ArtikelHighlightNewsRetro-Gaming

Spiele, die ich vermisse #98: Warcraft: Orcs & Humans

Bin das nur ich, oder hat euch die gamescom nun auch nicht gerade beeindruckt? Ich meine, zum ersten Mal habe ich von der Messe natürlich nicht alles mitbekommen, da ich nicht wie sonst etliche Newsschichten einlegen musste, aber das, was bis zu mir durchgedrungen ist, hat mich wenig überzeugt – vielleicht mit der kleinen Ausnahme, dass der Cinematic Trailer zur nächsten WoW-Erweiterung mal wieder toll gelungen ist und irgendwie in mir eine massive Vorfreude geschürt hat, dann doch mal wieder nach Azeroth (oder eigentlich Draenor) zurückzukehren. Das ist für mich Grund genug, diesmal wirklich meine Urlaubserinnerungen zu unterbrechen und zu jenem Spiel zurückzukehren, mit dem alles begann. Nein, es ist nicht jenes Spiel, das uns zum ersten Mal die in die spätere Scherbenwelt entführte, sondern es ist Zeit, den Urvater selbst zu vermissen, der die Geschichte von Draenor begann: Warcraft: Orcs & Humans.

Wir schreiben das Jahr 1994. Drei Jahre zuvor wurde Blizzard Entertainment gegründet (damals noch als Silicon & Synapse) und hatte bereits mehrere Ports bereits vollendeter Titel (darunter Battle Chess samt Sequel oder The Lord of the Rings, Vol I) sowie fünf eigene Spiele abgeliefert, darunter die heute noch bekannten Klassiker The Lost Vikings und Rock n’Roll Racing. Doch der richtig große Durchbruch sollte (auch wenn das vielleicht trotz eines gewissen Erfolges nicht gleich offensichtlich war) ihr jüngster Titel werden: Warcraft: Orcs & Humans.

warcraft-1

In der Welt von Azeroth herrscht Krieg: Den Orcs ist es gelungen, aus ihrer Heimatwelt Draenor in die Welt der Menschen zu gelangen – gerade rechtzeitig, denn die Orcs werden von Blutdurst getrieben und nach der vollständigen Eroberung ihrer Heimatwelt ist ein neuer Kriegszug samt neuem Gegner ein willkommenes Ventil, da die Clans bereits begonnen haben, sich gegenseitig anzugreifen. Die Menschen sind zunächst leichte Ziele und auf die Angriffe der Orcs unvorbereitet, doch es gelingt, einen ersten Angriff auf Stormwind abzuwehren und die Grünhäute zurückzuschlagen. Jahrelang herrscht mehr oder weniger Frieden – die Orcs sind zu unorganisiert, um eine echte Gefahr heraufzubeschwören. Doch als Blackhand die Position des Warchiefs einnimmt, beginnt er die Clans zu vereinen und zu einer gefährlichen Armee zu formen – ein großer Konflikt beginnt.

Kenner der Warcraft-Lore werden in dieser Erzählung viele Details vermissen – vor allem die Hintergründe der Korruption der Orcs zum blanken Blutdurst durch Kil’Jaeden, aber auch die Geschichte von Medivh, der das dunkle Portal beeinflusst von Sargeras öffnet. Nun, Medivh ist tatsächlich im Spiel und die Geschichte rund um sein Koma und die Tatsache, dass er das Portal geöffnet hat, wird in den Missionen behandelt. So wie viele andere Hintergründe der Geschichte wurde allerdings eine Vielzahl an Geschehnissen erst im Nachhinein mit zusätzlichen Charakteren und Ereignissen ausgestattet, die das, was geschehen ist, erweitern und zum Teil auch anders erklären sollen. Auch wenn sich heute viele Lore-Fans beschweren, dass WoW bisweilen die Geschichte von Warcraft mit Füßen tritt oder stark verändert, ist das also eigentlich nichts Neues. Eher im Gegenteil, schon etliche Ereignisse aus dem ersten Spiel brachten Blizzard bisweilen in Erklärungsnot, sodass etliche Elemente, Taten und Zeitrahmen (zum Beispiel, wie viel Zeit zwischen dem ersten Angriff auf Stormwind und dem eigentlichen Beginn des Spieles vergeht) im Nachhinein verändert wurden.

