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Spiele, die ich vermisse #83: Full Throttle – Vollgas

Am Anfang dieser Ausgabe meiner Blogreihe muss eine kleine Entschuldigung stehen: Entgegen meiner großen Vorsätze habe ich es letzte Woche einfach nicht geschafft, meinen neuen Eintrag fertigzustellen. Zu viele Dinge im privaten als auch beruflichen (und in einem Bereich, den ich gern als „semi-beruflich“ bezeichne) hielten mich davon ab, mehr als ein paar Zeilen über ein Spiel zu schreiben, das in Wahrheit ein paar Seiten verdient hätte. Also tat ich, was ich tun musste – und setzte eine Woche aus. Doch genug Blick zurück: Wir sehen nach vorne und da sehe ich den Frühling. Alles grünt, blüht – und die Motorradfreunde packen ihre Maschinen aus und machen die Straßen unsicher. Ich bin zwar nie ein Freund der motorisierten Zweiräder gewesen, aber neben Motocross Madness gab es noch ein zweites Spiel, das mich vielleicht dazu machen hätte können. Allerdings handelt es sich hier um kein Rennspiel, sondern um einen Adventureklassiker. Sein Name? Full Throttle – hierzulande wohl besser bekannt unter seinem deutschen Titel „Vollgas“.

In einer gar nicht so weit entfernten Zukunft: Die Welt des Verkehrs hat sich nachhaltig verändert und Hovercrafts sind die dominanten Fahrzeuge auf den Straßen. Nur noch ein letzter Hersteller, nämlich Corley Motors, baut Motorräder – kein Wunder, dass diese Firma bei den Bikern einen besonderen Platz in ihrem Herzen hat. Einer dieser Biker ist Ben (der Plan lautete, ihn Ben Throttle zu nennen, aber da man Klagen von den Machern der Serie „Biker Mice from Mars“ befürchtete, ließ man den Nachnamen unter den Tisch fallen), seines Zeichens Anführer der Polecats und unfreiwilliger Held der Geschichte, in die er rasch hineingezogen wird. Zufällig kreuzen sich nämlich die Wege der Gang, die friedlich die Landstraßen durchstreift, und von Malcolm Corley, dem CEO von Corley Motors, der im Herzen noch immer ein Biker ist und deshalb von allen Gangs respektiert wird.

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Die sich rasch anbahnende Freundschaft zwischen Corley und Ben währt allerdings nicht lange, denn rasch überschlagen sich die Ereignisse: Adrian Ripburger, der Vizepräsident von Corley Motors und das genaue Gegenteil des nostalgischen Bikers, will die Polecats anheuern, um bei der Aktionärsversammlung aufzutreten (zumindest ist das die offizielle Version). Ben weigert sich, wird allerdings bald darauf niedergeschlagen. Als er wieder zu sich kommt, erfährt er, dass seine Gang ohne ihn weitergezogen ist (weil man ihr erzählt hat, dass Ben den Auftrag, Corley zu begleiten, angenommen hat) und muss bald feststellen, dass sein Bike manipuliert wurde, als er schmerzhaften Kontakt mit dem Asphalt nimmt. So lernt er die Mechanikerin Maureen (kurz: „Mo“) kennen, die sein Bike wieder zusammenflickt. Doch dieser Vorfall hat Ben zu lange aufgehalten: Als er endlich zu seiner Gang aufholt, findet er den sterbenden Corley, der ihm verrät, dass Ripburger vorhat, den heimtückischen Mord den Polecats anzuhängen, Corley Motors zu übernehmen und statt Motorrädern Minivans zu bauen. Doch es gibt noch eine Hoffnung: Corleys Tochter – Maureen, die allerdings plötzlich verschwunden ist …

