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Spiele, die ich vermisse #63: Die Kathedrale

Es sind (in einiger Hinsicht) turbulente Zeiten in meinem Leben angebrochen. Wenn ich nicht weiß, wohin der Weg führen wird, mache ich meistens eines, während ich einfach einen Fuß vor den anderen setze und auf das Beste hoffe: Ich denke an ruhige, vielleicht bessere, in jedem Fall aber bewältigte Zeiten zurück. Und da kam mir dieses Mal ein wenig der Zufall zu Hilfe: Eine langjährige Freundin hat es endlich geschafft, mir Dinge zurückzugeben, die ich zum Teil seit über zehn Jahren nicht mehr gesehen hatte. Mitten darunter: ein Buch, das ich schon fast vergessen hatte (oder zumindest selbst beim Umzug in meine aktuelle Bleibe nicht vermisst hatte). Was das mit einem Spiel zu tun hat? Sehr viel. Das Buch heißt „Die Kathedrale“ und basiert auf einem gleichnamigen Adventure.
Ja, auch bei diesem Spiel kann ich bei einigen von euch die Fragezeichen richtiggehend sehen – und das, obwohl der Titel gar nicht so übermäßig alt ist (gut, das beweist vielleicht nur mein Alter, dass ich ihn als „nicht so alt“ bezeichne): Die Kathedrale erschien 1991 und war das zweite Produkt des Münchner Entwicklerstudios Weltenschmiede (Publisher war übrigens Software 2000, die ich wohl für alle Zeiten mit zwei Spielen verknüpfen werde – Pizza Connection und Bundesliga Manager Professional – aber dazu vielleicht später mal mehr). Obwohl wir uns vom Zeitrahmen her schon in der Ära von Monkey Island bewegen, war das Adventure des kleinen Teams (ja, damals konnte man noch große Spiele in kleinen Teams entwickeln) Anhänger einer damals schon veralteten Subgenres: ein Textadventure. Ja, die gab es damals auch noch (immerhin entwickelte damals noch Legend solch tolle Klassiker wie „Eric the Unready“ oder die Spellcasting 101-Reihe).

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Doch bevor wir uns weiter ins Gameplay stürzen: Worum geht es in Die Kathedrale eigentlich? Das namensgebende Gebäude ist die St. Pauls Kathedrale in der rheinischen Stadt Schönau, in die der Spieler eher zufällig mit einer Touristenführung hineingerät, dort eine alte Schulfreundin namens Dani trifft und mit ihr eine unheimliche Entdeckung macht: In den Kellergewölben findet ihr alte Briefe und Aufzeichnungen, die belegen, dass die Kathedrale nicht etwa von einem frommen Mann gebaut wurde, sondern von einem Baumeister, der bittere Rache am Klerus nehmen wollte. Victor Paz war – ohne dass es die Obrigkeit wusste – ein Adoptivbruder des als Ketzer verbrannten Jan Hus. Unbemerkt hat er deshalb tödliche Fallen in das Gotteshaus eingebaut, die eines Tages ein grenzenloses Grauen hervorbeschwören sollen. Als wäre diese Entdeckung nicht schon schlimm genug, müssen die beiden bald darauf zwei weitere erschreckende Dunge erfahren. Erstens: Ihr kleiner Abstecher hat dafür gesorgt, dass sie in der (nicht mehr als Gotteshaus genutzten) Kathedrale übers Wochenende eingesperrt sind. Zweitens: Nach ein wenig Rechnerei ist klar, dass die schreckliche Rache Victor Paz‘ genau an diesem Wochenende losbrechen wird. Und damit bleibt den beiden Eingeschlossenen nur eine Chance: Sie müssen die Schrecken der Kathedrale ausschalten, bevor es zu spät ist …

Halten wir fest: Zeitdruck. Mehrere Schrecken. Nur zwei Menschen … und viel, viel Text. Auch wenn das heutigen Spielern seltsam vorkommen mag, hatte Die Kathedrale dennoch (und dadurch) eine unglaublich dichte Atmosphäre. Das lag zum Teil aber auch daran, dass das Spiel eben nicht ein Textadventure der ganz alten Zork-Schule war, sondern schon ein wenig mehr Komfort und Ausstattung mitbrachte. Gut, Musik gab es nur im Titelscreen, aber immerhin wurden die meisten Schauplätze mit einem kleinen Bildchen repräsentiert, das euch einen Eindruck von der Größe und der Imposants der Kathedrale und sämtlicher dunkler Vorgänge in dem Gebäude gab. Auch war es nicht mehr nötig, alles zu tippen: Ein kleines Icon-Feld erlaubte euch vorgefertigte Kommandos zu nutzen – was natürlich den Vorteil brachte, dass man nicht raten musste, ob der Parser das benutzte Verb auch tatsächlich versteht. Die Hauptwörter musste man hingegen selbst tippen, damit das Spiel auch wusste, was ihr tun wollt. Generell war dies recht gelungen – trotz der traditionell nicht gerade einfachen deutschen Sprache wurden zum Teil komplexere Aussagen (man konnte seinem Begleiter sagen, dass er woanders hingehen und etwas tun soll) gut verstanden. Perfekt war auch dieser Parser nicht – aber ganz ehrlich, das kann man sich auch (vor allem damals) nicht erwarten.

