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Spiele, die ich vermisse #64: The 7th Guest

Es gibt jene Tage und Wochen, an denen es mir schwer fällt, ein gutes Indiz für einen neuen Blog-Eintrag zu finden. Und dann gibt es jene, in denen sogar mehrere Zeichen zu ein und demselben Spiel führen. Letzteres trifft auf diese Woche zu. Punkt Nummer 1: Ich habe mich (streng beruflich natürlich) mit dem sechsten Teil einer sehr beliebten Puzzle-Spiel-Serie beschäftigt. Punkt Nummer 2: Bei allen Turbulenzen rund um „hat Print noch eine Zukunft“ habe ich mich gefragt, ob ich mich noch an das erste Magazin erinnern kann, das ich mir gekauft habe – und welche Spiele darin waren. Und die Antwort lautet: Ja, ich kann mich zumindest noch an ein Spiel erinnern. Sein Name? The 7th Guest.

Nun soll es tatsächlich Leute geben, denen dieses (für das Jahr 1993) bahnbrechende Spiel nichts sagt. Deshalb hier eine kurze Zusammenfassung: Henry Stauf, ein Landstreicher hat er Visionen von einer Puppe, die er am nächsten Morgen schnitzt. Diese Figuren machen ihn berühmt und wohlhabend, da plötzlich jedes Kind eine haben möchte; bald darauf erweitert er sein Sortiment um Rätsel. Allerdings geschieht etwas Schreckliches: Kinder, die eine Stauf-Puppe gekauft haben, sterben an einer unerklärlichen Krankheit. Nach einer dritten Vision erbaut der Spielzeugmacher ein großes Anwesen außerhalb der Stadt und ward nicht mehr gesehen. Doch bald darauf treffen sechs Gäste ein, die zwar nicht den Gastgeber, aber Instruktionen finden: Gelingt es ihnen, die Rätsel im Haus zu lösen, wird er ihnen den größten Wunsch gewähren. Doch in Wahrheit gibt es noch einen siebenten Gast: Ein junger Bursche namens Tad ist im Rahmen einer Mutprobe in das Haus eingedrungen und damit bald in großer Gefahr.

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Was wir damit zu tun haben? Eigentlich zunächst (scheinbar) gar nicht so viel. Nach der Einleitung stehen wir in Ego-Sicht (bis fast zum Ende sehen wir niemals unseren Körper, sondern hören nur unsere Stimme) vor der großen Freitreppe des dunklen, verlassenen Hauses und stellen fest, dass wir nicht wissen, wie wir in das Anwesen gelangt sind. Also stolpern wir durch dunkle Räume, erleben in diversen Geistererscheinungen, was den Gästen von damals zugestoßen ist, und lösen die Rätsel, die Stauf hinterlassen hat. Nach und nach eröffnen sich uns weitere Bereiche und die Wahrheit, was sich in diesem Haus zugetragen hat (nicht zufällig ist Stauf ein Anagramm von Faust). Oh, und auch das Geheimnis, was wir an diesem Ort machen, wir gelüftet.

Die Rätsel sind Großteils losgelöst von der Handlung (es gibt vereinzelte Ausnahmen) und erinnern an typische Logikpuzzles. So müssen wir in einem der ersten einen Kuchen so aufteilen, dass jeder Teil zusammenhängt und aus je zwei Stücken mit einem Grabstein, zwei mit einem Totenkopf und einem leeren Abschnitt besteht; später müssen wir alle Särge schließen, wobei jede Bewegung eines Sargdeckels jene in der Umgebung mitbewegt, oder einen (englischen) Satz ohne Vokal bilden (ja, das geht). Angesport (oder auch verlacht, wenn wir einen Fehler machen) werden wir dabei von der geisterhaften Stimme des Henry Stauf, der scheinbar gar nicht will, dass wir seinem Geheimnis auf die Spur kommen.