screenshot763-2

Dafür gibt es aus meiner Sicht einige Gründe. Der erste und wohl einfachste liegt darin, dass Blizzard beim Entstehen des Spiels eine eigene Welt und Story erschuf, aber noch nicht daran dachte, dass man später daraus ein ganzes Spieleuniversum aufbauen würde müssen. Warcraft ist in seiner Erzählweise meilenweit davon entfernt, viel Geschichte zu erzählen – man erfährt von Mission zu Mission, was grundsätzlich passiert ist und was das nächste Missionsziel ist, und mehr ist gar nicht notwendig. Wir befinden uns hier immerhin zeitlich knapp ein Jahr vor dem Release von Command & Conquer, das gerade im „Drumherum“ und dem Storytelling Maßstäbe setzen sollte – insofern waren die Spieler gar nicht gewöhnt, mit einer epischen Geschichte verwöhnt zu werden.

Da wir gerade bei Command & Conquer sind, kommen wir zu Grund 2: So wie C&C keine aufeinanderfolgende Kampagne kreierte, sondern zwei parallel/alternative Erzählstränge, hat auch Warcraft zwei Erzählstränge, die nicht immer zueinander kompatibel sind (das wurde erst mit dem Warcraft II-Add-on Beyond the Dark Portal geändert, das zwei hintereinander stattfindende Kampagnen bot, und wurde später mit StarCraft und Warcraft III durchgezogen, in denen die ganze Geschichte aus mehreren, nacheinander spielenden Kampagnen erzählt wird). Was heißt das für die Erzählweise? Je nachdem, ob man die Menschen- oder Orc-Kampagne spielt, erlebt man zwei sehr unterschiedliche Erzählstränge mit gleicher Ausgangslage, aber unterschiedlichem Ausgang. Zerstört man den Orc-Stützpunkt in Blackrock Spire oder gelingt es den Invasoren, Stormwind zu überrennen? Beide Handlungen sind nicht 100prozentig kompatibel zueinander. Man musste sich also für die Fortsetzung auf eine Fassung einigen, so wie C&C später klar deklarierte, dass das GDI-Ende das kanonische war. In diesem Fall gilt: Die Orc-Kampagne hat (fast) hundertprozentige Gültigkeit, während einige Elemente der Menschenkampagne auch später noch aufgegriffen wurden.

warcraft-orcs-humans_15

Grund drei hat ebenfalls mit Westwood zu tun – allerdings mit Dune II, das das Echtzeitstrategiegenre Anfang der 90er einer etwas breiteren Öffentlichkeit zugänglich machte, bevor mit C&C der große Durchbruch in den Mainstream brachte. Warcraft begann sein Leben als technischer Klon von Dune II, dem man einige Verbesserungen (zum Beispiel die Netzwerkfähigkeit und die Möglichkeit, Einheiten zumindest in 4er-Gruppen zusammenzufassen) hinzufügte. Was für ein Spiel daraus werden würde, war allerdings zunächst bei Blizzard nicht klar. Eine erste Idee war, eine ganze Reihe von Strategiespielen zu erschaffen, die sich ähnlich spielen, aber unterschiedliche Settings nutzen – zum Beispiel die Schlachten der alten Wikinger oder der Römer. Deshalb wurde auch der Titel „Warcraft“ gewählt, den jeder Teil der Reihe führen sollte, während der Untertitel mehr über das Setting aussagen würde. Im Grunde genommen hätte Warcraft also auch die Idee von Total War vorwegnehmen können, aber man entschied sich, dann doch auf ein Fantasy-Setting zu setzen. Zunächst überlegte man bei Blizzard noch, die Warhammer-Lizenz zu holen, verwarf das dann allerdings ebenfalls und erschuf eine neue Lore. Auch wenn meine Theorie nicht gesichert ist, weil ich keine Quellen dazu gefunden habe, bin ich bis heute davon überzeugt, dass diese späte Entscheidung für ein Setting, während das Spiel an sich schon recht weit war, mit verantwortlich war, dass man die Story eher im Nachhinein entwickelte – ähnlich, wie das bekanntermaßen id-Software bei Doom getan hatte – und sich verhältnismäßig wenig Gedanken über Tiefgang und Ausbaufähigkeit machte. Aber wie gesagt, das sind nur meine Theorien zu dem Thema. Eine verlässliche Aussage zu den vielen Unterschieden und Retcons, die im Laufe der Sequels und WoW nötig wurden, habe ich bislang nicht gefunden (aber auch, ehrlicherweise, nicht übertrieben gesucht).

