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Spiele, die ich vermisse #136: Counter-Strike 1.6

EIGENTLICH dachte ich, ich hätte dieses Mal fast wie in alten Tagen ein echtes Luxusproblem: Mindestens zwei Spiele, zwischen denen ich mich entscheiden musste, lagen für die diese Ausgabe schon in meinem Kopf bereit. Und dann kam wieder alles anders: Zuerst entschied ich mich, ein wenig länger zu warten, denn nach dem, was in den letzten Wochen alles in der Welt passiert ist, erschien es mir irgendwie falsch, eines der beiden (grundverschiedenen) Themen zu würdigen. Und dann kam jene Diskussion auf, die wir nach dem Amoklauf von München allesamt befürchtet hatten: Kaum wurde allen (abgesehen von einigen Härtefällen, die natürlich unbedingt so einen Background wollen) klar, dass es sich in München nicht um ein Attentat mit islamistischem Hintergrund gehandelt hat, war das alte Argument „Killerspiele“ zurück. Und es kam wie das Amen im Gebet, dass der Finger auf ein ganz bestimmtes Spiel gerichtet wurde: Counter-Strike. Deshalb habe ich mich entschlossen, meine Pläne mal wieder über den Haufen zu werfen, mich an meine eigene Zeit mit CS (1.4 bis 1.6, danach habe ich die Serie wieder verlassen) zu erinnern und so nebenbei meine eigenen Gedanken zum Thema „Spiele und Gewalt“ niederzuschreiben.

Die „Geschichte“ von Counter-Strike ist schnell erzählt – es gibt nämlich eigentlich keine. Das Spiel verzichtet sowohl auf eine Story als auch auf den Single-Player-Modus und konzentriert sich auf eines: Multiplayergefechte in einem ganz bestimmten Setting. Allerdings nicht einfach Mann gegen Mann und jeder gegen jeden, stattdessen ist hier Teamwork gefragt, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen. Die Spielerschaft wird auf zwei Fraktionen aufgeteilt, die Terroristen und Counter-Terroristen, die auf den jeweiligen Maps versuchen, innerhalb des Zeitlimits ihre Aufgaben zu erfüllen (oder einfach das andere Team auszuschalten). Welche das sind, hängt vom Typus der Karte ab, von denen die beiden folgenden die wohl wichtigsten und bekanntesten sind: Auf Defuse-Maps müssen die Terroristen eine Bombe legen und danach verteidigen, während die Counter-Terrorists das Legen des Sprengstoffes verhindern müssen oder – falls das nicht gelingt – diese entschärfen; bei Geiselszenarien müssen die Eingreiftruppen Geiseln erreichen, ansprechen und in eine Sicherheitszone eskortieren. Zwei weitere, weniger populäre Modi lassen die CT einen schlecht bewaffneten VIP eskortieren oder die schlecht ausgestatteten Terroristen von der Map flüchten.

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Bevor es ins Gefecht geht, habt ihr die Möglichkeit, euren Spieler zusätzlich zur Standardausrüstung auszustatten. Dafür benötigt ihr allerdings Geld, dass ihr euch erst verdienen müsst, indem ihr zum Beispiel für Siege (aber auch Niederlagen) Geldboni kassiert. Aufgrund dieses Prinzips werden in einer Runde meist die ersten Matches schlecht ausgestattet gespielt, während spätere Gefechte dann schon mit stärkeren und spezialisierteren Waffen und Ausrüstung ausgetragen werden. Man kann auch während eines Matches zurück in die Kaufzone laufen, wenn man draufkommt, dass man die falsche Ausrüstung dabei hat (und noch die Kohle dafür auf dem Konto hat), oft genug hat man allerdings nur dabei, was man zu Beginn der Runde erwirbt oder aus dem Match davor (wenn man nicht stirbt, denn dann muss man nicht nur bis zur nächsten Partie aussetzen, sondern verliert auch die Ausrüstung) mitnimmt. Die Wahl der Waffen bestimmt natürlich, wie man die Runde angeht. Ist man eher ein Frontläufer mit feuerstarken, munitionverschleudernden Wummen? Oder verzieht ihr euch eher in eine hochgelegene, gut geschützte Ecke und setzt auf Snipen? Wenn das Team hier erfolgreich sein will, heißt es nicht nur, auf die eigene Stärke zu setzen, sondern auch als Gruppe taktisch möglichst gut zusammenzuarbeiten. Auch wenn man oft genug Partien erlebt, wo man sich nicht abspricht, sondern jeder sein eigenes Süppchen kocht.

