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Spiele, die ich vermisse #124: Fate of the World

Eigentlich war mein Thema für diese Woche längst fixiert – nachdem ich endlich dazugekommen bin, mir Ant-Man im Kino anzusehen, konnte ich eigentlich gar nicht anders, als ein ganz bestimmtes Spiel zu vermissen. Doch dann schlug das Schicksal in Form des Flüchtlingsdramas im Osten Österreichs unbarmherzig zu, ließ mich einhalten und meine Wahl Richtung „ernsthaftere“ Titel, die zu dem Thema wenigstens irgendwie passen, überdenken. Und das war eigentlich gar nicht so einfach. Spiele mit Flüchtlingen sind jetzt nicht gerade ein Mainstream-Thema – und selbst wenn es sie gibt, habe ich sie nicht gespielt (mit Ausnahme des sehr empfehlenswerten Papers, Please, das ich aber noch nicht genug gespielt habe, um es wirklich zu vermissen – werde ich aber wohl demnächst nachholen) –, und auch wenn mich die Kommentare so mancher Leute zu der Thematik wohl dazu verleiten würden, einmal mehr Diktator NICHT zu vermissen, habe ich das ausgespart (ich will mich ja nicht wiederholen). Stattdessen entschied ich mich für einen Ausflug in die Welt der Serious Games, genauer gesagt für einen Titel, der auf den ersten Blick eigentlich gar nicht zum Flüchtlingsdrama passt, aber bei einem zweiten Blick bei mir ein paar ähnliche Gedanken aufwirft, die zum Umgang mit der Thematik passen: Fate of the World.

Bevor ich auf das Spiel eingehe, kurz eine Begriffsdefinition, für all jene, die fragen „Was zum Geier ist ein ‚Serious Game‘“? Grob gesagt könnte man Serious Game als „Message in Spielform“ bezeichnen, bei dem es vor allem darum geht, den Spieler über gewisse Sachverhalte aufzuklären. Der spielerische Aspekt dient dabei eher als Mittel zum Zweck, als ein Medium, um die Inhalte zu transportieren. Wer dabei zunächst an berühmt/berüchtigte Mathe-Lernspiele denkt, liegt hier richtig, denn diese stellen den wohl allgemein bekanntesten Teilbereich der Serious Games dar. An diesem Beispiel sieht aber auch gleich die Problematik dieser Spiele. Wer zu offensiv die „Message“ vertritt („üben wir rechnen“), riskiert, den spielerischen Aspekt zu vernachlässigen, der die Inhalte aber eigentlich für den Spieler interessant machen soll und die Inhalt so geschickt verpackt, dass die Message nebenbei statt mit dem Holzhammer ankommt. Gerade beim Matheprogramm kann es hier passieren, dass man sich als Entwickler in eine Zwickmühle begibt Die Eltern, die das Spiel kaufen, wollen vermutlich, dass das Kind primär Mathe lernt – ein Lerneffekt und wertvolle Inhalte sollen sofort erkennbar sein. Gleichzeitig sind die meisten Kinder jetzt nicht unbedingt begeisterte Lerner, können aber mit der richtigen Verpackung begeistert werden. Ob das tatsächlich gelingt, hängt aber oft von der Gestaltung und dem Gameplay ab, denn das Kind bleibt länger dabei, wenn es Spaß hat – und fehlt dieser, wird das Programm bald genauso wenig motivieren wie das Schulbuch. Das kann man jetzt von den Lerninhalten weg in mehrere Richtungen ausweiten, denn natürlich geht es in Serious Games oft gar nicht um Lernstoff, sondern um alle möglichen Themen, wie Flüchtlinge, Umweltthemen, Terror, häusliche Gewalt, Depressionen, und und und. Wer einmal einen Blick über den Tellerrand wagen will und nicht nur spielerisch unterhalten werden will, sollte einen Blick auf diese Themen wagen – oft genug sind diese Spiele gratis erhältlich. Empfehlungen können gerne in den Kommentaren ausgetauscht und diskutiert werden – eine weitere gebe ich am Ende dieses Texts.

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Gut, genug trockenes Geschwafel, kommen wir zur Praxis. Fate of the World von Red Redemption ist ein Serious Game, das nicht nur spielerisch interessant seine Message rüberbringen, sondern darüber hinaus auch noch zusätzlich kommerziell erfolgreich sein will. In Sachen Thematik geht es hier um den Klimawandel, den man hier als Leiter einer internationalen Behörde bekämpfen muss. Mission für Mission gilt es, verschiedene Kriterien zu erfüllen, wie zum Beispiel den Temperaturanstieg zu begrenzen, die Lebensumstände in Afrika zu verbessern oder den Einsatz fossiler Brennstoffe zu senken – und in einer „gemeinen“ Mission auch darum, die Welt für nachfolgende Generationen völlig zu versauen. Die ersten Aufgaben sind dabei noch verhältnismäßig einfach, später wird es dann allerdings rasch komplex, sodass meine persönliche Conclusio zu dem Spiel eher die Frage ist, ob man den Klimawandel mit menschlichen Mitteln überhaupt aufhalten kann. Dazu aber später mehr.

