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Spiele, die ich vermisse #148: Sid Meier’s Pirates!

Nachdem ich in letzter Zeit wenig Grund hatte, ins Kino zu gehen, gäbe es in den letzten Wochen genügend Filme, die mich in die Lichtspielhäuser locken würden (wenn ich es nur schaffen würde, sie alle unterzubringen): Guardians of the Galaxy Vol. 2, Alien: Covenant und ab dieser Woche auch Pirates of the Caribbean: Dead Men Tell No Tales stehen allesamt auf meiner Liste. Warum ich das hier erwähne? Weil die Filme, die ich gerne sehen würde, meine Gedanken, welches Spiel ich als nächstes vermissen werde, stark geprägt haben. Guardians hat mich im Endeffekt nicht ganz so sehr an Spiele erinnert, bei Alien stehe ich, nachdem Alien vs. Predator schon vermisst habe, ein wenig an – aber bei Piraten gibt es natürlich noch Möglichkeiten. Gut, die beiden offensichtlichen Kandidaten, The Secret of Monkey Island und LeChuck’s Revenge wurden schon vermisst, aber Piraten wurden ja nicht nur als Background für Adventures benutzt. Grund genug, einen neuen Eintrag einem meiner Lieblingsdesigner zu widmen. Ab in die Karibik, hier kommt Sid Meier’s Pirates!

Tief in der Karibik: Bisher war das Leben eures Alter Egos (dessen Namen, Nationalität und einen besonderen Skill ihr bei der Erstellung auswählen könnt) wenig bedeutsam – was nicht heißt, dass ihr nicht schon einiges durchgemacht habt. Der Armut überdrüssig habt ihr euch aus eurem Heimatland in die Kolonien aufgemacht – und wie so oft damals bedeutete das das Eingehen einer Indentur, also einer Verpflichtung zur Knechtschaft auf Zeit, um die Kosten dafür abzuarbeiten. Doch anstatt eure Zeit auf einer Zuckerplantage zu verbringen, verschlägt es euch bald auf ein Schiff – genauer gesagt: ein Piratenschiff. Damit nicht genug, werdet ihr dort schon bald im Rahmen einer Meuterei zum neuen Captain. Und damit fängt das Abenteuer erst richtig an!

Bis zu diesem Punkt der Geschichte könnt ihr in das Geschehen noch kaum eingreifen – die Story wird euch in wenigen Textboxen und mit ein wenig Grafik vorgestellt, einzig der Punkt, an dem ihr das Schiff übernehmt, ist spielbar. Doch dann wird eure Hand einfach losgelassen – als echter Freibeuter ist es euch überlassen, zu tun, was ihr wollt; die Karibik (und der Weg zu Reichtum, Ruhm und Ehre) steht euch offen. Tatsächlich sagt euch das Spiel selbst nicht mal, was euer Ziel ist. Im Handbuch findet ihr, dass ihr möglichst gut situiert in den Ruhestand treten sollt, was mit eurem Geld, eurem Rang, eurem Landbesitz, eurem Ruf, eurer Ehefrau und sonstigen Ereignissen zusammenhängt. Doch wie ihr all diese Ziele (und damit einen tollen Score) erreicht, müsst ihr trotz ausführlichem Manual (ja, sowas gab es damals noch) selbst herausfinden.

Im Endeffekt teilt sich eine Partie Pirates! in viele kleine Gameplayteile, die ein großes Ganzes ergeben: Zusammengehalten wird alles von der Erkundung der Oberwelt, bei der ihr vor allem an Bord eines Schiffes die Karibik durchsegelt bzw. auch ab und an an Land mit eurer Mannschaft die Gegend erkundet. Dazwischen werdet ihr immer wieder einen Hafen anlaufen (der euch hoffentlich freundlich gesinnt ist, denn hat man es sich beispielsweise mit den Spaniern verscherzt, wäre es nicht besonders sinnvoll, an einem Ort anzulegen, der von dieser Nation kontrolliert wird, außer, man ist auf Ärger und/oder Plünderung aus). Hier kann man seine Schiffe reparieren, Waren handeln, neue Leute anheuern, in den Tavernen Informationen sammeln oder auch mit den Gouverneuren sprechen, die euch Kaperbriefe ausstellen, im Rang aufsteigen lassen oder vielleicht sogar ihre Tochter zur Frau geben.