Counter-Strike begann sein Leben eigentlich gar nicht als eigenständiges Spiel und wurde auch nicht von Profis programmiert. CS wurde von einer Gruppe von Hobbyentwicklern unter der Leitung von Minh „Gooseman“ Le und Jess „Cliffe“ Cliffe als Mod für Half-Life entwickelt. Ein Vorbild für die Entwicklung und das langsamere, taktischere Gameplay war dabei laut den Entwicklern Rainbow Six. Mitte 1999 kam die erste Beta-Version mit noch eingeschränkten Features, die nach und nach (auch durch Feedback der Fans) erweitert wurden. Knapp darauf folgte Version 1.0 und damit der offizielle Release – und der Beginn des Erfolgs. Nicht ganz ein Jahr später folgte der wohl wichtigste Schritt in der Entwicklung des Spiels: Valve kaufte die Rechte am Spiel und nahm einige der Entwickler unter Vertrag. Weitere Meilensteine folgten, von denen wohl diese beiden die wichtigsten waren: CS 1.4 war die erste Version, die optional über Steam lief; CS 1.6 ist – obwohl es danach noch einige folgende Patches gab – die finale Version des Urspiels. Das „1.6“ wird auch heute noch gerne im Titel benutzt, um diese von den Sequels Condition Zero, Source und Global Offensive zu unterscheiden. 1.6 ist übrigens auch die erste Fassung, die unbedingt Steam erfordert – wer den Service nicht nutzen wollte, musste auf Version 1.5 bleiben. 2003 folgte die Konsolenversion für die XBOX, die sich allerdings Kritik gefallen musste. Und das nicht nur wegen des hohen Preises, sondern auch, weil man mit dem Gamepad deutlich schlechter zielen konnte. Dafür waren hier schon in der Grundversion Bots verfügbar, die in der PC-Version nur via Mods zugänglich waren.

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Damit sind wir eigentlich schon bei der Rezeption des Spiels – und die war zumindest in Spielerkreisen großartig. Die Wertungen waren hoch; die Verkaufszahlen toll; das langsamere, realistischere Gameplay (immerhin reden wir hier von der Zeit von Unreal Tournament und Quake) funktionierte großartig und bereitete den Weg für die Weiterentwicklung des Genres hin zu heutigen Größen wie Battlefield und Call of Duty; die Community wuchs konstant und in der eSport-Szene war das Spiel lange Zeit der große Renner. Da das Spiel aus Half-Life entstanden war, konnten dessen Tools verwendet werden – unter anderem, um Maps zu erstellen, was eine Vielzahl an Spielern tat und so ständig für Abwechslung sorgte; Mods wurden entwickelt, um wichtige Features nachzureichen, wie zum Beispiel die Map-Rotation per Abstimmung zu steuern oder die schon oben erwähnten Bots. Doch der Gegenwind ließ nicht lange auf sich warten – und damit sind wir beim wohl kniffligsten Punkt in der Besprechung von Counter-Strike: dem Faktor „Killerspiel“.

Der Begriff „Killerspiel“ gilt oft als von Günther Beckstein (CSU) geprägter Begriff, auch wenn das bei weitem nicht gesichert ist (ganz zu schweigen davon, dass der Begriff noch immer nicht genau definiert ist und von Medienwissenschaftlern abgelehnt wird). Counter-Strike kam sehr schnell in diesen Dunstkreis und wurde für viele zum Paradeexemplar des gewalttätigen Spiels. Zum Teil geschah das durchaus unschuldig, denn wenn man als Kenner des Spiels manchen Bericht liest, fragt man sich, ob der Autor jemals den Titel gesehen hat oder einfach abschreckende „Wunschvorstellungen“, die die Meinung, die der Artikel rüberbringen sollen, zusammengereimt oder falsch zusammengesetzt hat. So benutzte zum Beispiel die „Bild“ einen recht blutigen Screenshot aus Soldier of Fortune (das in Deutschland indiziert wurde), behauptete aber, es handle sich um Counter-Strike. Wie so oft zeigte sich dabei: Die Fakten mögen nachweislich falsch gewesen sein, aber natürlich prägten sie trotzdem die Sichtweise der Öffentlichkeit auf diesen Titel nachhaltig – so sehr, dass wir eben heute noch hören müssen, dass Counter-Strike ein maßgeblicher, wenn nicht sogar DER Faktor hinter einem Amok-Lauf ist.

