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Spiele, die ich vermisse #130: X-Com Apocalypse

Ich weiß ja nicht, wie es euch geht – aber diese Woche steht für mich im Zeichen der spielerischen Vorfreude. Ich bin ja schon länger nicht mehr ganz so aktiv und beobachte nicht mehr dauernd alle Releases, aber dafür jene, auf die ich mich wirklich freue, umso genauer – und da startet nächste Woche mit XCOM 2 der erste Anwärter auf mein persönliches Spiel des Jahres 2016. Anders als beim ersten XCOM, das sich ganz klar vom ersten Teil der ursprünglichen Reihe inspirieren ließ, lässt uns dieses Spiel allerdings nicht in die Tiefe abtauchen (Terror From the Deep hätte ich auch schon mal vermisst), sondern wendet sich einer völlig neuen Prämisse zu. „Aber nun zu etwas ganz anderem“ galt aber auch schon in der Vergangenheit der X-COM-Serie: Nach UFO: Enemy Unknown und der „besseren Datendisk“ Terror from the Deep durfte nämlich Serienerfinder Julian Gollop nochmal ran und seine Vision eines Sequels veröffentlichen. Sein Name? X-Com Apokalypse.

Fast halbes Jahrhundert ist vergangen, seit der zweite Angriff der Aliens zurückgeschlagen und T’leth zerstört wurde. Doch die Konsequenzen dieses Kampfes erwiesen sich katastrophal für die Erde: Um das Ãœberleben der Menschheit zu garantieren, wurden mehrere Megacities erschaffen, die unter ihren Kuppeln lebenstaugliche Bedingungen schufen. X-Com Apokalypse erzählt die Geschichte einer von ihnen – der ersten dieser Städte namens Mega-Primus. Denn die Stadt, die von gewählten Senatoren regiert, aber in Wahrheit von Megakonzernen beherrscht wird, ist in Gefahr durch einen neuen Alien-Angriff; zwar haben die neuen Wesen scheinbar überhaupt nichts mit den bisherigen Bedrohungen zu tun (später stellt sich allerdings ein zumindest kleiner Zusammenhang heraus), doch das ändert nichts an der Antwort der Menschheit auf die Bedrohung: Die X-Com wird einmal mehr aus der Versenkung geholt, um sich den Eindringlingen entgegen zu stellen.

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Treue Leser dieser Serie (oder Leute, die sich mit X-Com beschäftigt haben) wissen vermutlich, dass Julian Gollop nach dem überraschenden Erfolg des ersten UFO-Teils die Arbeit an einem möglichst rasch fertig zu stellenden Sequel abgelehnt hatte. Publisher Microprose wollte so schnell wie möglich das Spiel in die Händlerregale bringen, um den Hype auszunutzen, aber der Zeitrahmen, der ihnen vorschwebte, war so kurz, dass mehr als ein Beibehalten des Gameplays mit kleineren Variationen samt Grafikänderungen nicht möglich war. Deshalb einigte man sich darauf, dass Microprose Terror From the Deep entwickeln durfte, das genau diesen Vorgaben entsprach, während Gollop gleichzeitig mit seinem Studio mit der Arbeit an einem umfassend anderen weiteren Sequel begann. Und dass er das auch durchzog, zeigt sich, wenn man Apocalypse spielt – denn der Vorwurf, eine bessere Datendisk zu sein, der TftD gern gemacht wurde, lässt sich definitiv nicht auf diesen Teil anwenden.

Doch beginnen wir bei den Gemeinsamkeiten: Nicht geändert hat sich, dass wir die X-Com leiten, eine Organisation, die sich gegen die außerirdischen Invasorten stellt. So wie in den Vorgängern schicken wir unsere Mannen in den Einsatz, töten alle Aliens (oder nehmen sie gefangen), bringen ihre Leichen, eventuelle Gefangene sowie erbeutete Gegenstände zurück zur Basis, wo wir sie erforschen und mit etwas Glück nachbauen (oder daraus unsere eigenen Technologien entwickeln) können. An diesem Grundprinzip wurde nichts verändert – im Detail wurde allerdings an allen Ecken und Enden geschraubt, sodass das Resultat sich deutlich anders spielte.