Doch nur mit Reden und Handel ist noch niemand ein echter Pirat geworden – deshalb heißt es natürlich auch Kämpfen und Plündern. Auf den Weltmeeren werdet ihr immer wieder Schiffen begegnen, die ihr angreifen könnt (aber nicht müsst). Eine Attacke führt zu einem Seegefecht, bei dem ihr zunächst taktisch klug navigieren und das gegnerische Schiff sturmreif schießen müsst (optional könnt ihr es auch einfach so weit beschädigen, dass es sinkt, aber das bringt keinen Profit). Sobald ihr der Meinung seid, ihr habt genug Schaden angerichtet, rammt ihr den Gegner und wechselt dadurch an Deck in den Nah- und damit zum Fechtkampf, bei dem ihr als Captain euren Mann stehen müsst. Dabei darf man sich jetzt keine komplexe, moderne Beat’em-Up-Steuerung erwarten, aber mit immerhin drei wählbaren Waffen und hohen, mittleren und niedrigen Schlägen sowie dazu passenden Blocks ist es (vor allem für die Zeit) auch nicht übermäßig simpel gestaltet. Das Fechten kommt auch an anderen Stellen im Spiel vor, und meistens ist es dabei so, dass ihr mit diesem Gefecht den Kampf eurer Mannschaft gegen den Gegner repräsentiert. Deshalb lassen Treffer den Moralwert sinken, was auch beeinflusst, wie viele Mitglieder der jeweiligen Gruppierung den Löffel abgeben. Habt ihr den gegnerischen Captain besiegt, könnt ihr sein Schiff kapern, die Ladung an euch reißen und eventuell eure Crew mit einigen Gefangenen erweitern. Habt ihr verloren, wandert ihr vermutlich ins Gefängnis und dürft dort über euer Versagen nachgrübeln.

Ähnlich läuft auch die Plünderung von Städten ab, wobei ihr hier wahlweise von der Seeseite oder der Landseite angreifen könnt. Diese Entscheidung bestimmt, wie die erste Phase des Angriffs aussieht – entweder gibt es einen Schiffskampf, bei dem ihr von den Kanonen des Forts beschossen werdet, oder einen Landkampf gegen eventuelle Bodentruppen -, doch sobald ihr die Stadt erreicht habt, kommt es in jedem Fall zu einem Fechtkampf. Das Resultat bleibt auch gleich: Es bringt hoffentlich fette Beute, damit eure Crew weiter an euch glaubt – und natürlich auch Profit für eure private Schatzschatulle, die euch den Lebensabend versüßen soll. Mit all diesen Möglichkeiten haben wir aber nur die Oberfläche gestreift – in Pirates! kann man Länder gegeneinander ausspielen, Titel und Land erwerben, seine Familienmitglieder retten und große Schätze ausgraben. Die Karibik steht euch offen – und es liegt an euch, was ihr daraus macht.

Pirates! wurde von Arnold Hendrick und Sid Meier erdacht. Sie hatten die Idee zu einer Art Rollenspiel, in dem es um große Abenteuer in einer dynamischen Welt ging. Weniger überzeugt von der Idee war Bill Stealey, der gemeinsam mit Meier Microprose gegründet hatte – er wollte dem bisherigen Weg des Studios, Fahrzeugsimulationen zu entwickeln, treu bleiben. Immerhin hatten Spiele wie Silent Service oder F-15 Strike Eagle dem Entwickler bislang Glück gebracht – warum sollte man diese Erfolgswelle aufgeben? Schließlich gelang es, ihn umzustimmen. Um dennoch den Spielern ein gewisses Gefühl von Kontinuität zu geben, entschloss man sich, Sid Meier, der dank seiner bisherigen Erfolge mit den bisherigen Microprose-Produkten schon einen guten Namen bei den Fans hatte, in den Fokus zu rücken. Diese Idee kam – wie Stealey später erzählte – übrigens von Schauspieler Robin Williams, der bei einem Essen der Software Publishers Association meinte, man solle Sid zu einem Star aufbauen und seinen Namen auf die Verpackungen geben. So kam es dazu, dass das Spiel „Sid Meier’s Pirates!“ getauft wurde – und dass der Titelzusatz „Sid Meier’s“ bis heute bei den diversesten Spielen verwendet wird, von Railroad Tycoon bis hin zu Civilization.

Heute steht der Name „Sid Meier’s“ sowohl für Tradition als auch für Qualität (auch wenn bei weitem nicht in allem, wo „Sid Meier’s“ draufsteht, Sid Meier auch wirklich in verantwortlicher Position beteiligt war), damals war es ein mutiger Schritt. Pirates! zeigt aber schon viele Elemente, die seine späteren Spiele groß machen sollten: Eine offene Welt mit einer eigentlich klaren Zielsetzung (möglichst hohe Punkte beim Ruhestand), viele Wege, dieses Ziel zu erreichen, und eine dynamische Welt, in der sich die Lage (auch durch Einfluss des Spielers) ständig ändert. Welche Siedlungen groß werden oder durch ständige Beutezüge schrumpfen, welches Land im Kampf um die Karibik vorne liegt – all das kann sich schnell ändern. Dadurch gleichen sich auch die Partien nie, was auch mehrmaliges Spielen spannend macht. Das Handwerkszeug hat man zwar schnell begriffen, aber die Kunst ist es, auf die jeweiligen Situationen richtig zu reagieren.