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Da wir gerade schon in Deutschland sind: Die BPjS (heute BPjM) hatte 2002 ihre liebe Not mit diesem Spiel, da der Indizierungsantrag nach dem Amoklauf von Erfurt natürlich mit Argusaugen beobachtet wurde (besonders pikant wird das vor allem wohl deshalb, da beim Täter in Erfurt spätere Ermittlungen nahelegten, dass er kein besonderes Interesse an Counter-Strike hatte). Zuerst sah es nach einer Indizierung aus, aber man lud erstmals zwei Mitglieder aus der Community ein, mitzudiskutieren – auch, da man keine Erfahrung mit Online-Spielen hatte. Im Endeffekt entschied man, dass das Spiel zwar eine gewisse Jugendgefährdung ausstrahlte, aber dass dies für eine Indizierung nicht ausreiche. Positiv wurde erwähnt, dass das Spiel auf übermäßige Splatter-Effekte verzichtete, dass man Runden gewinnen konnte, ohne einen Schuss abzugeben und dass das Schießen auf Geiseln bestraft würde. Auch stellten die hinzugezogenen Spieler die Sicht des eSports da, wo es um Clans, Taktik und Wettkampf geht statt um das Blutbad – auch ein Grund, den Antrag abzulehnen. Für etliche Politiker war das eine völlig falsche Entscheidung, wie öffentlich lautstark verkündet wurde, aber die Entscheidung war gefällt.

Dennoch muss man hier hinzufügen, dass CS für den deutschen Markt ohnehin geschnitten wurde (die internationale Version wurde indiziert). Ob diese Eingriffe die gezeigte Gewalt allerdings nicht eher verharmlosten, darf diskutiert werden. Gut, andersfarbiges Blut hatten wir unter anderem schon in Command & Conquer gesehen und schränkt das Spiel jetzt nicht wirklich ein. Stark entschärft wurde allerdings, wie Figuren sterben. Stirbt ein Spieler, gibt es im Original diverse Animationen, bevor er zu Boden geht und eindeutig tot ist. Auch Geiseln (von denen es in der deutschen Fassung nur eine Art gibt) haben ein eindeutiges Ableben, das eines klar zeigt: Auf wen man schießt, der stirbt und steht nicht wieder auf. Nicht so in der deutschen Version: ein erschossener Spieler setzt sich auf den Boden und lässt den Kopf hängen, während eine tote Geisel sich auf den Boden kauert und die Hände hinter den Kopf legt. Ob diese Schnitte gut sind, weil sie die gezeigte Gewalt entschärfen, oder in Wahrheit schlecht, weil sie Schüsse auf Menschen eigentlich verharmlosen („Wenn ich auf jemanden schieße, setzt er sich einfach auf den Boden und gibt auf“) wird schon seit über zehn Jahren heftig diskutiert – nicht nur von der Community, sondern auch von Psychologen.

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In der Politik scheinen – zumindest bei jenen, die laut diskutieren – solche Zweifel noch nicht angekommen. Oder kennt ihr eine andere Erklärung, warum wir nach München sinngemäß hören mussten „er hat Counter-Strike gespielt, das hat im übrigen auch jeder Amokläufer“? Hier wieder nach schärferem Jugendschutz und „Killerspielverbot“ zu rufen, statt sich den wohl wirklich ausschlaggebenden Faktoren zuzuwenden, ist leider ein typischer Reflex von Leuten, die sich mit der Szene und der Marterie gar nicht wirklich beschäftigt haben. Ganz abgesehen davon, dass der Umkehrschluss einfach auch nicht gilt: Ja, es mag schon stimmen, dass Amokläufer oft Kontakt mit Spielen, die gemeinhin gern als Killerspiel bezeichnet werden, hatten. Aber ist jeder, der solche Spiele spielt, auch ein Amokläufer? Wohl nein, sonst hätten wir ein viel größeres Problem.

