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Spiele, die ich vermisse #39: Motocross Madness

Ist es nicht irgendwie ein Armutszeugnis, wenn neue Spiele erscheinen, und das einzige, was einem dazu einfällt, ist „Oh, das hat mir aber früher bei seinem (Vorgänger/spirituellen Vorgänger/offensichtlichen Vorbild) besser gefallen“? Mir, als Spieler mit einer recht langen Gaming-Geschichte, passiert das recht oft (auch wenn dann oft der zweite oder dritte Blick dem „früher war alles besser“ einen Tritt in den Hintern verpasst). So kann ich mir zum Beispiel noch immer BioShock nicht ansehen, ohne dem rollenspiel-lastigeren System Shock nachzuweinen; Final Fantasy XII und XIII lassen mich VII, IX und X vermissen; Command & Conquer war irgendwann alles andere als das, was ich an der Serie geliebt habe; ja, sogar bei der Zelda-Serie war mein erster Eindruck von so manchem Teil „oh, wie gerne hätte ich jetzt ein Sequel zu Link to the Past“ (gut, dieser Wunsch wurde ja offensichtlich erhört). Nachdem ich diese Woche mein Projekt Larry nicht wirklich vorantreiben konnte (Heftabgabe plus anderwärtige Verpflichtungen – außerdem wäre das vielleicht doch ein wenig viel Konzentration auf eine Serie gewesen), ließ ich mich diesmal von genau diesem Sachverhalt und einem passenden Release inspirieren. Immerhin stand dieser Titel schon lange auf meiner Master-Liste für diesen Blog, aber irgendwie war ich mir sicher, dass ich nie den richtigen Moment finden würde, ihn zu vermissen. Nun, er ist da, und das Thema von Ausgabe #39 ist Motocross Madness.


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Wir schreiben das Jahr 1998: Die Rainbow Studios entwickeln für die Microsoft Game Studios, die damals noch ernsthaftes Interesse an der Plattform PC hatten (Kunststück, eine Xbox gab es ja noch nicht) eine spaßige Motocross-Simulation mit einer ordentlichen Prise Arcade-Faktor. Das Spielprinzip ist schnell erklärt: Man nimmt Platz auf seinem Bike und nimmt an zahlreichen Events teil, die sich grob gesagt in zwei Gruppen aufteilen: Stuntbewerbe und Wettrennen. Erstere finden sich im Freestyle-Modus, in dem man innerhalb eines gewissen Zeitlimits möglichst atemberaubende Stunts hinlegen muss, um die Punkte in die Höhe zu treiben – quasi immer auf der Jagd nach einem weiten Sprung, aber immer mit der sicheren Landung im Hinterkopf. Wer Rennen fahren will, hat ein wenig mehr Auswahl: In Stadien warten vertrackte Kurse auf euch, die vor allem präzises Fahren und saubere Sprünge belohnen; auf klassischen Motocross-Strecken im offenen Gelände geht es durch den Schlamm – und ein Fehlsprung kann schon fatale Auswirkungen haben. Spannend sind aber auch jene Events, bei denen es querfeldein von Checkpoint zu Checkpoint ging – wie man dorthin kommt, war egal, Hauptsache, man fährt in der richtigen Reihenfolge durch die Tore. Das Motorrad zu beherrschen war gleichzeitig leicht (mehr als links/rechts und bei Sprüngen dann noch hoch/runter, damit man richtig landet, sowie Gas und Bremse braucht man in den meisten Fällen nicht) – und schwer. Der Teufel steckt im Detail – vor allem, weil die Konkurrenz ganz schön im Weg sein kann und manche Abschnitte sehr schwer zu fahren sind.

Man kann sich schon vorstellen, dass diese Kombo – vor allem aufgrund der Tatsache, dass man das Spiel via LAN (ja, das gab’s damals noch) oder Internet (ja, das gab’s damals schon …) zu acht spielen konnte – viel Spaß machte. Garniert wurde das Paket aber auch mit einer – für die damaligen Verhältnisse – tollen Präsentation. Reviews, die ich im Zuge meiner Recherchen gelesen habe, sprechen sogar von „Fotorealismus“ – aber gut, das lesen wir Generation für Generation, nur um dem Wort im nächsten Hardwarezyklus eine neue Bedeutung verleihen zu müssen. Halten wir fest: Für heutige Augen ist die Grafik zumindest zweckdienlich, damals erforderte sie für manche tatsächlich Investitionen in eine neue Grafikkarte, denn ohne 3D-Beschleunigung lief gar nichts. Und auch ein Gamepad war eine durchaus lohnende Investition, um das meiste aus dem Spiel herauszuholen.