Wie so oft in der damaligen Zeit waren auch technische Kniffe nötig, um das Spiel zum Laufen zu bringen – wir dürfen nicht vergessen, dass wir es in der Urvariante von 1987 mit einem C64 (und generell auch bei den Ports vor allem mit Hardware der späten 80ern) zu tun hatten. Dadurch gab es zahlreiche Limitationen (vor allem sehr wenig Speicher), um die man sich herumarbeiten musste – gar nicht so leicht, eine große, dynamische Welt wenig Speicher zu quetschen. Der wichtigste Trick bei Pirates! war, wie Meier später erklärte, dass man die Grafik der Welt in Schriftarten packen und sie so sehr schnell und speicherplatzsparend präsentieren konnte.

Die Wagemut, mit Pirates! etwas Neues zu wagen, wurde belohnt: Das Spiel bekam hohe Wertungen, hatte tolle Verkaufszahlen und gilt bis heute als bahnbrechend für die Entwicklung der Videospiele. Mehrere Einträge in diverse Hall of Fames zeigen, wie sehr der Titel heute noch als Meilenstein in Erinnerung geblieben ist. Für die Bekanntheit sorgten auch diverse Ports für quasi alle damals wichtigen Systeme, von Apple II, PC, Mac bis (etwas später) für die 16-Bit-Maschinen Atari ST und Amiga. All diese Versionen wurden natürlich an die jeweiligen Hardwarefähigkeiten angepasst. Auch auf eine Konsole schaffte es die Urversion von Pirates!: Die NES-Fassung wurde von Rare entwickelt und inhaltlich leicht angepasst – immerhin entsprach der Handel mit Tabak den Nintendo-Richtlinien der damaligen Zeit überhaupt nicht.

Falls ihr euch wundert, warum ich jetzt so oft betont habe, von der Urversion zu sprechen: Pirates! blieb vermutlich auch deshalb so im kollektiven Gedächtnis hängen, weil es regelmäßige Neuauflagen gab. Dazu gehört Pirates Gold! (Mac, PC, MegaDrive, Amiga CD³²) von 1993, bei dem die Grafik ordentlich aufpoliert wurde, sowie das 2004 für PC erschienene Pirates! Live the Life, das nach und nach auch auf diversen anderen Plattformen aufschlug – von Xbox (später auch 360) über PSP, Wii und zuletzt für Mobiltelefone. Bei diesen Remakes blieb die Grundprämisse unverändert, auch wenn natürlich grafisch und auch am Gameplay ein wenig gefeilt wurde. Und auch wenn mit zunehmendem Alter des Spiels die Kritiken mehr und mehr betonten, wie sehr sich einzelne Gameplayelemente wiederholten, waren all diese Versionen durchaus erfolgreich.

Nachdem wir gerade am momentanen Ende der Geschichte von Pirates! angekommen sind, möchte ich jetzt aber noch einmal das Rad zum Anfang zurückdrehen – immerhin begannen meine eigenen Erlebnisse mit diesem Titel irgendwann Ende der 80er auf dem C64. Und wie bei so vielen Spielen auf dieser Plattform gilt dabei: Ich habe keine Ahnung, wie Pirates! in meine Finger gelangte. Tatsache ist: Eines Tages fand ich das Spiel auf einer der zahlreichen Disketten, die sich im Laufe der Zeit ansammelten. Und anders als viele andere Spiele, die oft relativ simpel gestrickt (aber dennoch meistens nicht gerade einfach) waren, hatte Pirates! das Flair einer offenen Welt und fing mich damit gekonnt ein.

Ich würde jetzt nicht behaupten, dass ich auch wirklich alles verstand (vor allem die Bodenkämpfe blieben ein Buch mit sieben Siegeln), aber die Grundprämisse war einfach genug, dass ich schon vor meinem 10. Geburtstag verstand, worum es ging: Sei ein Pirat, kämpfe, plündere, erobere. Etliche Feinheiten entgingen mir dabei natürlich, sodass ich manche Features erst im Laufe der Zeit begriff. Zum Beispiel erkannte ich erst spät, dass es kaum einen Sinn macht, Schätze zu suchen, wenn man keine Karte hat, oder dass man nicht einfach aus Nettigkeit beim ersten Landgang die Beute unter der Crew aufteilen sollte, weil sich die sonst in alle Winde zerstreut und die angesammelten Kanonen und Schiffe mitnimmt. Und so weiter. Aber es reichte aus, um Spaß zu haben, auch wenn ich nie die hohen Punktezahlen erreichen konnte.

