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Spiele, die ich vermisse #53: Ultima IX

Willkommen zurück zu einer neuen Ausgabe von „Spiele, die ich vermisse“. Diesmal möchte ich zurück zum altbekannten Format und ein Spiel vermissen, das es wirklich wert ist, vermisst zu werden – wenngleich das in dem Fall des heutigen Spiels bei den Fans nicht ganz unumstritten ist. Diese Woche drehte sich bei mir alles um die kommende Gamers-Abgabe (die zwar noch zwei Wochen entfernt ist, aber das heißt natürlich, man hat dennoch allerhand zu tun) und insbesondere um eine Rollenspielwelt, die mir sehr ans Herz gewachsen ist. Dennoch werde ich nicht Aventurien diese Ausgabe widmen (wer Entzugserscheinungen hat, liest stattdessen die ältere Ausgabe rund um die alte, aber gute Version von Die Schicksalsklinge), sondern einem anderen Rollenspiel, das dieser Tage wieder von sich reden macht. Wenn ihr euch erinnert, habe ich vor ziemlich genau einem Jahr, als diese Reihe noch in den Windeln lag, die zweite Ausgabe Ultima VII gewidmet, da damals gerade ein mehr-oder-weniger-Remake von Ultima IV angekündigt wurde. Jetzt ist das Spiel für iOS verfügbar, aber ungefähr in der Qualität, in der ich befürchtet habe (was jetzt nicht „Katastrophe-Schicksalsklinge“ sondern „Ultima mit zu viel Multiplayer und Pay2Win“ bedeutet) – Grund genug, mich an die alten Zeiten und Ultima IX zu erinnern.

Ultima IX war – wie der Name schon sagt – der neunte Teil der Hauptserie von Ultima (Ultima Underworld I+II, die beiden Worlds of Ultima-Teile, Ultima Online und Akalabeth nicht mitgerechnet). Außerdem war es der Abschluss der dritten Trilogie der Reihe (die man aufgrund des Splits von Ultima VII in zwei Teile auch als Tetralogie sehen könnte) und – wohl noch schlimmer – auch das Ende der gesamten legendären Rollenspielreihe. Leider ist er bei den Fans nicht unumstritten, genauso wie sein direkter Vorgänger, Ultima VIII. Das liegt an vielen Faktoren – sei es der verbuggte Ur-Release, exorbitante Hardwareanforderungen (wir reden hier noch von jener Zeit, als man regelmäßig seinen PC aufrüsten musste, um technisch voran zu bleiben), einer äußerst durchwachsenen Entwicklungsgeschichte, einer etwas unbefriedigenden Story und – nicht zuletzt – einem erneut völlig anderen Gameplay. Doch eines nach dem anderen.

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Wer meinen Blog über Ultima VII gelesen hat – oder das Spiel selbst gespielt hat – kennt die Geschichte des Guardians bereits, eine seltsame Wesenheit, die Britannia beherrschen will. Am Ende von Teil VII-2 entführte sie euch, den Avatar, in eine fremde Welt, in der „niemand den Avatar kennt“ – sein eigenes Reich namens Pagan, in dem auch Ultima VIII spielte. Am Ende dieses Spiels gelingt es dem Avatar, sich zu befreien und nach Britannia zurückzureisen, wo der Guardian Britannia erobert hat. Oder doch nicht? Schon der Beginn von Ultima IX ist ein Bruch mit der alten Story: Der Avatar befindet sich nämlich wieder auf der Erde und wird nach Britannia zurückgerufen, um den letzten Kampf gegen den Guardian zu führen. Zuvor muss er sich allerdings – zu diesem Zeitpunkt bereits ein Serienklassiker – der Zigeunerin stellen, die ihm eine Reihe von moralischen Fragen stellt. Hier gibt es kein richtig oder falsch – es gibt einfach nur die Frage, welcher Tugend ihr entsprechen wollt. Seid ihr barmherzig oder gerecht? Diese Entscheidung bestimmt eure Klasse. In Britannia angekommen, erkennt ihr bald, dass das Land von großen Sorgen geplagt wird: Die Schreine der Tugenden wurden korrumpiert und große Säulen ragen aus dem Boden. Der Avatar macht sich daran, die Probleme zu beseitigen und muss dabei die Wahrheit hinter dem Guardian erkennen (Achtung, End-Spoiler voraus:) Dieses Wesen war die abgespaltene dunkle Seite des Avatars, der er entsagte, als er zur Verkörperung aller Tugenden wurde. Das bedeutete vor allem eines: Es war unmöglich, den Guardian zu töten, ohne den Avatar zu töten. Da sich die Korruption darüber hinaus so tief in Britannia eingegraben hatte, blieb nur eine Wahl: Das Volk wurde nach Skara Brae evakuiert, wo es von den Runen der Tugenden geschützt werden konnte, während der Avatar im Kampf gegen den Guardian den Armageddon-Spruch einsetzte, der das Lebenslicht Britannias verlöschen ließ und die beiden Kontrahenten in eine andere Sphäre entrückte.