Auch wenn ich bei den Zielen das Wörtchen „komplex“ benutzt habe, ist das eigentliche Gameplay rasch begriffen. Man heuert Agenten an, die in den verschiedenen Regionen der Welt operieren – und jeder dieser Agenten kann eine Aktion pro Runde durchführen. Diese möglichen Aktionen werden als Spielkarten dargestellt, die ihr ausspielen könnt, wenn ihr euch die dafür nötigen Ressourcen (und natürlich einen verfügbaren Mitarbeiter) zur Verfügung habt. Und spätestens mit diesen Karten wird es komplex, denn jeder Schritt, den ihr setzt, hat natürlich jede Menge Auswirkungen. Gut, kurzzeitige Aktionen, wie „gründet ein politisches Büro, um Lobbying betreiben zu können“ kann man noch ganz gut abschätzen, aber andere Schritte können oft unerwartete Nebenwirkungen haben. Bekämpft ihr das Abholzen der Wälder mit einem Langzeitprogramm, um Bodenerosion entgegenzuwirken und CO² einzulagern, hat das natürlich auch Auswirkungen auf die Bevölkerung – insbesondere, wenn die Gegend eher landwirtschaftlich geprägt ist und ihr nicht durch Bildung und Aufbau alternativer Arbeitsbereiche gegensteuert. Einer Industrienation strengere Umweltschutzauflagen aufzudrücken, mag im ersten Moment ein logischer Schritt sein, um den Schadstoffausstoß zu minimieren, bedeutet aber vielleicht auch, dass ihr es bald mit einer großen Menge an Arbeitslosen zu tun habt, wenn ihr nicht vorgesorgt habt. Viele dieser Auswirkungen sind auf den ersten Blick nicht offensichtlich – auf den Karten steht nun mal nicht „erhöht Arbeitslosenrate um x%“, sodass hier Fingerspitzengefühl und Experimentieren angesagt ist. Und allzu oft werden eure utopischen, ausgetüftelten Pläne daran scheitern, dass eure Schritte die Lebensumstände der Bevölkerung verschlechtern – dann dauert es nicht lange, bis die Regierungen die Reißleine ziehen und euch weitere Operationen in ihren Gebieten untersagen, was einen Sieg schwer bis unmöglich machen kann.

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Genau diese komplexen Zusammenhänge sind es auch, die die Entwickler von Fate of the World spielerisch darstellen wollten – Klaude Thomas, der CEO des Entwicklers, sagte dazu „Wir haben auf dieser Erde nur einen Versuch; aber in einem Spiel kann man alles zerstören und es dann nochmal probieren. Das ist wertvoll, wenn ein Problem solch verheerende Konsequenzen hat, von denen die meisten ausführlich in der Literatur zum Klimawandel dokumentiert sind“. Wichtig war Red Redemption dabei aber gerade deshalb auch, realistische, wissenschaftliche Daten zu verwenden, die den Klimawandel und die Reaktionen auf unsere Taten adäquat abbilden können. Professor Myles Allen von der Oxford University war deshalb wissenschaftlicher Berater und steuerte seine Klima-Modelle bei. Zumindest in dieser Hinsicht war das Spiel auch erfolgreich – seine Klimawandel-Thematik brachte dem Spiel Preise wie „Best Artistic Response“ der Climate Week 2011, den „Knight News Award“ von Games for a Change 2011 und die Silbermedaille bei den International Serious Play Awards 2011 ein. Kommerziell schaffte man mittelprächtige Wertungen und immerhin den Sprung auf Downloadplattformen und zu einem Publisher – der große, durchschlagende Erfolg blieb allerdings aus. Immerhin erschienen noch zwei DLCs, darunter einer, der dann doch wieder irgendwie zum Anstoß zu diesem Eintrag passt und Klimaflüchtlinge als Thema miteinbringt. Der zweite DLC ist eher für Klimawandelskeptiker gedacht, lässt den Klimawandel deshalb außen vor und beschäftigt sich „nur“ um das Wachstum mit immer weniger werdenden Ressourcen.