Ich wäre ja dann auch ein Amokläufer, denn auch ich habe Counter-Strike gespielt. Ich habe euch schon mehrfach von der LAN-Leitung zu meinem Nachbarn erzählt, die quer über unsere Garagendächer von Zimmer zu Zimmer lief – und gerade CS war hier neben Starcraft, Command & Conquer und ein wenig Alien vs. Predator Stammgast, vor allem, wenn noch mehr Freunde dabei waren, da wir nur zu zweit natürlich nur eine (zu) kleine Runde darstellten. Kein Wunder, dass bei uns Bots (mit leider zweifelhafter KI) eher Dauergäste waren.

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Dafür hatten wir viel Spaß mit den verschiedensten Maps – meine persönlichen Lieblinge waren jene, bei denen wir winzig klein wurden und in riesenhaften Küchen, Badezimmern oder Spielzimmern herumliefen und -ballerten. Klar wurde hier auf Menschen geschossen. Aber war uns dabei immer klar, dass es sich dabei nur um ein Spiel handelte? Durchaus. Und in meinem Fall war das sicher auch besser so, denn Machtgelüste hätte CS bei mir nicht erfüllt – eher einen Minderwertigkeitskomplex verursacht, denn wenn ich einen Beweis gebraucht hätte, dass ich in Shootern nicht zu den besten Spielern gehöre, hätte dieser Titel ihn eindeutig erbracht.

Noch „schlimmer“ wurde es übrigens, wenn wir das LAN verließen und uns in die Weiten des Internets begaben. Dank 56k-Modem (auf der Seite meines Nachbarn) und ISDN-Leitung (auf meiner) hatten wir hier mit deutlicher Latency zu kämpfen – was soweit ging, dass wir das Zielen jedesmal umstellen mussten, wenn wir von LAN auf Online wechselten, denn in der Netzwelt galt es wesentlich deutlicher „vorzuzielen“, um den Gegner auch tatsächlich zu treffen. Tatsächlich machte mir diese Variante aber nicht nur deshalb weniger Spaß, weil ich dadurch noch häufiger ins Gras biss – ich hatte einfach mehr Freude daran, mit der Freundesrunde neue Maps auszuprobieren (die für unsere Leitungen übrigens relativ groß waren), als mich mit Leuten zu messen, die mir sowieso über waren.

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Und so vermisse ich Counter-Strike auch. Nicht als blutrünstige Machtfantasie, mit der ich meine Aggressionen ausleben konnte und für meinen nächsten Amoklauf trainieren konnte – auf den Gedanken wäre ich nie gekommen. Sondern als wohl sozialste Shooter-Erfahrung, die ich je gemacht habe. Mit oder gegen Freunde im Kampf um Geiseln, Bomben und VIPs. Auf diversen Maps, die zum Teil einfach nur skurril (und definitiv nicht immer ausbalanciert) waren. Immer wieder ins Gras beißen und trotzdem drüber lachen. Aber auch dafür, dass ich das Spiel nur zu gut kannte, als die Killerspiel-Diskussion aufkam und ich mich nicht erst heute, sondern schon damals fragte, ob die Leute, die hier urteilen, eine Ahnung haben, wovon sie reden. Und ja, auch dafür, dass CS für mich bis heute wohl ein Beispiel ist, bei dem ich mich frage, ob die Schnitte in Deutschland, um dem Jugendschutz zu genügen, nicht eigentlich bisweilen gewaltverharmlosend sind und dadurch eher kontraproduktiv. Aber das ist nur meine Meinung. Wie ist eure?

Florian Scherz

Bereits früh entwickelte Florian zwei große Leidenschaften: Videospiele und Theater. Ersteres brachte ihn zu einem Informatikstudium und zu Jobs bei consol.MEDIA und Cliffhanger Productions; zweiteres lässt ihn heute (unter anderem) als Schauspieler, Regisseur, Komponist und Lichtdesigner arbeiten. Wenn er gerade keine Musicals inszeniert, spielt oder schreibt, vermisst er auf Shock2 Videospiele von anno dazumal in seiner Blog-Reihe "Spiele, die ich vermisse".

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