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Spiele, die ich vermisse #72: Leisure Suit Larry 6: Shape Up Or Slip Out!

Willkommen im Jahr 2014! Ich hoffe, ihr habt den Jahreswechsel gut überstanden und – wie wohl fast alle – dabei entweder zurück oder nach vorne (oder beides) geblickt. Ohne viele Worte dazu zu verlieren: Das habe ich auch getan – mit einem ganz eindeutigen Resultat, das ihr hier lesen könnt. In einer Reihe, die sich vor allem mit dem Blick zurück beschäftigt, ist es wohl kein Wunder, dass auch hier Vergangenes Inspiration für den aktuellen Eintrag war. In diesem Fall war es die letzte Ausgabe der Blogreihe, nämlich der Jahresrückblick, der mir ganz klar zeigte, womit sich dieser Eintrag in „Spiele, die ich vermisse“ beschäftigen sollte: Mein Projekt, alle Larry-Spiele (zumindest die, die man „echte“ Larry-Titel nennen darf) durchzuspielen, schlief irgendwann nach Teil 5 (und damit zu einem Zeitpunkt, wo jene Titel, die ich wirklich gut kenne, erst kommen) ein, sodass im letzten Rückblick das Wort „Larry“ gar nicht vorkam. Grund genug, Anfang 2014 in das Reich der Polyesteranzüge zurückzukehren und den Marathon ein Stücken weiter gen Ende zu laufen: Willkommen bei Leisure Suit Larry 6: Shape Up Or Slip Out.

Erinnern wir uns zurück: Als wir Larry am Ende von Blog #46 – und damit am Ende von Leisure Suit Larry 5: Passionate Patti Does A  Little Undercover Work – zurückließen, war die Welt des alternden Schwerenöters wieder in Ordnung. Er wusste zwar noch immer nicht, wie er seine geliebte Patti verloren hatte (diese Erzählung ist, so LSL5, Teil des nie erschienenen Larry IV), aber im Endeffekt begegnete er seiner Traumfrau wieder und konnte sogar noch den Präsidenten retten. Ob das eine kluge Wahl war der Entwickler war, sei dahingestellt – und zwar deshalb, weil Larry 6 damit in Sachen Geschichte vor demselben Problem stand wie Teil 5: Larry hatte doch eigentlich seine Traumfrau gefunden – warum sollte er  wieder zu seinem Swinger-Lebensstil zurückkehren? Doch was wäre Larry ohne amoröse Abenteuer mit möglichst vielen Frauen, die in möglichst peinlichen Situationen enden (aufmerksame Leser kennen die Antwort: Leisure Suit Larry II – aber ganz ehrlich, das ist nicht das Highlight der Serie)? Anders als bei Larry 5, bei dem man mit Amnesie und fehlenden Teilen herumtrickste, geht hier Larry 6 den deutlich einfacheren Weg und ignoriert die Vorgänger einfach: Larry ist scheinbar Single (zumindest behauptet er nichts anderes), über Patti, die beim letzten Mal noch ein ebenbürtiger Charakter war, wird einfach kein Wort verloren, und unser Anti-Held ist wie immer auf der Jagd nach jeder Frau, die nicht bei drei auf den Bäumen ist.

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Sein Jagdrevier ist diesmal das Gesundheitsressort La Costa Lotta, wo Larry einen zweiwöchigen Urlaub auf Kosten der TV-Show Stallions absolviert, bei der er spontan als Kandidat eingesprungen ist. Und ihr könnt euch wohl schon vorstellen, was ihn dort erwartet: Jede Menge Frauen, mit denen der Polyesterträger gerne in die Kiste hüpfen würde. Doch damit es zwischen ihnen und Larry zu Begegnungen der intimeren Art kommen kann, muss er sie erst durch Taten und Geschenke von seinen Qualitäten überzeugen – und selbst dann ist Erfolg keineswegs garantiert, denn wer diese Spieleserie kennt, weiß, dass es meist genau dann, wenn er sich schon im siebten Himmel glaubt, etwas gehörig schiefgeht. Dass diese Situationen (meistens) für den Zuseher witzig sind, liegt einmal mehr an den Damen und ihren speziellen Interessen. Schöne Beispiele aus Teil 6 dafür sind beispielsweise die bungee-süchtige Merrily, die „hüftbetonte“ Frau an der Rezeption namens Gammie, die hinter ihrem Pult noch richtig schlank gewirkt hat, aber eigentlich nur ihre Cellouite loswerden will, und die Country-Sängerin Burgundy sowie die Fitnesstrainerin Cavaricchi, die ein Date zu Dritt in der Sauna ganz anders enden lassen, als Larry das geplant hatte.