Nachdem wir jetzt lange um den heißen Brei herumgeredet haben, kommen wir aber zum Punkt: Wie SPIELTE sich Warcraft? Wie schon erwähnt, orientierte sich der Titel stark an Westwoods Dune II, was jedem, der diesen Titel gespielt hat, sofort ins Auge springt: Man sammelt Ressourcen mit speziellen Einheiten, lässt diese in die Basis bringen und gibt sie dort wieder für Gebäude und Einheiten aus, die man dann gegen den Feind schicken kann (wobei es den intelligenten Mauszeiger, den C&C etablieren sollte, noch nicht gab – man musste per Menü oder Shortcut bestimmen, was die Einheiten tun sollten, selbst wenn es sich nur um „bewegen“ handelte). Bereits in diesem ersten Gameplay-Loop gibt es viele Gemeinsamkeiten, aber auch einige Unterschiede. Während Dune II nur auf das Sammeln von Spice setzte, gab es in Warcraft Holz, das man aus dem Wald schlägern musste (was natürlich die Map veränderte, da die Wälder nicht begehbar waren), und Gold, das eure Arbeiter aus den Minen holten. Mit diesen Ressourcen wurden entweder neue Gebäude gebaut (die man allerdings anders als bei Dune II auf kein Fundament stellen musste), Forschung betrieben oder neue Einheiten bezahlt.

20423-warcraft-orcs-humans-dos-screenshot-certain-missions-do-not

Die Einheiten beider Seiten waren bis auf die Optik zum Großteil ident – der Bogenschütze der Menschen entsprach dem Speerwerfer der Orcs, ähnlich wie die Fußsoldaten dieselbe Funktion wie die Grunts ausübten. Erst in den ganz hohen Tiers gab es markante Unterschiede. Beide Seiten hatten zwei Spellcaster in ihren Reihen – Necrolyte und Warlock bei den Invasoren, Cleric und Conjurer auf der Menschenseite –, die sich in ihren Sprüchen maßgeblich unterschieden. Clerics konnten zum Beispiel verwundete Einheiten heilen, während die Necrolytes gefallene Einheiten als Skelette wieder aufstehen ließen. Auf beiden Seiten ließen sich die besseren Einheiten erst rekrutieren, wenn die passenden Gebäude gebaut worden waren, die oft auch gleichzeitig die Erforschung von Verbesserungen ermöglichten.

Beide Kampagnen umfassten zwölf Missionen, die (anders als bei Dune II mit seiner Weltkarte) linear aneinander gereiht wurden und durch Erfolg in der Vorgängermission freigeschaltet wurden. Die meisten von ihnen liefen nach dem gleichen Muster ab – baue Truppen auf und zerstöre den Feind –, wenngleich es einige Ausnahmen gab. Das beginnt bei der ersten Mission jeder Seite, bei der es darum geht, Farmen aufzubauen (was euch auch gleich beibringt, dass das Einheitenlimit von der Anzahl eurer Farmen abhängt, die Nahrung produzieren), und endet bei Einsätzen, bei denen ihr einen vorgegebenen Trupp zum Sieg führen müsst, ohne Nachschub aufbauen zu können. Habt ihr die Kampagne ausführlich gespielt, gibt es dann noch die sogenannten Skirmishes mit zufallsgenierten Maps sowie Multiplayer-Matches per Modem oder im LAN. Gerade letzteres wurde rasch populär und sorgte dafür, dass ein solcher Modus in die meisten späteren Echtzeitstrategiespiele eingebaut wurde. Dementsprechend gilt Warcraft heute zwar nicht als Erfinder, aber als definitiver Wegbereiter von Mehrspieler-Echtzeitstrategieschlachten.

