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Spiele, die ich vermisse #77: Archon: The Light and the Dark

Das Leben steckt voller Veränderungen. Vor etwas mehr als drei Monaten endete meine Zeit als Videospielredakteur, seit zwei Wochen stehe ich offiziell auf der anderen Seite der Videospielindustrie und arbeite nun beim österreichischen Entwickler Cliffhanger Productions (ja, das sind die mit Shadowrun Online). Das wird auf diesen Blog eher wenige Auswirkungen haben – schließlich bekomme ich es dort eher selten mit ständig wechselnden Spielen zu tun, sondern konzentriere mich längere Zeit auf die aktuellen Projekte, über die ich dann aber natürlich auch bisweilen nicht einfach sprechen darf. In diesem Fall mache ich aber eine kleine Ausnahme: Cliffhangers Strategiespiel Ærena, mit dem ich mich die letzten Wochen sehr viel beschäftigt habe, ist immerhin bereits unter anderem über Steam Early Access verfügbar und jeder kann es einfach ausprobieren. Außerdem dient es ja eigentlich auch nur als Inspiration für folgende Geschichte: Das Rundenstrategiespiel, das von etlichen Spielern mit Schach verglichen wird, erinnert mich nämlich an ein ganz anderes Spiel, das ebenfalls oft und gerne mit Schach verglichen wurde, aber schon über 30 Jahre auf dem Buckel hat. Sein Name? Archon: The Light and the Dark.

Entwickelt wurde Archon von Free Fall Associates – genauer gesagt Jon Freeman, seiner Frau Anne Westfall und Paul Reiche III, also jenen Leuten, die später mit ihrer neuen Firma Toys for Bob die Star  Control-Serie erschufen und zuletzt die ersten beiden Skylanders-Spiele entwickelten. Sie ließen sich für ihr Spiel allerdings nicht nur von Schach inspirieren, sondern auch vom ersten Star Wars-Film – genauer gesagt von jener Szene, in der Chewbacca gegen R2D2 Dejarik (dieses holografische, Schachähnliche Spiel, das die beiden im Millenium Falcon spielen) zockt.  Das Resultat erinnert ein wenig an Schach, hat aber eigene Regeln und außerdem eine Action-Komponente. Wie das funktioniert? Nun, lest weiter.

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Der erste Eindruck, wenn man eine Partie Archon startet, ist definitiv „Schach“. Das liegt ganz klar an einem Feature: Das Spielfeld ist in weiße und schwarze Felder eingeteilt und auf der linken bzw. rechten Seite stehen die Einheiten der beiden Fraktionen in den jeweils ersten beiden Spalten. Nach diesem ersten Eindruck entdeckt man aber bald erste Unterschiede: Das Spielbrett ist 9×9 Felder groß (statt 8×8 beim Schach), aber eben doch nicht überall nur weiß und schwarz – die mittlere Spalte bzw. Reihe (abgesehen von den Feldern ganz links und rechts außen) sowie die Diagonalen, die die Felder, die in diesen Reihen und Spalten außen sind, verbinden (ein Screenshot macht das gleich ein wenig klarer) sind in einer anderen Farbe gehalten und wechseln von Zug zu Zug von Schwarz zu Weiß über verschiedene Graustufen. Außerdem bestehen die Armeen aufgrund der Brettgröße aus jeweils 18 Steinen (statt 16 beim Schach) und die Figuren der beiden Fraktionen sind nicht ident. Auch die Siegbedingungen sind anders: Es gibt nämlich keinen König, den man matt setzen kann, stattdessen gewinnt jene Seite, die entweder alle Gegnerfiguren eliminiert, dem Gegner jede Zugmöglichkeit nimmt oder alle fünf Kraftpunkte auf dem Spielfeld besetzen kann. Klingt plötzlich gar nicht mehr so sehr nach dem guten alten Brettspielklassiker, oder?

Andere Dinge erinnern deutlich mehr an Schach: Jede Runde darf der Spieler, der an der Reihe ist, eine Figur bewegen. Jede Einheit kann eine typbestimmte, begrenzte Anzahl von Feldern gehen und nur manche können über andere hinwegfliegen (denkt an die Springer im Schach), während andere von eigenen und fremden Einheiten behindert werden. Gerade fremde Einheiten kann man aber natürlich ausschalten: Gelangt man auf ein Feld, auf dem ein Gegner steht, wird dieser geschlagen – aber nicht gleich aus dem Spiel entfernt.

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Stattdessen begibt man sich hier in den Action-Teil von Archon: Die beiden Einheiten, die sich auf demselben Feld befinden, wechseln in eine Kampfarena und müssen hier einen Kampf auf Leben und Tod ausfechten. Hier kommen viele verschiedene Faktoren zum Tragen: Einerseits natürlich die Einheit selbst, die unterschiedliche Angriffe, Geschwindigkeiten und Fähigkeiten mit sich bringen; andererseits die Farbe des Felds, auf dem der Kampf stattfindet – je dünkler, desto stärker wird die Einheit der dunklen Seite sein, während die helle Fraktion schwächelt – und umgekehrt. Deshalb ist es nicht nur wichtig, sich gut zu überlegen, mit welcher Einheit man welche Figur angreift, sondern auch, wann man dies tut – denn greift man eine Kreatur zum richtigen Zeitpunkt an, geht man mit mehr Hitpoints ins Gefecht und kann auch stärkere Wesen leichter ausschalten. Übrigens werden Verletzungen (also jene, die tatsächlich über die Bonus-HP durch das Feld hinausgehen) nicht geheilt – man kann Gegner also durchaus auch „auf Raten“ töten. Fest steht nur: Jene Figur, die am Ende des Gefechts lebt, bleibt auch auf dem Feld – die andere wird aus dem Spiel entfernt.