Full Throttle (ich benutze, wie ihr merken werdet, lieber den englischen als den deutschen Titel) ist ein reichlich ungewöhnliches Adventure-Produkt aus dem Hause LucasArts. Das beginnt schon bei Setting: Das Werk von Tim Schafer ist, wie ihr bereits in der kurzen Zusammenfassung des Beginns der Geschichte gelesen habt, eine Mischung zwischen SciFi und Biker-Roadmovie. Aber auch in Sachen Präsentation ging man hier neue Wege: Das erste LucasArts-Adventure, das ausschließlich auf CD-ROM veröffentlicht wurde, nutzte den ungewohnten Speicherplatz für einen gewaltigen Quantensprung in der Präsentation. Das begann bei der Sprachausgabe, die man allerdings schon in den direkten Vorgängern vernehmen konnte (zumindest in den CD-ROM-Fassungen – die Diskversionen von Day of the Tentacle oder Sam & Max: Hit the Road boten nur im Intro eine Vertonung der Dialoge), ging aber weiter bei jeder Menge Zwischensequenzen und sogar Gameplay-Elementen, die nur so möglich waren. Immerhin ist Ben ein Biker, und Biker cruisen nun einmal die Straßen entlang. In einer relativ langwierigen Sequenz muss unser Protagonist einige Einzelteile einsammeln, um den Sprung über eine Schlucht zu sammeln. Das erledigt er allerdings nicht in klassischer Adventure-Manier, sondern mit Fäusten, Ketten und sonstigen Waffen, die er im Kampf gegen andere Motorradfahrer einheimst. Dieser Teil des Spiels nutzt tatsächlich die Rebel Assault-Engine INSANE, um die 3D-Straßenlandschaft mehr oder weniger interaktiv durchfahren zu können.

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All diese Zutaten ergaben einen interessanten Mix, der das Roadmovieflair mit cineastischen Einstellungen und Kamerafahrten rüberbrachte, aber natürlich auch als Adventure funktionierte. Ehrlich gesagt muss man aber zugeben, dass letzteres ein wenig zu kurz kam – Full Throttle ist schön anzusehen, hat eine tolle Atmosphäre und macht echt Laune, aber selbst wenn man das Spiel noch nicht kennt, dauert es nicht besonders lange, bis man den Abspann zu sehen bekommt. Dafür sind die Abschnitte, die man erkundet, zu klein, die Aufgaben zu linear und die Puzzles zu rasch zu durchschauen. Das soll überhaupt nicht suggerieren, dass die Rätsel uninteressant wären – aber im Vergleich zu Monkey Island, Indiana Jones oder sogar dem unmittelbaren Vorgänger Sam & Mix ist hier einfach alles zu simpel. Ähnliche Kritiken musste allerdings bereits Day of the Tentacle einstecken – ob es Zufall ist, dass bei beiden Tim Schafer federführend war? (Allerdings muss man hier auch zu Schafers Ehrenrettung erwähnen, dass sein nächstes Adventure, nämlich Grim Fandango, nicht nur wegen der Steuerung deutlich kniffliger war. Er hat also nicht nur Adventures für Softies abgeliefert).

Wenn wir allerdings schon Vergleiche mit den Vorgängern anstellen, müssen wir noch ein weiteres Kapitel anschneiden: Full Throttle verzichtete (so wie davor schon Sam & Max) auf die altbekannte Verbensteuerung, die jahrelang das Markenzeichen der Lucas Arts-Adventures gewesen war. Das heißt allerdings nicht, dass das Biker-Abenteuer der Steuerungsmethode des Vorgängers übernahm. Hatte das Detektiv-Adventure eine Steuerung, die an die neueren Sierra-Abenteuer erinnerte (nämlich eine Icon-Steuerung, bei der mit der rechten Maustaste gewechselt wurde, welche Aktion man durchführt), bediente sich Full Throttle einer neuen Idee per „Aktionenmünze“ – per Klick auf einen Hotspot geht Ben dorthin, hält man die Maustaste gedrückt, öffnet sich ein kleines Feld, mit dem man eine von vier Aktionen auswählen kann (diese Art der Steuerung fand sich später auch in Curse of Monkey Island). Die vier Aktionen waren in diesem Fall „Augen“ (meist: „sieh an“), „Mund“ („Rede mit“, aber auch „Trinke“, „saug an“, etc.), „Hand“ („nimm“, „zieh“, „drück“, etc.) und „Stiefel“ (meist: „Trete“).  Mit diesen vier Icons, den Dialogen und dem Inventar, das sich per rechter Maustaste öffnen lässt lassen sich alle Rätsel lösen.

