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Spiele, die ich vermisse #94: Sid Meier’s Colonization

Wenn man bald auf Urlaub fährt, sollte man sich dann doch ein wenig intensiver mit seinem Urlaubsziel beschäftigen. In meinem Fall heißt die Destination der Wahl „USA“ (genauer gesagt: Ostküste), sodass ich nicht umhinkomme, mir einige Guides durchzulesen bzw. mir von meiner Frau von Dingen erzählen zu lassen, die sie in Reiseführern oder im Internet entdeckt hat. Ja, für mich ist es tatsächlich die erste Reise in das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, denn selbst meine Karriere als Videospieljournalist hat mich nie so weit nach Westen gebracht. Worauf ich hinaus will? Amerika – das erinnert mich doch wieder an ein ganz bestimmtes Spiel, das die Eroberung der Neuen Welt zum Thema hatte. Sein Name? Sid Meier’s Colonization.

Wir schreiben das Jahr 1492. Im Auftrag einer der vier großen Seemächte England, Frankreich, den Niederlanden oder Spanien (die Auslassung von Portugal brachte dem Spiel übrigens viel Kritik ein) segelt ihr in die neue Welt, um dort Kolonien zu gründen und eurer Heimat Ruhm, Ehre und Reichtümer einzubringen. Kaum habt ihr also das erste Stück Land entdeckt, geht die Arbeit so richtig los: Eine erste Siedlung will gegründet und ausgebaut, die Welt erkundet und mit den Ureinwohnern verhandelt werden. Das sind allerdings nur erste Schritte, um euch auf dem neuen Kontinent abzusichern, denn in der Heimat geht es eigentlich nur um eines: Reichtümer und Waren aus der neuen Welt. Nach und nach solltet ihr deshalb neue Siedlungen gründen und diese auf das Sammeln und Weiterverarbeiten von Rohstoffen spezialisieren. Diese werden dann per Wagen zur Küste und von dort per Schiff nach Europa gebracht, wo sie (hoffentlich) zu einem guten Preis verkauft werden können.

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Auf dem Rückweg könnt ihr Waren mitnehmen, die ihr in der Kolonie nicht oder nur zu wenig zur Verfügung habt, aber natürlich auch neue Siedler, die sich zur Auswanderung entschlossen haben (oder auch aufgrund von Schulden oder Verbrechen dorthin geschickt werden). Sie bringen eigene Spezialisierungen mit, die wiederum eure Produktion optimieren und dadurch beschleunigen können – vor allem in Verbindung mit diversen Ausbauten, die ihr in euren Siedlungen durchführt. Das alles wird den Herrscher eures Heimatlandes erfreuen, allerdings vor allem deshalb, weil er euch mit Steuern und sonstigen plötzlichen Einfällen eure Pläne rasch durcheinander bringen kann.

Das führt uns auch zur nächsten Phase des Spiels – der Möglichkeit, eine Partie Colonization zu gewinnen. Irgendwann wird der König nämlich den Bogen überspannen. Irgendwann werden eure Leute genug davon haben, von Europa aus kommandiert zu werden. Und das heißt, irgendwann, wenn die Mehrheit eurer Leute hinter der Idee der Abspaltung vom Mutterland steht, könnt ihr die Unabhängigkeit erklären. Dass das nicht allen gefallen wird, steht auf einem anderen Blatt, weshalb es an diesem Punkt zum Krieg kommen wird. Gelingt es euch allerdings, diesen zu gewinnen, bevor eine andere Zivilisation zur Unabhängigkeit gelangt, habt ihr die Partie siegreich beendet.

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Das von Microprose entwickelte und von Sid Meier und Brian Reynolds designte Spiel erschien 1994 zunächst für den DOS-PC, später folgten Fassungen für Windows, Amiga und Mac. Rasch wurden Vergleiche mit dem 1991 erschienenen Civilization gezogen, die natürlich eine gewisse Berechtigung hatten. Da wie dort übernahm man das Schicksal einer Nation (bzw. der Kolonien einer Nation), gründete Siedlungen, erkundete die Welt, führte Gespräche mit anderen Nationen (und in Coloniziation eben auch mit Indianern) und führte sie über einige Jahrhunderte hinweg rundenbasiert zum Spielsieg.

Aber dennoch kann man Colonization nicht vorwerfen, einfach abgekupfert zu sein, denn im Detail unterscheiden sich die beiden Spiele grundsätzlich. Nur ein paar Beispiele: Die Wissenschaft, die in Civilization ein wichtiger Teil des Spielprinzips ist, fehlt in Colonization völlig, dafür gibt es die Gründerväter, die man durch das Sammeln von Freiheitsglocken auf seine Seite ziehen kann und die spezifische Vorteile mit sich bringen. Dafür sind die Wirtschaftskreisläufe, das Weiterverarbeiten von Rohstoffen, die richtige Verteilung von Spezialisten und der Handel mit dem Mutterland maßgebliche Element in einer Partie Colonization, die in Civ bei weitem nicht so stark (bis gar nicht) ausgeprägt waren. Eine Verwandtschaft ist also definitiv vorhanden – Zwillinge sind sie dennoch nicht. Vor allem darf man bei diesem Vergleich nicht vergessen, dass Civilization II zu diesem Zeitpunkt noch nicht erschienen war (es folgte erst zwei Jahre später) und einige Ideen von Colonization deshalb neu waren. Beispiel gefällig? Die diversen Mutterländer brachten unterschiedliche Boni mit sich – ein Prinzip, das sich später in den unterschiedlichen Boni der diversen Nationen in Civ wieder fand.