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Was jetzt noch gar nicht so aufregend oder so besonders klingt, wurde allerdings durch die technische Aufmachung bahnbrechend. Vergessen wir nicht: 1993 stehen wir ganz am Anfang der CD-ROM-Technik. Klar, es gab schon Spiele auf CD, aber oft waren sie nur aufgeblasene (wenn überhaupt) Versionen der Diskettenfassung, die mit Sprachausgabe, vielleicht einer Intro-Sequenz oder ähnlichem aufwarteten, aber die Möglichkeiten des Mediums nicht ausnutzten. The 7th Guest hingegen wäre ohne den „unglaublichen“ Speicherplatz der CD nicht machbar gewesen: Videosequenzen in für damalige Zeit unglaublicher Qualität (heute allerdings unglaublich verpixelt), fast jeder Schritt und jede Drehung in dem Haus (man konnte sich nicht frei bewegen, sondern musste vorgegebenen Pfaden folgen) mit einem Video in Renderoptik realisiert, das den ganzen Bildschirm ausfüllte – für heimische PCs (oder Fernseher, denn es gab auch eine CD-i-Version) war das ungeheuerlich. Das Spiel war sogar so groß, dass eine Disk nicht ausreichte – knapp vor dem Ende musste man die zweite CD einlegen.

Zugute kam das Medium auch der Musik. Auf der schon erwähnten zweiten Disk befindet sich noch ein recht langer Audio-Track, generell bekommt man im Spiel aber auch einen tollen Soundtrack von George „The Fat Man“ Sanger geboten, der zwar nicht ganz CD-Standard erreichte (immerhin musste neben der Musik ja auch noch das Spiel selbst von den damals noch recht langsamen Laufwerken in den Rechner geschaufelt werden), aber mit etlichen Variationen von Themen herumspielt – allesamt Dinge, die man vielleicht schon einmal gesehen (bzw. gehört) hatte, aber ganz sicher nicht in einem gemeinsamen Paket am heimischen Rechner.

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Ich habe bereits eingangs erwähnt, wie ich auf The 7th Guest gestoßen bin: Es war tatsächlich ein großer Artikel in meinem ersten Videospielheft, das ich mir gekauft habe (es war zwar „nur“ eine Preview des Spiels, aber das reichte, um mein Interesse zu wecken). Das Problem dabei? Ich kaufte mir dieses Heft, weil ich gerade den großen Schritt vom C64 zum Amiga 500 gewagt hatte, und T7G war (natürlich) PC only (es gab zwar auch eine CD-i-Version, aber diese lasse ich mal außen vor). Also blieben mir einige Jahre nur wenige Erlebnisse mit dem Spiel: Ein Schulkollege von mir hatte das Spiel, was in der damals typischen „wir kopieren alles in der Klasse“-Szene (aus der ich rausfiel, weil ich einer der wenigen Amiga-Besitzer war) für den großen Lacher sorgte, als eine Schulkollegin fragte, ob sie sich das Spiel kopieren könnte – die Antwort lautete nämlich „klar, gib mir 1.200 Disketten“. Es war damals immerhin schon Luxus, ein CD-ROM zu besitzen – CD-Brenner waren damals einfach unerschwinglich.

Das erklärt auch, warum ich (selbst als ich meinen PC endlich zuhause stehen hatte) T7G nicht in meine Finger bekam: Mein erster PC (könnt ihr euch erinnern? Kyrandia 2?) hatte noch nicht einmal eine Soundkarte und schon gar kein CD-ROM (das ja damals noch (wenn nicht über einen eigenen Controlle)r über die Soundkarte angeschlossen wurde – lang ist’s her). Dass mir T7G dann doch nicht endgültig entging, habe ich wohl der Tatsache zu verdanken, dass damals Spiele deutlich länger für den Handel interessant blieben: Ein dreiviertel Jahr nach meinem Rechner folgte endlich das CD-ROM – und damit hielten zwei Spiele Einzug: Erst Rebel Assault, dann The 7th Guest – beides Spiele, die mit ihrem Gameplay klar beweisen konnten, warum sie nur mit CD-ROM machbar waren und damit sicherlich einen Platz in der Liste der großen Gaming-Meilensteine verdient haben.