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Full Throttle war das erste LucasArts-Adventure, das ich mir einfach blind zum Release kaufte. Es war auch einfach die richtige Zeit dafür: Ich las zu dieser Zeit regelmäßig Videospielmagazine, wusste also, was herauskam. Ich war zu diesem Zeitpunkt völlig mit dem Adventurevirus infiziert und ich war auch bereits ein glühender LucasArts-Fan. Vermutlich hätte ich mir ein Point’n’Click von ihnen gekauft, bei dem es um Gartenzwerge und eine Baumschule ging, einfach nur, weil es von George Lucas‘ Spieleschmiede kam. Das ist aber vermutlich auch gut so, denn wie eingangs erwähnt bin ich alles andere als ein Motorrad-Fan und stehe auch nicht auf knallharte Typen in Lederjacken – wäre Full Throttle von einer anderen Softwareschmiede gekommen, hätte ich vielleicht einen Bogen darum gemacht. Und was ich dann versäumt hätte, hätte ich nie erfahren.

„Whenever I small asphalt, I think of Maureen“. Mit dieser knappen Zeile beginnt Full Throttle, und bereits ab dieser ersten Zeile hatte mich das Spiel gepackt. Das lag sicher auch am genialen Voice Acting. Der wohl bekannteste Name im Spiel ist Mark Hamill (als Adrian Ripburger), aber der Star ist zweifellos Roy Conrads Ben. Mit seiner tiefen, coolen Bassstimme konnte der Schauspieler den Biker knallhart und gleichzeitig sympathisch rüberbringen. Ich kann mich an eine Kritik erinnern, die über ihn schrieb „Wenn man ihn hört, will man sich gleich eine Stange Zigaretten kaufen und auf einmal rauchen, nur um wie er zu klingen“. Da ist es fast ironisch, dass Conrad Nichtraucher war – und dennoch 2002 an Lungenkrebs verstarb.

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Doch zurück zu dieser ersten Zeile: In meinem Freundeskreis, der damals jede Menge Adventurefans beinhaltete, wurde dieser Satz bald zum geflügelten Wort – genauso wie „You know what might look better on your nose? The bar“ (ein Satz, bei dem Ben den Nasenring eines Barkeepers benutzt, um ihm Kontakt mit der Bar zu verschaffen), aber sogar die Lösung eines ganz bestimmten Rätsels („Zuerst anklopfen, dann eintreten“) fand Eingang in unseren Sprachgebrauch. Und dass die Erwähnung von Duracellhäschen im Minenfeld samt dazu passender Musikuntermalung bis heute für Gelächter sorgt, zeigt ganz klar, dass sich große Teile des Spiels in unser kollektives Gedächtnis gebrannt haben.

Dafür hat vermutlich auch gesorgt, dass Full Throttle zwar nicht in meine Dauer-Adventure-Rotation gerutscht ist (siehe auch Monkey Island), aber dennoch mit einer gewissen Regelmäßigkeit durchgespielt wurde. Es spricht vermutlich für die Einfachheit des Spiels, dass ich trotz größerer Abstände jedes Mal relativ problemlos durchlaufe. Allerdings kommt diese Kompaktheit der Inszenierung zu Gute, die temporeich bleibt, sich nur selten bremsen lässt und damit anders als die oft gemütlichen Adventures abläuft. Dazu gehört auch, dass es durchaus möglich ist, dass Ben sein Lebenslicht aushaucht, weil er eine falsche Entscheidung trifft oder auch einfach zu langsam ist. Das ist allerdings kein Bruch mit dem typischen LucasArts-Adventure-Prinzip, denn nach einem kurzen Kommentar, dass Ben es gerne nochmal probieren würde, steht der Biker wieder genau vor der fatalen Situation und kann sie diesmal vermeiden. Einfach, oder?

