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Spiele, die ich vermisse #90: Final Fantasy X-2

Draußen ist es warm, es gibt an allen Ecken und Enden viel zu tun – und das heißt meistens: Ich komme gar nicht besonders viel zum Spielen. Das heißt, doch, es gibt eine Ausnahme: Per Handheld und den (danke für die Erfindung von Standby) kurzen Häppchen, in denen ich Spiele angehen kann, arbeite ich mich gerade Schritt für Schritt durch Final Fantasy X HD durch (ich hab auch schon ein paar Stunden drauf – ich liebe das Spiel einfach so sehr, dass ich dann doch immer wieder hängen bleibe). Noch bin ich aber nicht durch, und deshalb möchte ich heute die Gelegenheit nutzen, ein Spiel zu vermissen, dass ich eigentlich schon im HD-Remake spielen könnte, aber zu dem ich noch nicht gekommen bin – noch kann ich es also „vermissen“. Die Rede ist vom Sequel des schon „vermissten“ Final Fantasy X namens eben NICHT Final Fantasy XI (über den Titel breite ich den Mantel des Schweigens), sondern Final Fantasy X-2.

Beginnen möchte ich mit einer kurzen Warnung: Vor allem in den folgenden drei Absätzen, aber auch grundsätzlich im Text finden sich im nachfolgenden Text einige Spoiler zu FF X – wer das Spiel noch nicht gespielt hat, sollte das a) schnell nachholen und b) sich nicht die Überraschung verderben lassen!

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Wir schreiben das Jahr 2001: Final Fantasy X hat sich zum großen Erfolg für Squaresoft entwickelt – und zwar zu einem so großen, dass man ernsthaft darüber nachdenkt, eine ungeschriebene Regel der Final Fantasy-Reihe zu brechen. Bislang war (bis auf einige kleine Insider-Anspielungen) jeder Teil der Serie eigenständig – die Story baute nicht aufeinander auf, in Locations, Gameplay und Personeninventar gab es große Unterschiede. Auch das Eternal Calm-Video, das der International Version von FFX in Japan beilag (bei uns war es wohl der beste (und vermutlich einzige) Grund, sich Unlimited Saga zuzulegen), eine Sequenz einige Zeit nach dem melancholischen Ende des Hauptspiels darstellte und gleichzeitig eine gewisse Hoffnung aufkeimen ließ, dass es dennoch noch zum Happy End für Yuna und Tidus kommen könnte, brachte äußerst positive Fan-Reaktionen, sodass man knapp darauf mit den Arbeiten am ersten echten Sequel der Final Fantasy-Geschichte zu arbeiten begann. Auch arbeitstechnisch hatte das natürlich einen großen Vorteil: Da die Welt schon bestand, man also Zugriff auf fertige Designs, Abschnitte und Charaktere hatte, konnte man das Spiel mit einem deutlich kleineren Team und in kürzerer Zeit entwickeln, sodass FF X-2 2003 in den Handel kam.

Einige Zeit nach dem Ende von Final Fantasy X: Da Sin endgültig besiegt ist, kann Spira endlich heilen und sich von 1.000 Jahren der Gefahr erholen – eine Zeit, die als „Eternal Calm“ bekannt wird (an dieser Stelle erwähne ich wie bei FF X, dass ich hier die englischen Ausdrücke verwenden werde – um die deutsche Fassung habe ich auch hier einen großen Bogen gemacht). Das bringt gewaltige Umstürze in der Gesellschaft. Vor allem die Priester der Religion von Yevon, die den Menschen jahrelang predigte, dass Sin die gerechte Strafe für den Einsatz von Machina in einem gewaltigen Krieg war, haben nun einen schweren Stand, denn mittlerweile ist klar, dass Religionsgründer Yevon selbst zu Sin wurde und die Priesterschaft tief in der Korruption steckte. Doch wohin soll sich Spira entwickeln? Drei verschiedene Fraktionen versuchen mittlerweile, das Volk hinter sich zu vereinen: Die Youth League unter Mevyn Nooj, die vor allem (nomen est omen) junge Leute anzieht, die bereit sind, alte Prinzipien zu vergessen und mit Machina und neuen Ideen die Welt zu verändern; die New Yevon Party, die eher für langsame Veränderungen der alten Traditionen eintritt; und die Machine Faction, die vor allem aus Al Bhed besteht, die in der neuen Weltordnung nicht mehr den Status von Ausgestoßenen einnimmt. Dass es zwischen diesen Gruppierungen rasch zu Spannungen kommt, ist klar.

