumindest mal die Pistole in die Hand gedrückt – die richtig mächtigen Wummen lassen aber natürlich länger auf sich warten. Unsere Gegner sind aber nicht nur Aliens, sondern auch das Militär; die Hilferufe, die nach draußen gelangten, sorgen nämlich nicht für das Eintreffen von Hilfe, sondern für Soldaten, die eine Vertuschungsaktion einleiten und deshalb alles Leben in Black Mesa ausrotten sollen. Ganz ohne Hilfe ist Gordon allerdings nicht: Wissenschaftler und Sicherheitstruppen greifen unserem Helden immer wieder kurzfristig unter die Arme bzw. ermöglichen es ihm überhaupt erst, voranzukommen. Die Hauptarbeit – sei es das Ausschalten von Aliens oder gar Kämpfe gegen Hubschrauber – bleibt allerdings dennoch an uns hängen. Das sorgt allerdings auch für Abwechslung, denn die Levels stellen uns immer wieder vor neue Herausforderungen. Ob wir einen Satelliten starten müssen oder Tentakel, die eine Raketentestanlage als Brutstätte auserkoren haben, abfackeln müssen: Die Aufgaben sind vielseitig und verdecken die bisweilen arg schlauchigen Levels durch geschickte Tricks und gekonntes zurückführen zu bekannten Punkten. Nach den endlosen Korridoren und Besuchen auf der Oberwelt geht es zum Abschluss auch noch nach Xen, wo wir die Alien-Gefahr an der Wurzel ausrotten sollen. Oh, und dann gibt es da noch den mysteriösen G-Man, ein Mann im schwarzen Anzug und mit mysteriöser Agenda, der uns immer wieder beobachtet und uns am Ende eine entscheidende Frage stellt und uns damit (bei der richtigen Antwort) einen ordentlichen Cliffhanger beschert …

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Half-Life war das Erstlingswerk von Valve, die für das Spiel auf die Quake-Engine zurückgriffen, diese im Endeffekt allerdings so heftig modifizierten, dass angeblich 70 Prozent des Codes neugeschrieben wurden. Auch sonst orientierte man sich an id-Titeln (so wollte man zum Beispiel das Grusel-Flair von Doom einfangen) – kein Wunder, war doch damals id das Maß aller Shooter-Dinge . Generell war das ganze Team ambitioniert, aber nicht besonders erfahren mit Spieleentwicklung, was für so manche Verzögerung und Planlosigkeit sorgen sollte. Gabe Newell war zum Beispiel vor der Gründung von Valve Angestellter von Microsoft und Produzent der ersten drei Windows-Versionen. Aber alle Mitarbeiter hatten eine Vision: Man wollte das Shooter-Genre wieder interessanter machen; zu diesem Zeitpunkt setzte der Trend ein, dass Shooter zu Schießbuden ohne viele Inhalte verkamen, eine Kampfarena nach der anderen. Half-Life sollte diesem Trend entgegenwirken und Welten und Charaktere erschaffen. Sierra On-line nahm das Studio schließlich unter Vertrag und trat als Publisher auf, genauso wie bei den Add-ons, die beide von Gearbox entwickelt wurden und parallel zur Haupthandlung spielten: In Opposing Force wurdet ihr zu einem Soldaten, der Black Mesa „säubern“ sollte, während ihr in Blue Shift zu Barney wurdet, also einem Mitglied des Sicherheitspersonals, der Wissenschaftler nach draußen eskortieren wollte. Gearbox waren es auch, die Half-Life auf die PS2 brachten.