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Das beginnt schon mit dem Setting – wir beschützen nicht mehr die Erde, sondern nur noch Mega-Primus, von den Vorgängen außerhalb der Kuppel bekommen wir eigentlich nichts mit. Doch dafür ist der Schauplatz deutlich genauer ausgefeilt. Ich habe bereits erwähnt, dass es in der Stadt mehrere Konzerne gibt, die nicht nur einen wichtigen Teil der Versorgung der Bürger darstellen, sondern auch einen großen Machtfaktor darstellen. Das zeigt sich auch im Gameplay – Nanotech ist zum Beispiel die einzige Quelle von Medkits, und wenn ihr diese Gruppe gegen euch aufbringt, werdet ihr diese Ware nicht mehr bekommen. Ähnliches gilt für Waffenproduzenten oder Transportunternehmen.

Doch warum solltet ihr diese Organisationen verärgern? Nun, abgesehen davon, dass die Aliens immer wieder versuchen, die diversen Firmen zu infiltrieren (was natürlich auch dazu führen kann, dass sie der X-Com nicht gerade positiv gegenüberstehen), gibt es da vor allem zwei Faktoren, die stark mitspielen. Einerseits das Chaos, das ihr bei euren Einsätzen anrichtet. Wer regelmäßig Gebäude beschädigt, die einer Organisation gehören, darf sich einerseits nicht wundern, wenn das Budget des jeweiligen Konzerns für Reparaturen aufgewendet wird (statt zum Beispiel für den Schutz der Bevölkerung) und andererseits muss man dann auch damit rechnen, dass sie auf die X-Com nicht mehr so gut zu sprechen sind. Andererseits kommt dann noch ein relativ komplexes Geflecht, wie die einzelnen Organisationen aufeinander zu sprechen sind und wie sie sich gegenseitig in die Quere kommen , dazu – da wird schon mal ein Konkurrent angegriffen – und schon wisst ihr, dass der Kampf gegen die Aliens nur ein Teil eures Problems ist. Zum Glück kann man mit Geld (oder auch durch Angriffe auf die Feinde der jeweiligen Organisation) fast alle strapazierten Beziehungen wieder kitten – aber seid ihr einmal wirklich zu weit gegangen, wird eine Rückkehr nicht nur teuer, sondern eventuell sogar unmöglich. Und das kann zu echt unangenehmen Konsequenzen führen – von Angriffen auf eure Basen bis hin zur Tatsache, dass ihr plötzlich gewisse Waffensysteme nicht mehr bekommt oder Waren nicht mehr so einfach zwischen euren Basen verschieben könnt. Andererseits ist es von Vorteil, einige Gruppen auf seine Seite zu bekommen, da ihr so zum Beispiel neue, spezielle Rekruten bekommt.