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Denn, und das muss noch einmal betont werden: The 7th Guest ist kein spielerischer Meilenstein. Tatsächlich ist das Gameplay sehr simpel und hätte auch mit wesentlich kleinerem technischen Aufwand gelöst werden können. Andererseits, hätte man all diese Dinge weggelassen, wäre T7G dann heute noch berühmt? Wohl nicht. Wie schnell aus „bahnbrechend“ „standard“ wurde, sieht man wohl auch daran, dass das Sequel, The 11th Hour, bei weitem nicht mehr an den Erfolg des Vorgängers herankam. Klar, daran könnten auch einige Gameplay-Änderungen schuld sein (z.B. musste man auch immer gewisse Gegenstände finden), aber im Endeffekt zeigte sich einfach, dass der große „Wow“-Moment vorbei war.

Doch bleiben wir für den Moment noch beim Klassiker – denn da gibt es einige berühmte Momente, die sich in mein Spieler-Hirn gebrannt haben: Vom recht langen Intro mit gefilmten Sequenzen in einem Buch über die große Freitreppe, das unheimliche Bild am oberen Ende, aber auch die geisterhaften Sequenzen, die leider nicht viel dazu beitrugen, die Geschichte klar verständlich zu machen. Das lag daran, dass die Geschichte sich nicht chronologisch entfaltete, sondern mache Figuren noch auftauchten, nachdem man sie schon längst sterben sehen hatte. Oh, und sogar das Interface mit seiner winkenden Skeletthand, dem pulsierenden Hirn (wenn man auf ein Rätsel zeigte) oder dem rollenden Auge wird für mich immer mit diesem Spiel verbunden sein.

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Ganz besonders eingebrannt haben sich aber manche Puzzles: Das Labyrinth hinter der Küche, zum Beispiel, das eines der wenigen Rätsel ist, das wirklich mit dem Setting und der Handlung zu tun hat (die anderen passen natürlich auch in die Welt, aber was hat Kuchenschneiden mit dem Problem, das Rätsel des Hauses zu tun? Eben); Die Geschichte mit dem Satz ohne Vokale (Hint: Er beginnt mit „Shy Gypsy“ – ja, das weiß ich bis heute); das Herzklappen-Labyrinth oder auch die berühmt/berüchtigten Viren unter dem Mikroskop, das ein Mini-Strategiespiel gegen den spielstarken Stauf darstellte.

Diese Erinnerungen führen auch schon zum finalen Absatz: Warum vermisse ich T7G? Weil es ein damals bahnbrechendes Spiel war, das durch die stetig bessere Technik an Reiz verlor. Klar, man kann es heute noch spielen, aber allein die Tatsache, dass es beim Release mehr Speicherplatz brauchte, als damals die meisten User Platz auf der Festplatte hatten, aber heute locker vom AppStore oder Steam runtergeladen werden kann, zeigt, wie weit wir seit damals gekommen sind. Heute wäre es ein Spiel, dem man eindeutig sein Style over Substance ansehen würde – damals standen uns allen die Münder offen, was mit dem neuen Medium CD-ROM möglich war. Und genau deshalb hat es einen Platz in meiner „Vermiss“-Sammlung verdient – als ein Beweis, dass es immer wieder Meilensteine geben muss, die zeigen, dass neue Technik alles verändern kann. Auch wenn ein Meilenstein dann in der Retrospektive gar nicht mehr so bahnbrechend aussieht – damals veränderten Spiele wie T7G, was wir von Spielen erwarten konnten und läuteten das Zeitalter der CD-ROM ein. Aber: Wer nicht dabei gewesen ist, wird wohl nicht mehr so stark in den Bann von Henry Stauf gezogen werden, wie wir damals …

Florian Scherz

Bereits früh entwickelte Florian zwei große Leidenschaften: Videospiele und Theater. Ersteres brachte ihn zu einem Informatikstudium und zu Jobs bei consol.MEDIA und Cliffhanger Productions; zweiteres lässt ihn heute (unter anderem) als Schauspieler, Regisseur, Komponist und Lichtdesigner arbeiten. Wenn er gerade keine Musicals inszeniert, spielt oder schreibt, vermisst er auf Shock2 Videospiele von anno dazumal in seiner Blog-Reihe "Spiele, die ich vermisse".

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