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Da wir gerade schon bei den alten Textadventures waren: Erinnerungen gibt es auch bei dem Material, das dem Spiel beigelegt ist. Eine Chronik der Baugeschichte, alte Briefe, aber auch Pläne der Kathedrale waren nicht nur tolle Gimmicks, sondern auch wichtig, wenn man das Spiel durchspielen wollte. Wer diese Items nicht vor sich liegen hatte, hatte kaum eine Chance, das Ende zu erreichen. Abgesehen davon waren sie auch noch gut geschrieben, wofür Harald Evers (einer der Mitbegründer des Entwicklers) verantwortlich zeichnete, der auch die Story entwickelte und die Texte verfasste. Ihm zu verdanken sind übrigens auch die Grafik – und jenes Werk, mit dem dieser Artikel begann: Die Romanversion, die allerdings in einigen Punkten (wohl aus dramaturgischen Gründen) vom Spiel abweicht.

Damit komme ich auch schon zu meiner persönlichen Geschichte mit dem Spiel, auch wenn sie gar nicht mit dem Roman beginnt, sondern mit einem anderen schriftlichen Werk – nämlich einer Komplettlösung. Ja, auch Die Kathedrale war eines jener Spiele, bei denen ich den Walkthrough (wenn ich mich nicht täusche, im selben Heft zu finden wie schon jener von Black Crypt) mehrfach gelesen hatte, bevor ich auch nur irgendwie meine Hand an das Spiel bekam, und auch hier war es die Amiga-Version, die mich schlussendlich begeistern sollte.

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Das heißt allerdings nicht, dass ich Die Kathedrale jemals durchgespielt hätte – und auch das ist ein deutlicher Hinweis darauf, wie anders die spielerischen Zeiten damals waren. Würde ich mich heute noch von einem Spiel begeistern lassen, dass mich frustriert, weil ich nie besonders weit komme? Das so harte Rätselnüsse bietet, dass ich mich bisweilen frage, wie man da draufkommen soll? Und, noch schlimmer, ein Spiel, bei dem ich es nicht einmal mit einer Lösung zum Ende geschafft habe? Ja, das alles trifft auf die Kathedrale zu. Ein, zwei Schrecken habe ich im Laufe meiner zahllosen Sessions (und ich spiele das Spiel heute noch zeitweise!) ausschalten können. Das Ende kenne ich allerdings nur aus dem Buch. Heute würde man dazu „schlechtes Gamedesign“ sagen, damals hieß das noch „fordernd“ oder „für Fortgeschrittene“, wie man in den Reviews von damals nachlesen kann.

Was man nämlich ganz klar sagen muss, ist folgendes: Die Kathedrale hatte eine unglaubliche Atmosphäre, die mich an das Spiel fesselte, mir zum Teil sogar richtig Angst machte, weiterzugehen. Das hatte viel mit dem geschriebenen Wort des leider zu früh verstorbenen Harald Evers zu tun, der mal gruslige, mal doch wieder witzige (der „Erzähler“ erklärte einem bisweilen während er die Aktion durchführte, warum diese Sache nicht funktionieren könnte, und war dann selbst überrascht, dass es glatt lief), aber immer passende Worte fand, um die Szenen, Aktionen und Personen zu beschreiben.

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Das klingt auch nach einem guten Punkt, um zum Abschluss zu gelangen. Warum vermisse ich Die Kathedrale? Weil ich das Spiel noch immer nicht durchgespielt habe, es aber langsam doch so sehr anfängt, sein Alter zu zeigen, sodass ich mich wirklich aufraffen muss, es zu spielen (vor allem, weil man heute ja auch noch Emulator/DOSBox und so weiter dafür einrichten muss). Weil es sehr, sehr dicht geschrieben war, und ich eines Tages wissen will, ob das Ende des Buches mit dem Ende des Spiels übereinstimmt (ich glaube persönlich nämlich nicht). Weil es eines der letzten Textadventures war, die ich gespielt habe, und nur eines von wenigen, die mich wirklich fesseln konnten. Aber vor allem, weil es für mich eine der ersten Erfahrungen war, dass Spiele auch aus ihrem Medium hinaus in ein anderes Medium vordringen können. Ein Buch zum Spiel – bis 1993 kannte ich das noch nicht. Und das ist ein Meilenstein, den ich nicht so einfach vergessen kann.

Florian Scherz

Bereits früh entwickelte Florian zwei große Leidenschaften: Videospiele und Theater. Ersteres brachte ihn zu einem Informatikstudium und zu Jobs bei consol.MEDIA und Cliffhanger Productions; zweiteres lässt ihn heute (unter anderem) als Schauspieler, Regisseur, Komponist und Lichtdesigner arbeiten. Wenn er gerade keine Musicals inszeniert, spielt oder schreibt, vermisst er auf Shock2 Videospiele von anno dazumal in seiner Blog-Reihe "Spiele, die ich vermisse".

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