warcraft-orcs-humans_11

Gerade letzteres war es auch, das mich in Kontakt mit Warcraft brachte. Ich hatte durch Dune II das Genre Echtzeitstrategie kennengelernt und mich mehrfach durch die Geschichte von Ordos, Atreides und Harkonnen durchgespielt. Aber Warcraft tauchte einfach nicht auf meinem Radar auf. Das änderte sich erst, als ich mit einem Freund eine Multiplayer-Schlacht bei ihm zuhause spielte. Zwar sprach mich das Setting nicht so sehr an wie das Sci-Fi-Dune-Setting (obwohl ich damals die Bücher noch gar nicht gelesen hatte, aber mehr dazu in meinen Erinnerungen an den Vorgänger von Dune II). Dennoch erkannte ich die Qualitäten und die Ähnlichkeiten machten den Einstieg leicht. Das heißt allerdings nicht, dass ich gut darin war – schon seit eh und je habe ich Schwächen als Echtzeitstrategiespieler, und gerade die schon damals ein wenig, heute aber sehr umständliche Steuerung samt dem Schwierigkeitsgrad sorgte dafür, dass ich Warcraft in beiden Kampagnen ein Stückchen, aber insgesamt nie zu Ende spielte. Es war also, wenn man so will, vielleicht ein Vorgeschmack auf das, was Warcraft später für mich bedeuten sollte – aber den großen Durchbruch für mich, der mich tief in die Welt hineinzog, sollten erst seine Nachfolger schaffen. Aber das ist eine andere Geschichte und soll ein andermal erzählt werden.

Kommen wir stattdessen zur Frage, warum ich Warcraft vermisse. Und da steht ganz oben die Tatsache, dass ich eben bei Spieleserien, die ich gerne mag, ein Perfektionist bin. So, wie es mich stört, dass ich Beyond the Dark Portal oder auch Warcraft III nie zuende gespielt habe, stört es mich, dass ich die Geschichte von Warcraft I vor allem aus Zusammenfassungen kenne – ich vermisse das Spiel also vor allem gewissermaßen deshalb, weil ich es zu wenig kannte und zu wenig Zeit damit verbracht habe. Das Problem daran war auch, wie rasch es veraltete: Nach Command & Conquer war es schwer, zu diesem Spiel zurückzukehren, da Westwood so viele Dinge komfortabler und besser gelöst hatte. Und so bleib es bei einer kurzen Begegnung, denn ein weiteres Treffen endete mit der Erkenntnis, dass das Spiel vor allem im Handling veraltet war und sich die Motivation dadurch nur schwer einstellte. Die andere Seite der Medaille ist aber auch, dass ich Warcraft als Strategieserie vermisse. Vielleicht trifft das weniger Teil I als seine Sequels, aber für mich war das Universum immer perfekt für große Schlachten und ich reihe mich gerne in die Reihe der Spieler ein, die sich über Warcraft IV freuen würden. Aber wer weiß, vielleicht bekommen wir das ja zu sehen, wenn Blizzard in ferner Zukunft die Geschichte von StarCraft II zu Ende erzählt hat …

Florian Scherz

Bereits früh entwickelte Florian zwei große Leidenschaften: Videospiele und Theater. Ersteres brachte ihn zu einem Informatikstudium und zu Jobs bei consol.MEDIA und Cliffhanger Productions; zweiteres lässt ihn heute (unter anderem) als Schauspieler, Regisseur, Komponist und Lichtdesigner arbeiten. Wenn er gerade keine Musicals inszeniert, spielt oder schreibt, vermisst er auf Shock2 Videospiele von anno dazumal in seiner Blog-Reihe "Spiele, die ich vermisse".

Ähnliche Artikel

Überprüfen Sie auch
Schließen
Schaltfläche "Zurück zum Anfang"