In Sachen Gameplay folgt Larry 6 einer Formel, die schon im ersten (und übrigens auch im dritten) Teil hervorragend funktioniert hat: Es handelt sich gewissermaßen um ein Open World-Adventure, denn eigentlich steht Larry fast jeder Raum des Spas von Anfang an offen (zumindest jene, die er auch irgendwann betreten soll – ein Hotel hat schließlich viele Türen). Auch die Mädchen kann er großteils von der ersten Minute an kennenlernen, und die Reihenfolge, in denen er mit ihnen seine erotischen Abenteuer auslebt, ist auch relativ frei zu wählen. Relativ deshalb, weil es dann dennoch Dinge gibt, die voneinander abhängen – beispielsweise braucht Shablee, das Mädchen im Schminkraum, ein Kleid, das man aber erst bekommt, wenn man mit Burgundy weit genug vorangeschritten ist. Von der Linearität, die viele andere Adventures auszeichnete und die diese Serie insbesondere in Larry 2 getestet hatte, ist man hier dennoch meilenweit entfernt.

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Ein großes Endziel gibt es allerdings dennoch: Mit jedem Fehlschlag sammelt Larry Gegenstände, die er braucht, um die schöne (und reiche) Shamara zu verführen. Diese sitzt einsam in ihrem Penthouse und meditiert über den Sinn des Lebens. Aus irgendeinem Grund erkennt sie in Larry jemanden, der sie auf diesem Pfad weiterführen kann – sofern er das mit den richtigen Items untermauern kann, die die Lady in ihrem luftigen (und durchsichtigen) Outfit natürlich vollkommen überanalysiert, um hinter einem simplen Geschenk eine ultimative Lektion ihres Lehrmeisters zu entdecken.Sie ist also – genauso wie Eve in Teil 1 und Patti in Teil 3 – jene Frau, die es im Endeffekt rumzukriegen gilt, um das Spiel zu gewinnen und Larry in den siebten Himmel zu schicken (was mit allerhand eigentlich unschuldigen Videos, die aber im Kontext komplett anders interpretiert werden können – Stichwort Ölpumpen oder aufblühende Blumen – illustriert wird. Mich erinnert das immer an die Sex-Szene aus „Die Nackte Kanone 2 ½“).

Interessanterweise gibt es übrigens relativ wenige Geschichten über die Entwicklung von Larry 6. Musste bei Larry 5 noch lang und breit erklärt werden, warum nun eigentlich Teil 4 fehlt, und war Larry 7 nicht nur der Höhe- sondern auch der Endpunkt der Serie, flog Larry 6 scheinbar ein wenig unter dem Radar und wurde mit relativ wenigen (zumindest heute noch auffindbaren) Erzählungen über seine Entstehungsgeschichte bedacht. Einen kleinen Einblick gibt es dann allerdings doch – Al Lowe veröffentlichte nämlich auf seiner Seite das Design-Dokument, das auf knapp 70 Seiten alles erklärt, was die Entwickler brauchten, um das Spiel fertigzustellen. Welche Gegenstände gibt es im Inventar, was kann man damit machen? Welche Räume gilt es zu erkunden? Was ist die Geschichte? Und: Welche Mädchen erwarten Larry? Wenn man das Dokument studiert, sobald man das Spiel gespielt hat, ist es vor allem interessant, die Diskrepanzen zu erkennen. So dürfte die Intro-Sequenz mit der Game-Show noch länger gewesen sein (sie ist aber jetzt eigentlich schon gefühlt zu lange, auch wenn große Teile quasi mit der Fernbedienung und Vorspulen übersprungen werden) und es gab eine weitere Frau, an der Larry seinen Charme ausprobieren konnte. Frau Michlieb sollte eine reiche, dicke Frau mittleren Alters sein, die Larry mit Essen versorgen sollte – was zu einem desaströsen Anwachsen ihrer Körpermaße geführt hätte. Allein die Vorstellung dieser Sequenz erklärt ganz gut, warum sie gestrichen wurde – schon im veröffentlichten Designdokument ist sie allerdings nicht mehr an allen Stellen zu finden.