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Damit sind wir aber auch schon bei einem Schwachpunkt an Full Throttle, der mich persönlich immer ein wenig gestört hat: die Actioneinlagen. Von den Kämpfen gegen andere Biker habe ich ja bereits kurz gesprochen, aber vor allem aus technischer Perspektive. Aus spielerischer Perspektive empfinde ich diesen Teil aber als Schwachpunkt. Man fährt die Straßen ab, wartet auf Gegner, die man hoffentlich besiegen kann, sammelt ihre Waffen, damit man andere besiegen kann, und knackt so irgendwann das Geheimnis der Catfish-Gang. Klar muss man kurz tüfteln, welche Waffe hier gegen wen hilft, aber dennoch ist es nicht gerade der Höhepunkt der Handlung. Und auch das Crash-Car rennen, das gegen Ende des Spiels stattfindet, ist zwar eigentlich ein großes Puzzle, wirkt aber nicht so rund wie der Rest des Spiels.

Doch lassen wir die Schwachpunkte hinter uns und widmen uns den schönen Dingen: Warum vermisse ich Full Throttle? Weil es trotz der Actioneinlagen ein brillant inszeniertes, rundes Erlebnis war. Es war kein Puzzlemonster wie The Dig, es war nicht so slapstickhaft wie Day of the Tentacle oder Monkey Island, es war ein ganz eigenes Spiel mit dichter Atmosphäre und einem eher trockenen Humor. Und das war die Kunst von LucasArts von damals: Kein Spiel war hier wie ein anderes. Das machte ihren Ruf aus, und das war auch gut so, denn wie gesagt hätte ich mir wohl kaum ein Spiel rund um einen bärtigen Biker gekauft, wäre es nicht von ihnen gekommen. Gewissermaßen habe ich hier auch gelernt, ein Spiel nicht nach seinem Cover zu beurteilen. Außerdem war es wohl jenes Spiel, das mir klar machte, dass Tim Schafer immer wieder gute Spiele ablieferte. Es lieferte mir Zitate, die ich bis heute zitiere. Und nicht zuletzt steht Full Throttle für mich auch für den Anfang vom Ende LucasArts. Nein, nicht wegen Teil eins, sondern wegen des Sequels. Gleich zweimal wurden nämlich Fortsetzungen angekündigt, einmal ein echtes Adventure namens Payback, das 2001 eingestellt wurde – zu einem Zeitpunkt, als LA meinte, dass sich Adventures nicht mehr auszahlen würden. Und diese Überzeugung zeigte sich wohl im zweiten Teil zwei, einem Spiel namens Hell on Wheels (angekündigt 2002), das ein Action-Adventure werden und sich stärker auf Action fokussieren hätte sollen. Beide Entscheidungen machten mir klar, dass das LucasArts, das ich geliebt hatte, Geschichte war. Und glaubt mir, das war ein wirklich trauriger Tag in meinem Leben.

Florian Scherz

Bereits früh entwickelte Florian zwei große Leidenschaften: Videospiele und Theater. Ersteres brachte ihn zu einem Informatikstudium und zu Jobs bei consol.MEDIA und Cliffhanger Productions; zweiteres lässt ihn heute (unter anderem) als Schauspieler, Regisseur, Komponist und Lichtdesigner arbeiten. Wenn er gerade keine Musicals inszeniert, spielt oder schreibt, vermisst er auf Shock2 Videospiele von anno dazumal in seiner Blog-Reihe "Spiele, die ich vermisse".

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