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Bei all den Dingen, die nun bereits Erwähnung fanden, sind die Aliens fast ein wenig in den Hintergrund geraten. Dabei sind sie noch immer der Dreh- und Angelpunkt der Handlung – schließlich lautet auch hier euer ultimatives Ziel, die Außerirdischen zurückzuschlagen. Diesmal gelangen sie durch ein Dimensionsportal direkt unter die Kuppel von Mega-Primus, um Schaden anzurichten. Natürlich könnt ihr ihre Raumschiffe abschießen (aber passt auf, wo ihr das tut – schließlich werden Gebäudeschäden auch in dieser Ansicht nicht gern gesehen) und das UFO danach stürmen, aber diesmal werdet ihr viel öfter werdet zu Einsätzen gerufen, bei denen Aliens sich irgendwo in der Stadt herumtreiben. Anders als im Vorgänger gelangt ihr nicht mehr nur mit einem Skyranger oder einem ähnlichen Fahrzeug dorthin, sondern eilt mit mehreren Fahrzeugen (die ihr natürlich auf diverse Art und Weise ausstatten könnt) oder im Notfall auch zu Fuß dorthin. Dann habt ihr eine wichtige Entscheidung zu treffen: Echtzeit oder rundenbasiert? Zum ersten Mal erlaubt ein X-Com-Teil, den Kampf gegen die Aliens auch ohne Runden auszuüben. In der Praxis geht das durchaus schneller, ist aber deutlich risikobehafteter, da man einfach nicht überall zugleich sein kann (andererseits ist die Echtzeit in Szenarien mit schnellen, aber schwachen Gegnern die bessere Alternative). Aber auch im Rundenmodus hat man einige Verbesserungen gebracht – zum Beispiel könnt ihr eure Soldaten nun in Squads einteilen und diese damit in Gruppen herumbewegen, was auch größere Einsatzteams leicht managebar macht. Das heißt aber auch nur, dass ihr euch mehr auf die Taktik konzentrieren könnt – und wie fast immer bei X-Com ist es gerade am Anfang nicht leicht, den außerirdischen Übermacht Herr zu werden.

Diesmal liegt das auch daran, dass das Spiel lernt – die KI wurde so designed, dass sie eure Taktiken analysiert und darauf reagiert -, aber natürlich auch an den neuen Aliens, die man euch entgegenwirft. Diesmal war die Inspiration wohl Alien, denn ein ganzer Lebenszyklus und diverse Aliens mit einigen fiesen Eigenschaften wurden desigend. Das beginnt beim Brainsucker – einer Abart des Alien-Facehuggers, die nicht nur äußerst schnell sind, sondern eure Agenten übernehmen können -, geht über den Popper (ein Kamikaze-Alien, das explodiert, wenn es euch zu nahe kommt oder mit konventionellen Waffen ausgeschaltet wird) bis hin zu den gefährlichen Overspawns, die von UFOs mitten in die Stadt gesetzt werden und Chaos und Zerstörung anrichten (und damit die einzigen Aliens im Spiel sind, die man mit Schiffen bekämpfen muss/kann). Dazwischen gibt es aber auch Larven und Eier, die sich zwar nicht während der Mission verwandeln, aber zumindest andeuten (was eure Forscher später bestätigen werden), dass es hier eben wirklich einen ganzen Lebenszyklus gibt. Trotz vieler guter Ideen muss man hier allerdings festhalten, dass die Designs der Aliens nicht ganz so überzeugen können, wie sie dies vor allem im ersten Teil taten. In Interviews sprachen die Entwickler oft davon, dass hier ein Plan des Publishers einfach nicht aufging – man hatte einen tollen Designer (Tim White) bei Microprose engagiert, der Modelle erschuf, doch der Plan, diese einzuscannen und im Spiel zu verwenden, schlug fehl; einerseits, weil die Scanner die Details nicht replizieren konnten, andererseits, weil die Modelle einfach verkleinert auf die Größe, wie sie im Spiel benötigt wurden, nicht mehr gut aussahen. Deshalb wirken die meisten Kreaturen eher klobig, während angeblich vorhandene Details verloren gingen.

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Apropos große Pläne und gescheiterte Ideen: X-Com Apocalypse gehört eigentlich auch zu jenen Titeln, bei denen die Ambitionen viel größer waren als das eigentliche Resultat. Gollop selbst gestand ein, einfach zu viel gewollt zu haben. Das Diplomatiesystem hätte deutlich komplexer sein sollen, jedes Firma hätte einen Anführer haben sollen, den man verfolgen, aber auch befragen oder töten könnte. Darüber hinaus hätten Gebäude gekauft und verkauft werden sollen, je nachdem, wie es den diversen Organisationen gerade finanziell ging. Dazu gab es noch Ideen für diverse, zufallsgenerierte Alien-Dimensionen (im Endeffekt fand nur eine den Eingang ins Spiel). Um das Spiel fertig zu stellen, wurden viele dieser Features und noch einige weitere (darunter ein Multiplayer-Modus) allerdings aus dem Titel entfernt. Es ist fast überraschend, dass X-Com Apocalypse dennoch bei Kritikern und Spielern gut (wenn auch nicht so gut wie seine Vorgänger) ankam – zum letzten Mal in der Geschichte der Ur-Serie kam ein Teil bei den Fans gut an.