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Nachdem bei Larry 5 eine kleinere Revolution in Sachen Steuerung ihren Anfang nahm – bis inklusive Teil 3 gab es noch die alte Parsersteuerung, ab dann die neue Sierra-Steuerung mit Icons und einer ausfahrbaren Auswahlleiste am oberen Bildrand – machte Larry 6 nur eine kleine Veränderung durch: Gerade zu jenem Zeitpunkt, als LucasArts die Aufteilung in „obere zwei Drittel Gameplay, unten Verbensteuerung“ aufgab, führe Al Lowe diese in seine Serie ein – in Shape Up Or Slip Out  ist das untere Screen-Drittel für eine Icon-Leiste, den Punktestand sowie das Inventar reserviert, der Rest gehört (abgesehen von der Menüleiste ganz oben) dem Blick auf La Costa Lotta. Das gilt allerdings nur für die ursprüngliche VGA-Version. Die überarbeitete SVGA-Fassung verschob die Leiste an den oberen Bildrand (wo sie mit der Menüzeile fusioniert wurde), während der untere Bereich für die animierten Portraits bei Gesprächen und den Text genutzt wurde, die bei der VGA-Fassung noch mitten in der Szenenansicht aufploppten. Bis heute kann ich mich nicht hundertprozentig entscheiden, welche Fassung mir lieber ist – die VGA-Fassung, die ich besser kenne, gefällt mir in Sachen UI besser (vor allem bleibt die Frage, warum die Gespräche unten stattfinden müssen und warum man diesen Bereich nicht besser genutzt hat), aber die schöner aufgelöste Grafik der SVGA-Fassung sieht natürlich deutlich besser aus. In einer Sache muss man heutzutage allerdings immerhin keine Abstriche mehr machen: Zumindest die Versionen von GOG bieten in beiden Fassungen die Sprachausgabe der CD-ROM-Version.

Damit bin ich auch schon beim „persönlichen“ Teil dieses Eintrages angekommen. Wer den Marathon bis hierher verfolgt hat, weiß, dass mein erster Larry-Teil tatsächlich die erste Episode war. Aber wenn man mich fragt, welches das erste Spiel mit Mr. Laffer war, das ich durchgespielt habe, würde ich darauf wohl Larry 6 sagen. In meine Hände gelangt ist es einige Zeit nach dem Erscheinen über meine Schul-Adventure-Allianz, die ich im Laufe der Zeit schon ein paar Mal erwähnt habe: Wir kauften uns Adventures, die dann hin- und her gingen und von allen durchgespielt wurden. Da ich mir zu diesem Zeitpunkt die Sierra-Adventures nie kaufte (die Trendwende waren hier erst King’s Quest VII sowie Larry 7), musste ich also warten, bis sich jemand das Spiel zulegte und dann auch noch durchgespielt hatte, damit ich es mir ausborgen konnte.

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Wie schon bei den Larry-Teilen zuvor war es natürlich in dem Alter, in dem ich mit den Spielen in Kontakt kam, der Schlüpfrigkeitsfaktor, der mich anzog. Allerdings machte mir das Spiel auch auf Anhieb klar, wie weit es sich seit dem ersten Kontakt (ich hatte ja alle Teile seit dem ersten Spiel ausgelassen) entwickelt hatte: Larry 6 war als Adventure zwar völlig anders als Monkey Island und Co., aber es war dennoch gefüllt mit Rätselnüssen, die allerdings – so ehrlich muss man aus der Distanz sein –nie so ausgefeilt waren, wie es die aus dem Hause LucasArts waren. Dafür sind sie immer wieder für einen (zumindest pubertierenden) Lacher gut – zum Beispiel, wenn sich Larry aus einer Packung Zahnseide und einem Brillenputztuch(!) eine „europäische“ Badehose baut (der Waschlappen wäre zu schwer dafür, wie das Programm uns erklärt, wenn wir diesen mit der Zahnseide benutzen wollen …) – zum Glück müssen wir uns das nicht aus nächster Nähe ansehen.