Ich will hier auch gar nicht alle Figuren aufzählen, die sich im Spiel finden – aber ein paar Exemplare haben sich eine Erwähnung verdient: Ritter (hell) bzw. Goblins (dunkel) gibt es am Spielfeld am häufigsten – genauer gesagt finden sie sich in der vorderen Spalte der Armeen (mit Ausnahme der Felder ganz oben und ganz unten) und deshalb gleich sieben Mal auf dem Feld. Allerdings attackieren sie nur mit Schwertern beziehungsweise Knüppeln und haben kaum Hitpoints, weshalb sie auf Glückstreffer aus der Nähe hoffen müssen. Die Banshee gibt es auf der dunklen Seite zwei Mal und attackiert mit ihrem Schrei – jeder, der sich in der „Klangwolke“ befindet, verliert pro Sekunde einen Hitpoint. Einhorn bzw. Basilisk sind äußerst schnelle Schützen (ja, das Einhorn schießt aus dem Horn) und der dunkle Formwandler verwandelt sich einfach in jenes Monster, gegen das er kämpft; und nicht zuletzt gibt es da noch den Zauberer bzw. die Zauberin, die ganz besondere Einheiten darstellen.

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Nein, sie verhalten sich nicht wie die Könige im Schach – auch wenn man die beiden Einheiten verliert, geht das Spiel weiter. Aber sie ermöglichen eine weitere taktische Perspektive, da sie sieben Zaubersprüche besitzen, die allerdings nur einmal pro Spiel (und Seite natürlich) verwendet werden können. Auch hier will ich gar nicht die ganze Liste aufzählen, aber besonders nützlich sind wohl neben dem Teleport auch der Wiederbelebens-Spruch, der eine Einheit zurück aufs Spielbrett holt, und der Bann-Spell, der eine Einheit am Ziehen hindert. Dieser Spruch ist es auch, der überhaupt erst den Sieg durch „Gegner kann nicht mehr ziehen“ überhaupt erst ermöglicht, wenn man ihn auf den letzten Feind castet.

Archon: The Light and the Dark erschien 1983 für den Atari 800 – zu früh, als dass ich beim Launch dabei gewesen wäre (abgesehen davon, dass ich nie einen Atari 800 hatte). Meinen ersten Kontakt mit Archon hatte ich deshalb irgendwann in der zweiten Hälfte der 80er mit der C64-Version (es gab aber auch Fassungen u.a. für Amiga, Apple II, PC und NES). Schon damals hatte ich Interesse an Schach (was jetzt nicht heißt, dass ich besonders gut war), weshalb Archon mit seinem ähnlichen Spielbrett offene Türen einrannte – und kaum hatte ich zu spielen begonnen, fesselte mich das völlig andere Spielprinzip umso mehr. Ich meine, wer hat sich nicht schon manchmal beim Schach gewünscht, dass die Bauern einfach mal zurückschlagen und sich nicht einfach vom Feld meucheln lassen?

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Übrigens war auch Archon eines jener Spiele, bei denen ich mich gar nicht so oft mit der KI anlegte. Viel öfter als das trat ich einfach gegen mich selbst an und versuchte, mich selbst zu schlagen. Das lag nicht nur daran, dass die KI gar nicht so unintelligent auftrat (obwohl man aus heutiger Sicht bemängeln könnte, dass sie sehr eindeutig regelbasiert war und deshalb nicht immer die taktisch klügste Entscheidung traf, sondern z.B. gewisse Sprüche nur unter gewissen Umständen einsetzte), sondern auch daran, dass ich einfach alle Einheiten ausführlich kennenlernen wollte. Die schönsten Matches waren außerdem sowieso jene, wo man wirklich gegen einen Freund antrat – was immer wieder geschah und in spannenden Gefechten im Spielzimmer ausartete.

Aber kommen wir zum Ende: Warum vermisse ich Archon: The Light and the Dark? Weil es eine interessante Spielidee mit einer interessanten Umsetzung kombiniert. Schach mag ein Ausgangspunkt gewesen sein, doch das Resultat spielt sich völlig anders. Taktik kombiniert sich in meiner Erinnerung ausgiebig mit den (meist) spannenden Gefechten zwischen hell und dunkel. Gleichzeitig ist Archon zwar keine Eintagsfliege (es gibt ein offizielles Sequel namens Archon II:Adept, das sich aber stark vom Original unterscheidet, sowie mehrere Remakes), aber hat nach den hohen Wellen, die es in den frühen 80ern schlug, heute keine echte Relevanz (und keine guten Nachahmer) mehr – ein Grund, die Zeiten der Kämpfe zwischen hell und dunkel zu vermissen, und sich zurück an jene Zeiten zu erinnern, als Drache gegen Zauberer kämpfte und Einhörner auf Goblins schossen. Und mit einem kleinen Schauer der Nostalgie schließe ich damit meinen Rückblick auch für heute ab.

Florian Scherz

Bereits früh entwickelte Florian zwei große Leidenschaften: Videospiele und Theater. Ersteres brachte ihn zu einem Informatikstudium und zu Jobs bei consol.MEDIA und Cliffhanger Productions; zweiteres lässt ihn heute (unter anderem) als Schauspieler, Regisseur, Komponist und Lichtdesigner arbeiten. Wenn er gerade keine Musicals inszeniert, spielt oder schreibt, vermisst er auf Shock2 Videospiele von anno dazumal in seiner Blog-Reihe "Spiele, die ich vermisse".

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