Ultima IX ist berüchtigt für seine komplizierte Entwicklungsgeschichte. Diese begann bereits 1994 rund um den Release von Ultima VIII und sollte fünf Jahre benötigen, bis das Spiel endgültig im Handel stand. Damals war noch gedacht, den Stil des Vorgängers, der sich aus einer Iso-Perspektive spielte und berüchtigter weise sogar Platforming-Elemente bot, auch für IX zu verwenden, und das Spiel in einer anderen Welt spielen zu lassen. Das Feedback auf VIII war allerdings derart negativ, dass man diese Idee verwarf. Die neue Handlung spielte wieder in Britannia und die Engine setzte zum ersten Mal auf Polygone – wenngleich aus einer fast fix vorgegebenen Perspektive, bei der die Kamera nur Zooms und Rotation um eine Achse erlaubte, was die Hardwareanforderungen senkte. Diese Version kam recht weit und hatte sogar schon fertige Cutscenes und Sprachaufnahmen, als etwas Unerwartetes geschah: Ultima Online erwies sich im Alpha- und Beta-Test derart populär, dass EA Origin dazu zwang, das Team von Ultima IX abzuziehen und an Ultima Online zu arbeiten. Etliche sollten nicht mehr zurückkehren.

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1997 wurde zwar bereits wieder an Ultima IX gearbeitet, aber das Team erkannte, dass die Grafik heillos veraltet war. Mit der Ankunft der 3D-Beschleuniger wurde deshalb ein neuer Plan geschmiedet: Ein Programmier portierte als Hobby Ultima IX auf die Glide-API, und als die anderen den Prototypen sahen, wurde beschlossen, das Projekt mit einer hardwarebeschleunigten 3D-Engine von neuem zu starten. Das Resultat war eine neue Ansicht in Third-Person-Perspektive (zum ersten Mal konnte man in der Hauptserie den Himmel Britannias sehen!), die nicht allen Teammitgliedern zusagte – immerhin wurde befürchtet, dass die Hardwareanforderungen zu hoch werden könnten (sie sollten recht behalten). Auch andere Änderungen fanden den Weg ins Spiel: Die vorgesehene und von Fans gewünschte Rückkehr der Party wurde verworfen und das Spiel bekam nun doch weniger Rollenspiel- und mehr Action-Adventure-Ansatz (aber immerhin ohne Platforming). Auch intern gab es einige Reibereien, Druck vom Publisher, das Spiel herauszubringen, und Streit darüber, wohin das Spiel sich entwickeln sollte. Nachdem sich der dritte Designer verabschiedet hatte, übernahm Garriott selbst das Ruder und schrieb die Story erneut um. Das hätte die Wende sein können, doch man hatte die Rechnung ohne EA gemacht: 1999 stellten sie das Ultimatum, dass Ultima IX bis Weihnachten im Handel zu stehen hätte. Die Entwickler sahen ein, dass der Plan bis dahin unmöglich umzusetzen wäre, und kürzten, wo sie nur konnten. Die Welt wurde kleiner, die Story einfacher, hatten dabei allerdings das Handicap, dass sie schon fertiggestelltes Material verwenden mussten – ganze Abschnitte und sogar Cutscenes bekamen einen völlig neuen Platz zugewiesen und wurden nur noch umgeschnitten und angepasst.

Das Resultat? Eine Story, die nicht ganz zusammenpasste. Features, die angekündigt waren, aber nicht im Spiel vorhanden waren – zum Beispiel NPCs, die ihrem täglichen Leben nachgingen; jede Menge lose Plotfäden und Andeutungen auf Ereignisse, die nicht mehr im Spiel zu finden waren. Dungeons, die nicht dem entsprechen, was man aus den Vorgängern über sie wusste; zahlreiche Bugs … und eine Engine, die erneut nicht mehr den Anforderungen der Zeit entsprach: 1999 war Direct3D bereits wichtiger als Glide und auf den wichigen Nvidia-Karten besser unterstützt, aber die Engine war nicht auf D3D optimiert. Viele User, die sich über hohe Hardwareanforderungen beklagten, litten also eigentlich unter einer neueren, aber für das Spiel suboptimalen Grafikkarte. Die technischen Probleme wurden Großteils nach und nach gelöst … die spielerischen blieben.