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Doch lassen wir die Welt für einen Moment hinter uns und widmen wir uns unseren Helden: Die Überlebenden der Party aus FF X (Auron akzeptierte am Ende ja seinen Tod und ließ sich auf die Farplane senden, während Tidus aufhörte zu existieren, als die Fayth ihren Traum beendeten) haben sich allesamt einen neuen Platz in der neuen Weltordnung gefunden. Lulu und Wakka haben geheiratet und erwarten ihr erstes Kind; Kimahri ist der neue Anführer der Ronsos; Rikku schloss sich den Sphere Hunters „Gullwings“ an und Yuna blieb lange Zeit eine einflussreiche Figur in Spira, die jede Fraktion gerne an ihrer Seite wissen würde. Doch stattdessen begibt sie sich auf eine persönliche Reise: Als Rikku ihr eine Sphere bringt, auf der sich eine qualitativ schlechte Aufnahme eines Mannes findet, der klingt wie Tidus, aussieht wie Tidus und sich noch dazu rechtfertigt, dass er getan hat, was er tun musste, um seine Freundin, eine Summonerin, zu retten, macht sich Yuna mit Rikku und den Gullwings auf, weitere Spheres zu finden – denn wer weiß, vielleicht ist Tidus ja doch noch irgendwo am Leben?

Bei all dem Gerede über „Sequel“ darf man allerdings nicht glauben, dass sich Squaresoft (das Spiel erschien in Japan knapp vor dem Merge mit Enix, im Westen allerdings erst danach) das Leben besonders leicht gemacht hat, indem man einfach das gesamte Spielsystem übernahm und mit einer neuen Story anreicherte. In der Tat unterscheiden sich die beiden Spiele deutlich. Das beginnt schon bei der Stimmung – war FF X ein melancholisches, langsames Spiel, ist FF X-2 ein buntes J-Pop-Adventure mit jeder Menge Girl-Power und einer lebenslustigen, bisweilen allzu überdrehten Energie. Girl-Power vor allem deshalb, weil die Party zum ersten Mal in der Geschichte der Reihe ausschließlich aus weiblichen Protagonistinnen besteht: Neben Rikku und der gar nicht mehr so braven, schüchternen Yuna zieht Neuzugang Payne in die Schlacht, eine junge Frau mit einem dunklen Geheimnis.

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Die Reduktion auf drei Charaktere heißt allerdings nicht, dass man keine komplexen Taktiken mehr entwickeln kann – und das führt uns zum Kampfsystem. Das CTB aus dem Vorgänger wurde in Pension geschickt, stattdessen setzt man – passend zum actionreicheren 3-Engel-Für-Charlie-Feeling der Geschichte – wieder auf eine Abart des ATB, die nun allerdings auch erlaubt, Gegnerangriffe zu unterbrechen und Angriffs-Chains zu starten. Aber auch das Spheregrid ist Geschichte: Jede Figur kann ein Garment Grid anlegen (davon gibt es im Laufe der Handlung verschiedene mit diversen Eigenheiten) und auf dieser Dressspheres platzieren. Klingt kompliziert, ist aber eigentlich nur eine Abwandlung des klassischen Job-Systems – mit dem großen Unterschied, dass man nun innerhalb des Kampfes komfortabel zwischen den diversen Jobs wechseln kann, was mit einer Animation samt Kostümwechsel einhergeht. Dass man diese diversen Berufe natürlich mit der Zeit weiterentwickeln kann, ist klar.