Gut angekommen ist Apocalypse auf jeden Fall bei mir. Auch wenn ich von Terror from the Deep nicht ganz so begeistert war wie von Enemy Unknown (was nicht verhinderte, dass ich Tage und Wochen in dem Spiel im wahrsten Sinne des Wortes „versenkte“), war Apocalypse ein absoluter Blind- und Pflichtkauf, einfach nur weil „X-Com“ auf der Verpackung stand. Die Änderungen waren mir durchaus sehr willkommen. Endlich nicht mehr umständlich Unmengen an Einheiten einzeln kommandieren! Größere Maps! Frische Gegner! Zumindest ganz zu Beginn war ich hin- und weg. Klar, das Flair des Originals wurde nicht erreicht, aber es half, dass Apocalypse das Setting so sehr verändert hatte – Mega-Primus hatte sein eigenes Feeling, seine eigenen Probleme und seine eigenen Stärken, sodass der unmittelbare Vergleich mit den Vorgängern nicht ganz so einfach war – man konnte hier nicht einfach wie in TftD einfach kopieren, was man in Teil 1 gemacht hatte, und damit zumindest anfänglich Erfolg haben; auf der anderen Seite war Apoc (wie es zumindest in meinem Freudeskreis oft und gerne abgekürzt wurde) dennoch noch eindeutig X-Com, um sich nicht wie ein Fremdkörper anzufühlen (die beiden nächsten Teile der Reihe, Interceptor und vor allem Enforcer, hatten mit diesem Problem durchaus zu kämpfen). Dennoch muss man gerade aus der Retrospektive sagen, dass es Apocalypse nicht gelang, solch einen Kultstatus wie seine Vorgänger zu erreichen.

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Dennoch vermisse ich X-Com Apocalypse bis heute. Aber warum? Zu einem Gutteil sicher, weil es für mich das letzte „echte“ X-Com bis zu XCOM: Enemy Unknown bleiben sollte. Wie schon erwähnt waren die folgenden Sequels nicht gerade das Gelbe vom Ei, sondern eher Enttäuschungen, bei denen noch dazu das Gameplay radikal weg von den Grundprinzipien der Serie wegentwickelt wurde. Aber auch aufgrund seiner Eigenständigkeit, die das Spiel eben nicht zu einer „besseren Datendisk“ machten, sondern zu einer interessanten Variante. Klar, das Spiel war zu ambitioniert und auch wenn etliche Bestandteile entfernt wurden, bildeten die übrigen Bauteile ein komplexes Geflecht, das oft nicht klar genug dem Spieler kommuniziert wurde – aber vielleicht gerade deshalb interessant blieb. Schade nur, dass der Titel nicht optimal gealtert ist und sich heute deshalb zumindest für mich nur noch mit einer großen Portion rosa Retro-Brille spielen lässt – verfügbar wäre er ja dank Steam immer noch.

Florian Scherz

Bereits früh entwickelte Florian zwei große Leidenschaften: Videospiele und Theater. Ersteres brachte ihn zu einem Informatikstudium und zu Jobs bei consol.MEDIA und Cliffhanger Productions; zweiteres lässt ihn heute (unter anderem) als Schauspieler, Regisseur, Komponist und Lichtdesigner arbeiten. Wenn er gerade keine Musicals inszeniert, spielt oder schreibt, vermisst er auf Shock2 Videospiele von anno dazumal in seiner Blog-Reihe "Spiele, die ich vermisse".

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