Interessanterweise habe ich Pirates! immer weniger gespielt, je mehr ich es verstand. Als Kind fand ich Fechten und Seeschlachten aufregend, aber das Erkunden der Karte war mir unheimlich (im Handbuch würden sich zwar Koordinaten der diversen Städte finden, aber ich segelte einfach so herum) – vermutlich zeigten sich schon da schon die ersten Anzeichen meiner Abneigung gegen Open „Wo soll ich denn bloß als nächstes hin? Das sieht alles gleich gut aus“ World. Ich hatte einfach zu wenig Plan, wie ich vorangehen muss oder was ich überhaupt tun muss, um eine hohe Punktezahl zu bekommen. Zunächt ging es mir auch gar nicht darum, denn Herumsegeln und Erkunden reichte vollkommen aus, doch erst ein paar Jahre später mit Pirates Gold! ging ich das Spiel „ernsthafter“ und systematischer an, versuchte die Gameingsysteme besser zu verstehen und schaffte es immerhin ein Stückchen nach oben auf der Karriereleiter.

Für den Weg ganz nach oben reichte es allerdings dennoch nie. Das liegt aber auch daran, dass man dem Spiel dann doch irgendwann anmerkt, wann es erschaffen wurde und dass hinter all den genialen Ideen, wie der offenen Spielwelt,  doch ein eigentlich recht repetitives Gameplay steckt. Das lösten spätere Spiele (nicht nur, aber auch solche mit dem Titelzusatz „Sid Meier’s“) deutlich besser. Aber da reden wir natürlich vor allem von Titeln, die schon für andere Systeme entwickelt wurden und dadurch ganz andere Möglichkeiten hatten.

Und damit sind wir schon an dem Punkt, warum ich Pirates! vermisse. Und da muss ich definitiv damit beginnen, dass es einfach nie wieder ein Spiel mit diesem Flair, diesem Setting, dieser Qualität gab. Die Pirates!-Idee, ein Leben in einem gewissen Setting zu simulieren,  wurde zwar immer wieder aufgegriffen (unter anderem von Microprose selbst mit Sword of the Samurai), aber genau diese Mischung (und damit meine ich vor allem etwas, das sowohl an die Qualität heranreicht als auch ähnliches Feeling aufweist) kam mir nicht mehr unter. Dazu kamen die vielen (auch hier wieder: für die Zeit) gut designten Kleinteile, die ein großes Ganzes ergaben. Ja, natürlich konnte das Fechten nicht mit einem Beat’em-Up (nicht mal damaliger Machart) mithalten und war ohne Hintergedanken eintönig – aber kombinierte man es mit einem Bodenangriff oder einem vorherigen Seegefecht, fügten sich die Puzzlesteinchen langsam, aber sicher zu einem Gesamtwerk zusammen, in dem wir als Pirat große Abenteuer erleben konnten. Eine Lebenssimulation, die zwar durchaus geschichtlichen Anspruch stellte (das Handbuch war gefüllt mit etlichen historischen Hintergründen), aber dennoch natürlich eine Fantasie war – auch hier merkt man bereits Sid Meiers Grundsätze, gleichzeitig zu unterhalten und zu unterrichten. Ein letzter Punkt sei mir noch erlaubt: die Musik. Meier nutzte zeitgenössische Musik von Bach und Händel unter spielte sie an passenden Stellen ab, ohne das ganze Spiel mit Dauergedudel zu untermalen. So machten diese beiden Komponisten gleich noch mehr Spaß – und begleiten mich zum Teil bis heute. Nur nicht mehr in heute vergleichsweise billig anmutenden Chiptune-Versionen, sondern echte Aufnahmen von tollen Themen, die ich immer mit Pirates! assoziieren werde. Dank all dieser Dinge hat das Spiel selbst 30 Jahre nach seinem Erscheinen noch immer einen Fixplatz in meinem Spiele-Olymp sicher.

Florian Scherz

Bereits früh entwickelte Florian zwei große Leidenschaften: Videospiele und Theater. Ersteres brachte ihn zu einem Informatikstudium und zu Jobs bei consol.MEDIA und Cliffhanger Productions; zweiteres lässt ihn heute (unter anderem) als Schauspieler, Regisseur, Komponist und Lichtdesigner arbeiten. Wenn er gerade keine Musicals inszeniert, spielt oder schreibt, vermisst er auf Shock2 Videospiele von anno dazumal in seiner Blog-Reihe "Spiele, die ich vermisse".

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