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Wie bereits erwähnt, war Ultima IX vor allem für langjährige Fans der Reihe eine herbe Enttäuschung, weil es etliche Konsistenzbrüche mit den Vorgängern gab. Mir war das allerdings relativ egal, als ich Ultima IX in die Finger bekam. Zwar hatte ich bereits Ultima VII und VIII gespielt, aber meine Ultima-Erfahrungen blieben ansonsten auf kurzes Anspielen beschränkt und mein Wissen über Britannia war beschränkt. Ein größeres Problem waren da schon die Hardwareanforderungen, die dafür sorgten, dass das Spiel rasch im Schrank landete, aus dem es erst zwei Jahre später wieder herausgeholt wurde (dann war das Spiel dank besserer Hardware in meinem PC und Patches endlich spielbar). Dann war ich allerdings begeistert. Ich hatte auch meine Probleme mit dem Platforming-Teil VIII gehabt, aber für mich war auch VII bereits retro, als ich es spielte, und damit war für mich die 3D-Engine kein Problem, sondern einfach nur die dritte Art, mich durch die Welt von Ultima zu bewegen. Darüber hinaus gefiel mir, dass IX eine stetige Geschichte präsentierte, ohne den Teil, der mich von West-Rollenspielen immer abschreckt – stundenlanges Erkunden und durch die Pampa stapfen. Für viele war die fehlende offene Welt ein Problem, für mich persönlich etwas, das den Titel für mich reizvoll machte und ein wenig an Zelda erinnerte (dabei sei, als Zusatzinfo ohne allzuviel Relevanz für diesen Post auch erwähnt, dass Ultima III in der NES-Version als große Inspiration für Dragon Quest und damit als wichtige Quelle für das JRPG gilt). Dabei half auch die Perspektive und die Tatsache, dass jede große Aufgabe in einen Dungeon führte, in dem man die „Wurzel“ der Säule säubern musste – viel mehr Zelda konnte ein West-Rollenspiel gar nicht werden, trotz natürlich völlig anderem Gameplay und einem – nicht unspannenden – Magiesystem. Aber ich muss auch so zugeben, dass ich mehrere Anläufe und auch dann immer wieder pausen brauchte, um das Spiel durchzuspielen. Und auch wenn ich es immer wieder versuchte, einen zweiten Durchlauf zu starten: Durchgekommen bin ich nie wieder.

Und damit kommen wir eigentlich zum interessanten Punkt: Wir wissen spätestens jetzt, dass Ultima IX kein perfektes Produkt war, sondern eigentlich für diese historische Reihe sehr viele Fehler aufwies, trotz der langen Entwicklungszeit ein zu früh releastes Produkt war und viele Fans verärgerte. Warum vermisse ich es trotzdem? Zum einen, weil es das letzte Spiel der Reihe war. Ultima IX zu vermissen heißt für mich auch, die gesamte Ultima-Reihe zu vermissen. Man könnte argumentieren, dass die Welt zwar mit Ultima Online irgendwie weiterlebte, aber nach dem Abgang von Richard Garriott war Ultima nicht mehr Ultima. Zum anderen, weil ich die melancholische Atmosphäre (man weiß von Anfang an, dass dies das letzte Abenteuer des Avatars wird) und den gesamten Story-Bogen eigentlich sehr interessant finde. Ja, es gibt Inkonsistenzen, aber der finale Showdown ist emotional und ein würdiger Abschied vom Avatar. Hätte es Ultima X gegeben (entsprechende Projekte liefen), hätte man sich radikal von Ultima, wie man es kannte, verabschieden müssen. Und, nicht zuletzt, weil es eigentlich Ultima IX (gemeinsam mit Teil VII) war, das meine Liebe zur gesamten Serie begründete. Nein, ich habe noch immer nicht alle nachgeholt (die ersten Teile liegen mir da sehr im Retro-Magen), aber die Spiele sind spannend und von einer Art, wie man sie heute nicht mehr bekommt. Ja, wenn man die früheren Spiele spielt, sind sie deutlich offener (für mich ja meistens ein Minuspunkt), aber ich mag die Mythologie, die Garriott erschaffen hat, die Geschichten der Tugenden und dass der Held nicht – wie heute oft – eine dunkle Seite haben muss. Wenn schon dunkle Seite, dann bitte abgespalten als Gegenspieler. Mir gefällt so was. Aber bitte nicht auf iOS als Hack’n’Slay mit Pay2Win. Sondern vielleicht mal wieder in einem richtig guten Ultima … oder in Shroud of the Avatar, falls Garriott zur Abwechslung mal schafft, alles zu liefern, was er verspricht.

Florian Scherz

Bereits früh entwickelte Florian zwei große Leidenschaften: Videospiele und Theater. Ersteres brachte ihn zu einem Informatikstudium und zu Jobs bei consol.MEDIA und Cliffhanger Productions; zweiteres lässt ihn heute (unter anderem) als Schauspieler, Regisseur, Komponist und Lichtdesigner arbeiten. Wenn er gerade keine Musicals inszeniert, spielt oder schreibt, vermisst er auf Shock2 Videospiele von anno dazumal in seiner Blog-Reihe "Spiele, die ich vermisse".

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