Aber auch die Art und Weise, wie die Geschichte erzählt wird, ist völlig anders als im Vorgänger. Sind die Final Fantasy-Spiele in den meisten Fällen eine mehr oder weniger lineare Angelegenheit, besteht X-2 aus einer eigentlich gar nicht großartig komplizierten oder umfangreichen Hauptstory rund um die Suche nach Tidus (natürlich mit einigen interessanten Kniffen) sowie etlichen Sidequests. Das spielt sich dann in etwa so: In den diversen Kapiteln der Handlung hat man vom Luftschiff aus (fast) immer Zugriff auf alle Gebiete Spiras. Davon muss man einige unbedingt abklappern (diese werden auf der Weltkarte „Hotspots“ genannt), aber im Endeffekt gibt es an jedem Ort Neues zu entdecken – das geht sogar so weit, dass die Schatzkisten nachgefüllt werden. Diese Episoden sind allerdings nicht nur Füllmaterial, sondern erzählen einen großen Teil des Hintergrunds des Spiels und der Motivationen der Charaktere, weshalb es sich durchaus auszahlt, auch diesen Regionen einen Besuch abzustatten. Außerdem führt das Spiel genau Buch, wie viel von FF X-2 ihr gesehen habt – und das hat in diesem Fall nicht nur etwas damit zu tun, dass man als echter Komplettist alles gesehen haben muss, denn auch die Frage, ob man das perfekte Ende zu sehen bekommt (insgesamt gibt es sechs Varianten, wie die Schlusssequenz aussehen kann) hängt vom Prozentsatz (und einigen anderen Entscheidungen) ab. Für die 100% muss man allerdings ziemlich sicher zweimal FF X-2 beenden, denn auch, wenn es theoretisch möglich ist, in einem Durchlauf diesen Prozentsatz zu erreichen (wobei das auch nicht bedeutet, dass man wirklich alles gesehen hat, da man sich zur Hälfte des Spieles für einen Pfad entscheiden muss, der doch einiges an Unterschied bedeutet), wird es den meisten Spielern nur mit einem Guide (oder viel Glück) gelingen, die 100 Prozent zu knacken. Zum Glück behält man bei einem nach dem Ende des Spiels verfügbaren New Game+ alle Items, Garment Grids, Dresspheres und natürlich den Prozentsatz der Story, den man schon gesehen hat. Nur die Level der Charaktere werden zurückgesetzt.

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Klingt gut? Ja, ist es auch. Aber unumstritten? Definitiv nicht. FF X darf sich vermutlich mit dem Titel „letzter relativ unumstrittener Teil der Serie“ schmücken, während das für seinen Nachfolger definitiv nicht mehr gilt. Zwar waren die Kritiken nicht schlecht, aber die Meinungen der Fans waren sehr geteilt. Ein Teil der Kritik kam eher aus formalen Gründen – der Traditionsbruch, plötzlich ein direktes Sequel abzuliefern, schmeckte nicht allen Fans. Das spielte auch gleich in den zweiten Kritikpunkt, dass das „perfekte“ Ende von FF X durch dieses Spiel verwässert wurde. Der Großteil der Kritik fußte allerdings auf dem stark veränderten Ton des Spiels – langsam, traditionell, schüchtern und ruhig wurde hier zu schnell, progressiv, aggressiv und bunt. Schon einer der ersten Trailer, bei dem Yuna auf einer großen Bühne als Sängerin auftritt und mit Backgroundtänzern J-Pop zum Besten gibt, brachte Kritik auf, dass das nicht mehr die Yuna ist, die wir kennen (was auch ein schönes Beispiel wäre, ein Spiel nie nur nach den Trailern zu kritisieren – immerhin gibt es im Spiel eine gute Erklärung für die Szene).

Meine Meinung dazu? Ja, das Spiel bietet beim ersten Einlegen einen richtigen Kulturschock. Aus der lieben, braven Yuna ist eine junge, von den erdrückenden Sorgen um den Frieden auf der Welt befreite Dame geworden, die sich an der Hoffnung festklammert, ihren Geliebten wieder zu finden und deshalb eine persönliche Quest angeht. Aber ist das eine unerwartete Entwicklung? Nein, finde ich nicht. Ja, als ich FF X-2 das erste Mal ins Laufwerk legte, kämpfte auch ich kurz mit ein paar Umstellungsschwierigkeiten, gerade weil einige Qualitäten, für die ich X schätzte, nun in X-2 fehlten und einige liebgewonnene Eigenheiten des Vorgängers (ich LIEBE das CTB) Geschichte waren. Aber das heißt nicht, dass das Sequel ein schlechtes Spiel war. Es war nur völlig anders, als ich es erwartet hatte, aber das Herz des Spiels war durchaus am rechten Fleck.

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Mein Höhepunkt des Spiels? Der Einsatz von Songs als zentrales Spielelement. Neben dem vorhin schon erwähnten „Real Emotion“, das man im Trailer bewundern konnte, hat es mir vor allem „1.000 Words“ angetan, eine starke Ballade, die nicht nur einfach als Showstopper dient, sondern tatsächlich wichtig für den Fortgang der Geschichte ist. Als jemand, der Musik gerne als Transportmittel für die Story sieht, ein definitiver Höhepunkt in der Serie. Wo Licht ist, ist allerdings auch Schatten, und während ich die beiden Songs durchaus schätze, ist der restliche Soundtrack eher generisch und langweilig – mit den großartigen FF X-Kompositionen eines Nobuo Uematsu kann er sich definitiv nicht messen.