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In den Genuss von Colonization gelangte ich in meinen frühen PC-Jahren, vermutlich irgendwann um das Jahr 1995 herum. Ich habe bereits erwähnt, dass wir damals einen größeren Spielerkreis in meiner Klasse hatten, der gerne und viel Spiele tauschte, und so gelangte auch Colonization eines Tages auf meine Festplatte und füllte dort die Lücke, die Civilization (das ich ja nur auf dem Amiga 500 hatte) hinterlassen hatte. Gleichzeitig vertraut genug, um sich schnell zurecht zu finden, aber erfrischend anders, um nicht ein Klon zu sein, punktete das Spiel bei mir deutlich schneller als das ein Jahr später erschienene Civilization II, das für mich nicht den Charme des Originals versprühte.

Schon sehr bald war ich also der Herrscher der Kolonisten, optimierte meine Warenkreisläufe, ärgerte mich mit dem König herum und führte mein Volk in die Freiheit. Hier erfolgreich zu sein, erforderte sehr viel Mikromanagement – bis heute einer der größten Kritikpunkte, die man über das Spiel zu hören bekommt, denn die Option, einfach mal den Computer machen zu lassen, gab es einfach nicht. Dafür war es viel zu wichtig, Waren zum richtigen Ort zu bringen, die diversen Siedler mit den richtigen Items auszustatten und auszubilden – ganz abgesehen davon, dass mit einem solchen KI-Feature das Spielprinzip reichlich ausgehöhlt worden wäre, weil das ja irgendwie eure Hauptaufgabe war.

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Ich muss allerdings ehrlich sagen, dass mich das damals gar nicht so sehr störte – offensichtlich entstammte Colonization noch einer anderen Zeit, als „alle Details steuern müssen“ noch nicht gleich „umständlich“ hieß. Immerhin gab es damals auch in Civilization noch keinen Auto-Modus, der die Siedler (damals gab es noch keine Arbeiter) Verbesserungen und Straßen bauen ließ, das musste man schön brav selbst erledigen. Heutzutage wäre das für den Otto-Normal-Spieler furchtbar ärgerlich (wenngleich er wohl gerne die Option hätte, alles zu steuern, aber nur die erfahrenen würden diese Funktion dann wirklich benutzen), ein echter Grund, das Spiel rasch aufzugeben und in schlechter Erinnerung zu behalten. Damals allerdings konnte ein solcher Titel die Spitze erklimmen.

Warum mich der Vergleich so sicher macht? Nun, 2008 erschien ein Remake von Colonization, basierend auf der Civ IV-Engine. Und obwohl der Titel eigentlich genau das machte, was das Spiel 14 Jahre zuvor tat, nur in ein besseres Interface und aufpolierte Grafik steckte (gut, ein paar kleinere Verbesserungen gab es schon), sprang der Funke nicht mehr so über wie Anno dazumal. Egal, wie oft ich es versuchte, ich habe nur eine einzige Partie Civ IV: Colonization beendet. Und wenn man so darüber nachdenkt, ist es irgendwie tragisch, dass das Spiel, das man einmal so geliebt hat, einen heute selbst in verbesserter Optik nicht mehr vom Hocker reißt. Eine Rückkehr zum ganz alten Spiel wäre zwar durchaus möglich (z.B. per GOG), aber irgendwie habe ich Angst, das letzte bisschen Nostalgie für diesen Titel zu verlieren, denn so kann ich mir immerhin noch sagen, dass das Remake dann doch irgendwas falsch gemacht hat und ich mich nicht einfach als Spieler verändert habe.

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Das führt mich aber auch schon zum Abschluss: Was vermisse ich an Colonization? Ich vermisse das ungewöhnliche Setting, eine Kolonie zu gründen und in die Freiheit zu führen. Ich vermisse es, Rohstoffe zu sammeln, weiterzuverarbeiten und gewinnbringend zu verscherbeln, um das Geld für den weiteren Ausbau (oder den Krieg) zu sammeln. Ich vermisse das etwas andere Spielprinzip, das dennoch Civilization durchschmecken lässt. Ich vermisse meine Verhandlungen mit Indianern und ja, ich vermisse auch das Mikromanagement, wenn ich an damals zurückdenke. Auch, wenn es im Sepiaton der Vergangenheit irgendwie weniger aufwändig war, als wenn ich heute eine Partie spielen würde wollen …

Florian Scherz

Bereits früh entwickelte Florian zwei große Leidenschaften: Videospiele und Theater. Ersteres brachte ihn zu einem Informatikstudium und zu Jobs bei consol.MEDIA und Cliffhanger Productions; zweiteres lässt ihn heute (unter anderem) als Schauspieler, Regisseur, Komponist und Lichtdesigner arbeiten. Wenn er gerade keine Musicals inszeniert, spielt oder schreibt, vermisst er auf Shock2 Videospiele von anno dazumal in seiner Blog-Reihe "Spiele, die ich vermisse".

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