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Abgerundet wurde das Spiel noch durch ein weiteres Feature: Einen Streckeneditor, mit dem man sich einfach eigene Strecken bauen konnte. Das ging zwar nur für die Hallenkurse (obwohl es auch Tricks und User-Tools für die Freilandstrecken gab), erlaubte aber, abgedrehte Kurse zu bauen. Lange Strecken, kurze Strecken, gerade Strecken, kurvige Strecken, leichte Strecken, knifflige Strecken – nur die Phantasie und der (begrenzte) Platz setzten hier Grenzen. Schade nur, dass es zwar die Unterstützung für zusätzliche Sets an Elementen für die Strecke gab, von offizieller Seite aber nichts nachgeschoben wurde. So blieb man zunächst mit einigen simplen Elementen, von der Kurve über die Rumpelgerade zu diversen Sprungschanzen, sitzen.

Fassen wir zusammen: Rennspiel, Motorräder, Multiplayer? Klingt eigentlich nicht so wirklich nach dem, was ihr bis jetzt von mir gehört habt, oder? Ja, das dachte ich auch. Ich meine, Motorcross Madness war nicht mein erstes Rennspiel (diese Ehre würden wohl Titel wie Pitstop, Lotus Turbo Challenge und zahlreiche andere Racer der C64- und Amiga-Ära abstauben), aber ein richtiger Rennfan war ich nie. Und so ist es kein Zufall, dass ich Motocross Madness ohne einen ordentlichen Stoß in die richtige Richtung nie gespielt hätte. Wir schreiben den Sommer 1999: Die Schule liegt hinter, das Studium vor mir, aber ein paar Schulkollegen und ich wollen ein Event aus dem Vorjahr noch einmal aufleben lassen: Eine LAN-Party im elternlosen Haus eines Freundes (genau hier hatte ich – eben im Jahr davor – übrigens das erste Mal FF VII gesehen). Drei Tage sind veranschlagt, jeder bringt seinen eigenen Rechner mit, einige hundert Meter LAN-Kabel wollen verlegt werden (wir schreiben noch die Zeit, als Privatanwender keine Router, sondern Koax-Kabel mit BNC-Stecker verwendet werden, also alle Rechner auf einer langen Leitung hängen – wobei, in dem Fall war das gut, mit Router hätten wir wohl ein paar Kilometer Kabel verlegt), und im ganzen Haus stehen bald Rechner: Zwei in der Küche, sechs im Wohnzimmer, mehrere andere im oberen Stockwerk. Und dann wird gezockt, was das Netz hergibt.

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Für mich, der ja nicht unbedingt der große Multiplayer-Spieler ist und war, ist das vor allem die Gelegenheit, ein paar Titel auszuprobieren, die ich sonst nie spielen würde – Alien vs. Predator (der erste) zum Beispiel, aber natürlich auch Quake und sogar FIFA (97, übrigens). Bei anderen Spielen sehe ich zum ersten (und teilweise auch letzten Mal) den Multiplayer – Stichwort Dungeon Keeper oder auch X-Wing vs. TIE Fighter. Aber irgendwann ist dann Abwechslung vonnöten, man hat vieles schon ausprobiert … und da zückte einer meiner besten Freunde dann ein Spiel, das er gerade erst mit seinem Gamepad mitgeliefert bekommen hat: Motocross Madness. Eher aus Langeweile heraus installierte ich es auch (ja, sowas ging damals noch …) und wir wagten einen ersten Testlauf. Wir zwei gegen sechs KI-Gegner auf wilden Stadienkursen – das konnte nicht gut gehen, Spaß machte es trotzdem. Einige Runden später hatten wir das Spiel im Griff – und starteten schon bald mit dem Projekt, Strecken zu entwerfen, die wir dann gegenseitig testeten, verbesserten – immer mit dem Gedanken im Hinterkopf: „Wie kann ich mir einen Vorteil auf der Strecke erarbeiten?“. Unsere Bemühungen fielen bald anderen auf, die dann ebenfalls mit uns den Titel entdeckten – mit dem Resultat, dass das Spiel, das keiner zocken wurde, zum absoluten Hit der LAN-Party wurde.