Dennoch habe ich FF X-2 mehrfach durchgespielt – und das vor allem auch deshalb, weil ich natürlich nicht auf Anhieb die 100 Prozent hinbekommen habe, sondern dafür drei Versuche gebraucht habe (vor allem, da ich den ersten Versuch ohne Lösung gespielt habe und mich dabei vor allem auf die Hotspots konzentriert habe). Das ging natürlich deutlich schneller – aber wenn man sich wirklich bemüht, alles zu sehen, alle Minigames anspielt und sich ordentlich in die Story vertieft, bekommt man trotzdem einiges zu sehen. Und auch zu hören. Zum Beispiel folgendes: Wusstet ihr, dass es eine Verbindung zwischen FF X-2 und FF VII gibt? Ja, richtig gehört: Der Charakter Shin-ra findet gegen Ende des Spiels eine Möglichkeit, die Lebensenergie des Planeten anzuzapfen und zur Energieproduktion zu nutzen. Kommt euch bekannt vor? Gut erkannt. Laut Interviews der Entwickler in den Ultimanias (sehr umfassende, japanische Lösungs-/Begleitbücher) ist das tatsächlich eine kleine Anspielung, dass die Nachfahren von Shin-ra eines Tages auf einen anderen Planeten reisen werden und dort die Lebensenergie (AKA „Mako“) anzapfen werden – was direkt zur Handlung von FF VII führt.

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Also, warum vermisse ich FF X-2? Weil es ein völlig anderes Final Fantasy-Erlebnis darstellte. Die Protagonisten und die Welt waren bereits etabliert, weshalb man sich in diesem Spiel ersparte, alles langsam vorzustellen – man konnte sofort „auf Zug“ gehen und ersparte sich damit jede Menge langatmige Exposition. Aber auch das Feeling wurde dadurch anders: Yuna, Rikku und Payne waren sofort in der ganzen Spielwelt unterwegs und konnten alles frei erkunden, was schon fast ein „Open World“ Feeling ergab und so nebenbei erlaubte, die Heilung und Entwicklung der Welt besser zu erzählen, als bei der Reise von Punkt zu Punkt, die FF X darstellte. Und da „Veränderung“ und „Entwicklung“ große Stichworte waren, sehe ich den veränderten Ton gar nicht so sehr als Kritik, sondern eher als (wenngleich bisweilen ein wenig stark überzeichnete) logische Konsequenz aus dem Vorgänger. Dennoch wird mir auch die Kritik immer in Erinnerung bleiben – zwar nicht wohlig und als etwas, das ich vermisse, aber deshalb, weil ich sie deutlich mitbekommen habe. Definitiv in Erinnerung bleibt mir wohl auch, dass X-2 jenes Spiel war, das die Franchise deutlich verändern sollte. Hätte es ohne den „Tabubruch“ X-2 die Fortsetzungen von VII gegeben? Darüber kann man nur spekulieren. Definitiv ist für mich allerdings wieder, dass X-2 wohl der letzte für mich persönlich relativ „unumstrittene“ Teil der Serie war – alle folgenden Spiele standen deutlich mehr in meiner Kritik. Und auch wenn X-2 immer nur der „kleine Bruder“ von X war, der an dessen Größe nicht heranreichte, ist er für mich heute untrennbar ein Teil der Geschichte, die andere Seite der Saga rund um Spira. Und alleine deshalb kann und werde ich die Abenteuer von Yuna, Rikku und Payne niemals vergessen können – auch wegen 1.000 Words, das ich bis heute immer wieder im Ohr habe. Und ich freue mich schon, das Spiel wieder in Angriff zu nehmen – auch deshalb, weil ich nun erstmalig auch die Inhalte der International Version spielen kann.

Florian Scherz

Bereits früh entwickelte Florian zwei große Leidenschaften: Videospiele und Theater. Ersteres brachte ihn zu einem Informatikstudium und zu Jobs bei consol.MEDIA und Cliffhanger Productions; zweiteres lässt ihn heute (unter anderem) als Schauspieler, Regisseur, Komponist und Lichtdesigner arbeiten. Wenn er gerade keine Musicals inszeniert, spielt oder schreibt, vermisst er auf Shock2 Videospiele von anno dazumal in seiner Blog-Reihe "Spiele, die ich vermisse".

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