Distanz ist auch ein gutes Stichwort, denn wenn mir eines bei meinem aktuellen Durchlauf auffiel, dann die Tatsache, dass Dinge, die vor fast zwanzig Jahren zum Schreien komisch waren, heute nur noch ein müdes Lächeln auslösen oder einfach nur zum Fremdschämen führen. Das trifft insbesondere auf die Begegnung mit der Spanierin Rose zu – und liegt wahrscheinlich daran, dass mir erst diesmal klar wurde, dass ihr „High Colonic Treatment“ nicht einfach „nur“ eine Enthaarungsprozedur an Larrys Hinterteil darstellt, sondern ein wenig… tiefer geht. Danke, das ist jetzt nicht gerade meine Art von Humor, auch wenn man natürlich (typisch Larry) keine nackten Details sieht, die man nicht auch im Vorabendprogramm zeigen würde. Schlüpfrig und angedeutet, ja. Grafisch in Szene gesetzt – eher nein. Für ein Spiel, das vom Label „Erotik“ lebt, zeigt sich Larry 6 teilweise sogar recht prüde und nacktere Tatsachen verstecken sich hinter Easter Eggs, wie der Tatsache, dass man eine Fliese im Duschraum verschieben und damit zum Frauen-Pendant durchschauen kann.

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Eine Sierra-Eigenart hatte man übrigens auch in Teil 6 nicht abgelegt: Es ist durchaus möglich, zu sterben. Bringt Larry etwa die lesbische Gymnastiktrainerin dazu, ihm ihre Brüste zu zeigen, klebt er im nächsten Moment mit dem Kopf an einem Stahlrohr an der Decke und haucht sein Lebenslicht aus. Allerdings wurden diese Momente durchaus entschärft: Einen Mausklick später ist Larry wieder im Spiel, eine Aktion vor dem fatalen Mausklick. Das erspart das beständige Speichern und ist damit eine willkommene Verbesserung. Willkommen ist aber auch, dass man sich vom Handhalten von Teil 5 abgewandt hat. Dort konnte man Dinge vergessen oder einfach nicht erledigen und konnte dennoch den Abspann sehen. Zum Ausgleich ist es hier allerdings möglich, gnadenlos hängen zu bleiben, wenn man das richtige Item oder den richtigen Kniff nicht findet. Da man allerdings problemlos auf andere Mädels und ihre Lösung wechseln kann, fällt das gar nicht so schwer ins Gewicht.

Also, warum vermisse ich Larry 6? Weil es jenes Spiel war, das mich endgültig zum Fan der Reihe machte. Larry 7 wurde sofort zum Release gekauft, und ich hätte das nicht getan, hätte ich nicht Teil 6 geliebt und mehrfach durchgespielt. Deshalb ist es auch der erste Teil, bei dem ich die Lösung zwar nicht perfekt auswendig weiß (wie mein Durchlauf eben erst wieder bewies), aber bei dem ich zumindest weit genug Bescheid weiß, um mich mit ein paar Versuchen zum Abspann durchzuarbeiten. Das ist auch gut so, denn trotz allem handelt es sich um ein Adventure, das fast 21 Jahre auf dem Buckel hat, und dementsprechend unter einigen Dingen leidet, die man heute als Mangel werten würde (keine Hotspotanzeige steht ganz oben auf der Liste). Eingebrannt haben sich aber auch manche Situationen mit den Mädels, darunter das Nackt-Bungiespringen oder die Saunasequenz – auch wenn man klar feststellen muss, dass es in diesem Spiel für fast jeden „Hit“ ein „Miss“ gibt und einige Sequenzen heute nicht mehr so lustig sind wie damals. Generell stellt Larry 6 aber eine gute Mischung aus „Herausforderung“ und „Humor“ dar, die an diesem Punkt (eigentlich zum ersten Mal in der Serie) so richtig passt. Und (nicht zuletzt) stellt Larry 6 den perfekten Prolog zu meinem Lieblingsteil der Serie, nämlich Teil 7 dar – dieser beginnt nämlich quasi unmittelbar nach dem Abspann von Teil 6. Darauf, diesen zu spielen, werde ich vermutlich nicht allzu lange warten – und dann werdet ihr an dieser Stelle lesen, warum ich Larry 7 vermisse. Bis dahin: Stay Retro!

Florian Scherz

Bereits früh entwickelte Florian zwei große Leidenschaften: Videospiele und Theater. Ersteres brachte ihn zu einem Informatikstudium und zu Jobs bei consol.MEDIA und Cliffhanger Productions; zweiteres lässt ihn heute (unter anderem) als Schauspieler, Regisseur, Komponist und Lichtdesigner arbeiten. Wenn er gerade keine Musicals inszeniert, spielt oder schreibt, vermisst er auf Shock2 Videospiele von anno dazumal in seiner Blog-Reihe "Spiele, die ich vermisse".

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