Vorhin habe ich schon kurz den Editor angesprochen und die Tatsache, dass das Spiel unterschiedliche Sets an Streckenteilen erlaubte. Am zweiten Tag gelang es uns, inoffizielle Sets zu entdecken, mit denen man noch komplexere Strecken bauen konnte (zum Beispiel auf drei Höhenebenen, wobei der Editor den Streckenverlauf dennoch immer nur zweidimensional bearbeitete – verschlungene 3D-Bahnen waren also nicht möglich). Mit diesen gab es bald ein wildes Wettbauen, das einige verrückte und teilweise auch unschaffbare Strecken brachte – das nächste Mal habe ich so wilde Sprünge in TrackMania gesehen.

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Was mir hingegen gar nicht lag, war das Stuntfahren – da war ich immer recht ungeschickt, andere dafür umso talentierter. Dafür konnte man hier einige der atemberaubendsten Stürze sehen, die per Ragdoll-Mechanik reichlich unbequem und einfach nur schmerzhaft aussahen. Mal eben ein Bike in den Kopf bekommen? Meterweit stürzen? Kein Problem! Nein, realistisch war es nicht, dafür spannend anzusehen. Besonders spektakulär war es allerdings, wenn man im Freestyle den Rand der Map hinauffuhr (die Strecke wurde von Bergen begrenzt), den man eigentlich gar nicht erklimmen könnte sollen, und dann weiter aus der Karte hinaus fuhr: Plötzlich wurde man – inklusive passendem Geräusch – wie von einer Schleuder in das Level hineingestoßen und flog hunderte Meter weit. Nur die Landung sah dann noch schmerzhafter aus …

Leider ließ der Reiz von Motocross Madness nach dem Ende der LAN-Party rasch nach. Wie bei so vielen Dingen, die spontan entstehen, gab es einfach keine Möglichkeit, das Flair zu replizieren. Zu zweit/zu dritt im heimischen Netz kam einfach nicht mehr derselbe Spaß auf, ohne Mitspieler war das Streckenbasteln nicht mehr interessant … und so wanderte meine Kopie von Motocross Madness (nach dem Spaß musste ich es einfach kaufen) wenig gespielt in die Schublade. Auch das Sequel wurde nur noch kurz angespielt (das habe ich mir aber gar nicht mehr gekauft, sondern bei einem Freund angetestet) und dann nicht weiter beachtet.

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Damit bin ich schon beim Abschluss dieses (diesmal wirklich) kürzeren Blogs über ein Spiel, das ich vermisse: Warum vermisse ich Motocross Madness? Wie so oft hängt es damit zusammen, dass dieses Spiel zum richtigen Zeitpunkt in meinem Leben auftauchte und mir einfach viel Spaß machte. Der Faktor, dass ich den Titel gar nicht so richtig kaputt spielen konnte, weil mir einfach zu wenig Zeit dafür auf der LAN-Party blieb, hilft dabei, das Spiel in wirklich guter Erinnerung zu behalten. Denke ich an Motocross Madness, lande ich an diesen drei Tagen voller Gaming und viel Spaß, nicht an die Zeit, als ich danach versuchte, den Spielspaß zu replizieren. Und das ist wohl das Beste, was einem Spiel passieren kann: Spaß machen und nie langweilig werden, weil es die Gelegenheit dazu gar nicht gibt. Und das hat Motocross Madness, dieses kleine Spiel, das ich sonst nie beachtet hätte, geschafft.

Zum Abschluss noch kurz zum Grund, dieses Spiel zu vermissen: Wundert es euch nach diesem Text, dass ich große Augen bekam, als Motocross Madness (kein 1:1 Remake, sondern ein Spiel gleichen Namens) für die Xbox 360 erschien? Leider ist mir aber auch klar, dass es diesem Spiel dennoch nicht gelingen wird, die Magie von vor 14 Jahren zurückzuholen. Die vielen Features, die mir persönlich wichtig waren, sind einfach anderen Dingen gewichen, die jetzt im Vordergrund stehen. Ich würde mir die guten alten Strecken wünschen, und ich brauche keine Boosts, dafür einen Editor. Aber wer weiß … vielleicht hole ich es mir ja eines Tages. Um der alten Zeiten willen.

Florian Scherz

Bereits früh entwickelte Florian zwei große Leidenschaften: Videospiele und Theater. Ersteres brachte ihn zu einem Informatikstudium und zu Jobs bei consol.MEDIA und Cliffhanger Productions; zweiteres lässt ihn heute (unter anderem) als Schauspieler, Regisseur, Komponist und Lichtdesigner arbeiten. Wenn er gerade keine Musicals inszeniert, spielt oder schreibt, vermisst er auf Shock2 Videospiele von anno dazumal in seiner Blog-Reihe "Spiele, die ich vermisse".

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