Vor ein paar Sätzen habe ich das kleine Wörtchen „Publisher“ erwähnt – und dieses Thema ist es auch, das das Spiel in meine Spielewelt gebracht hat. Genauer gesagt: ein Besuch des Publishers in unseren Redaktionsräumen, irgendwann im Jahr 2011, bei dem es eigentlich um ganz andere Spiele ging, aber Fate of the World eben auch gezeigt wurde. Schon diese kurze Demonstration ließ mich Blut lecken – die Kartenspiel-Optik sprach mich ebenso an wie die völlig andere Thematik. Bald darauf durfte ich das Spiel auch tatsächlich antesten – und war völlig überfordert. Die Lernkurve ist einfach gesagt absolut brutal. Wer keinen Langzeitplan mitbringt, wie man die Regionen entwickeln kann, und nicht Bescheid weiß, welche Nebenwirkungen die einzelnen Karten haben können, wird zwar vielleicht noch auf plötzlich auftauchende Probleme reagieren können (die zwischen den Runden angezeigt werden), aber dabei die weiteren Folgen seiner Entscheidungen übersehen, die rasch ins totale Chaos führen können. Und ja, da habe ich öfter als einmal an typische, anlassbezogene politische Entscheidungen gedacht, die nicht auf einer langfristigen Perspektive aufbauen. Und selbst wenn man hier erstmal durch Trial & Error (oder Lesen der umfangreichen Datenbank im Spiel) mehr herausgefunden hat, wird man sich rasch wünschen, mehr tun zu können und über das fehlende Geld und die mangelnden Ressourcen stolpern – auch das kennen wir auch aus anderen, echten politischen Bereichen zu genüge. Wie schon erwähnt – bisweilen habe ich den Eindruck, dass die Entwickler und erklären wollen, dass der Klimawandel ohnehin nicht mehr aufzuhalten ist …

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Das mag jetzt eigentlich hochgradig negativ für ein Spiel klingen, das ich vermisse, aber – und damit kommen wir zum berühmten letzten Absatz „warum vermisse ich Fate of the World“ – aus irgendeinem Grund motiviert mich Fate of the World immer wieder, zurückzukehren und noch einmal mein Bestes zu tun, um die Welt zu retten. Noch immer enden solche Versuche viel zu oft damit, dass der Meeresspiegel deutlich ansteigt, der Finanzmarkt crashed oder mir mehrere Tierarten aussterben. Aber dennoch will man es noch einmal probieren, seine Ideen ein wenig umorganisieren, der Welt seinen Stempel aufdrücken und sie dadurch zum besseren Ort machen. Dass das nicht einfach ist und dass es selten auf komplexe Probleme einfache Antworten gibt, hat mir Fate of the World zwar nicht beigebracht, aber doch noch einmal deutlich veranschaulicht. Und das ist ein Gedankengang, den ich ebenfalls etlichen Problemen unserer Welt heute habe: Wir möchten zwar gerne einfache Lösungen für unsere Probleme – und viele Menschen glauben jenen, die einfache Lösungen propagieren –, aber in der Praxis gibt es diese einfachen Lösungen oft nicht. Sondern nur komplexe Probleme, die man nicht von einem Tag auf den anderen ändern kann. Wie eben das Klima. Oder die Flüchtlingsproblematik.

Zum Abschluss (ja, ich sagte vorhin „letzter“ Absatz, aber dieser gehört eigentlich zu einem anderen Thema) noch wie versprochen ein letzter Tipp in Sachen Serious Games, der für mich ein Runner-Up für diese Kolumne war, aber dann doch nicht ausreichend von mir gespielt wurde (und über den ich jetzt auch nicht so viel schreiben könnte), sodass ich ihn in den Mittelpunkt stellen konnte. Seht ihr also eher als ersten Tipp auf eurer Reise in die Welt der Serious Games: September 12th ist gratis im Browser spielbar (nein, keine Registrierung, kein In-Game-Shop, etc – es ist wirklich gratis) und sieht sich als Serious Game mit Thema Terrorismus. Was es euch erklären will? Selbst ausprobieren und gerne auch hier diskutieren!

Florian Scherz

Bereits früh entwickelte Florian zwei große Leidenschaften: Videospiele und Theater. Ersteres brachte ihn zu einem Informatikstudium und zu Jobs bei consol.MEDIA und Cliffhanger Productions; zweiteres lässt ihn heute (unter anderem) als Schauspieler, Regisseur, Komponist und Lichtdesigner arbeiten. Wenn er gerade keine Musicals inszeniert, spielt oder schreibt, vermisst er auf Shock2 Videospiele von anno dazumal in seiner Blog-Reihe "Spiele, die ich vermisse".

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