Als Half-Life released wurde, ging das Phänomen gehörig an mir vorbei; ich beschäftigte mich gerade mit Rollenspielen, Strategietiteln und Adventures und hatte damit meine spielerische Zeit mehr als ausgefüllt (irgendwo musste ja auch noch Platz für die Schule sein); Shooter gab es nur ab und zu im Multiplayer (ich hatte tatsächlich ein Netzwerkkabel über das Vordach zu meinem Nachbarn gelegt, damit Multiplayer-Matches (aber auch hier vor allem Strategietitel) möglich waren … ach, die Erinnerungen). Eben dieser Nachbar war es, der eines Tages (als einziger aus meinem Freundeskreis hatte er das nötige Kleingeld für regelmäßigen Spielenachschub – aber gut, er war auch der einzige Lehrling in einem Kreis von Schülern) Half-Life anschleppte. Was heute Let’s Plays sind, war damals gemeinsam mit Kumpels im Zimmer zu sitzen und sich gegenseitig beim Zocken zuzusehen. So bekam ich zwar nicht das gesamte Spiel, aber doch etliche Teile davon zu sehen, bevor ich das erste Mal selbst Hand anlegte. Aber das Interesse war definitiv da und hatte gnadenlos zugepackt – nach dem ersten selbst gespielten Abschnitt wollte ich einfach das Ende sehen. Ich muss allerdings an diesem Punkt auch zugeben, dass anders als viele andere Titel Half-Life mein Interesse nicht grenzenlos halten konnte. Irgendwann mittendrin gab es einen Punkt, wo ich das Spiel eine Weile lang zu den Akten legte (auch wenn ich es im Endeffekt dann doch durchgespielt habe). Und auch ein erneuter Anlauf endete nach wenigen Levels.

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Was allerdings definitiv dabei half, das Spiel in Erinnerung zu halten, waren die ersten Mods, die schon bald darauf die Runde machten. Neben neuen Settings (ich erinnere mich an eine Mod mit einem Raumschiff, die ich gern spielte), war es aber vor allem eine Mod namens Sven Co-op, die mich begeisterte, denn mit dieser wurde die Single-Player-Kampagne kooperativ durchspielbar. Zwar lief das damals noch nicht bugfrei ab, sorgte aber für gemeinsamen Spielspaß – und ähnlich wie später Diablo II machte es zu mehrt einfach mehr Laune. Nein, durchgespielt haben wir es so nie. Aber der Weg ist halt doch das Ziel …

Das bringt mich gleich wieder zu der Frage, warum Half-Life ein Titel ist, den ich vermisse. Zunächst einmal wegen der genialen Atmosphäre, der Story und den Charakteren. Wann habe ich jemals danach wieder so eine Verbindung zu Figuren in einem Shooter gespürt? Gut, das liegt wie gesagt vielleicht auch daran, dass ich vielen Spielen keine Chance gegeben habe, aber dennoch macht es den Titel für mich zu etwas Besonderem; weil es dafür gesorgt habe, dass ich mir ein einziges Mal in meinem Leben einen Shooter zum Release gekauft habe (nämlich das Sequel Half-Life 2); weil mir auf Anhieb unzählige ikonische Momente in diesem Spiel einfallen – von der Credits-Sequenz über das Experiment, von Sprüngen über Kisten über den Raketentestraum bis zu der gigantischen Headcrab auf Xen; weil es mich an lange Abende in einer Runde mit Freunden erinnert, die gemeinsam eine Story erleben wollten, die halt „auch“ in einem Shooter erzählt werden konnte; weil das Spiel mich gelehrt hat, dass Männer in dunklen Anzügen durchaus böse Dinge im Schilde führen können. Und, nicht zuletzt: weil es der letzte Shooter war, der mich von vorne bis hinten gefesselt hat. Bis heute gilt für mich da einfach der Maßstab: „Aber ist es so gut wie Half-Life?“. Und ganz ehrlich: Zumindest nach meinen Maßstäben können da sämtliche Call of Dutys (vor allem, weil mich der Multiplayer-Modus nicht interessiert) einpacken – kein Wunder, dass Half-Life 3 schon jetzt auf meiner Einkaufsliste steht, obwohl es noch nicht einmal angekündigt ist …

Florian Scherz

Bereits früh entwickelte Florian zwei große Leidenschaften: Videospiele und Theater. Ersteres brachte ihn zu einem Informatikstudium und zu Jobs bei consol.MEDIA und Cliffhanger Productions; zweiteres lässt ihn heute (unter anderem) als Schauspieler, Regisseur, Komponist und Lichtdesigner arbeiten. Wenn er gerade keine Musicals inszeniert, spielt oder schreibt, vermisst er auf Shock2 Videospiele von anno dazumal in seiner Blog-Reihe "Spiele, die ich vermisse".

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