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Spiele, die ich vermisse #108: The Lost Vikings

Es gibt immer wieder Studios, die sich ins kollektive Spielerbewusstsein einbrennen. Gerade, wenn ich in meine Vergangenheit zurückblicke, lösen Studios wie Bullfrog, LucasArts oder Westwood bei mir noch immer den automatischen Kaufimpuls aus – oder würden sie zumindest, würde es sie in dieser Form noch geben und Spiele veröffentlichen. Diesen Kultstatus muss man sich aber natürlich erst mit guten Spielen verdienen, und deshalb ist es zwar im Rückblick oft leicht zu sagen, wo man begonnen hat, bei ihren Titeln blind zuzugreifen, aber oftmals interessanter, darüber nachzudenken, was wohl das erste Spiel war, das man von einem gewissen Studio gezockt hat. Gerade darüber musste ich die letzte Wochen nachdenken, genauer gesagt, seitdem ich mir mit meiner Frau und Freunden die Eröffnungszeremonie der BlizzCon angesehen habe. Und deshalb habe ich mich ein weiteres Mal entschlossen, nicht auf meine (mittlerweile auch schon recht weit zurückliegende) USA-Reise zurückzublicken, sondern mich an jenes Spiel zu vermissen, bei dem ich zum ersten Mal Blizzard begegnet bin. Und nein, das war nicht WarCraft, sondern The Lost Vikings.

Die Geschichte von The Lost Vikings ist rasch erzählt: Ein ungleiches Wikinger-Brüdertrio wird aus seinem gewohnten Leben herausgerissen, als sie von einem Raumschiff entführt werden, wo sie zu einem neuen Teil des intergalaktischen Zoos von Tomator werden sollen. Allerdings geht die Teleportation glücklicherweise ein klein wenig schief, sodass sie nicht im Käfig, sondern mitten im Raumschiff landen. Und damit ist die Aufgabe klar: Ein Weg nach Hause muss gefunden werden. Doch da das für drei Wikinger fern der Heimat nicht so leicht ist, müsst ihr ihnen ein wenig unter die Arme greifen und sie unterstützen.

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Zugegebenermaßen könnte man aus dieser Prämisse fast alles machen – was das Entwicklerteam daraus gezaubert hat, ist ein Plattforming-Puzzle-Spiel, das vor allem von den drei Protagonisten lebt, die wohl kaum unterschiedlicher sein könnten. Erik, der Schnelle, ist ein Läufer mit einem echten Dickschädel. Deshalb erreicht er nicht nur hohe Geschwindigkeiten und kann auch hoch und weit springen, sondern auch, wenn es sein muss, Mauern mit genügend Anlauf zerbröseln. Dafür kann er sich Feinden so gar nicht erwehren. Das ist die Spezialität von Baleog, der gleich zwei Waffen mit sich trägt und deshalb sowohl im Nahkampf mit seinem Schwert als auch im Fernkampf per Bogen überzeugt. Letzterer ist auch wichtig, um entfernte Schalter umzulegen. Der dritte im Bunde ist Olaf, der zwar ebenfalls keine Waffen mit sich führt, dafür aber einen massiven Schild. Damit erfüllt er nicht nur eine offensichtliche Aufgabe (nämlich jene, Feinde und Geschoße auf Distanz zu halten, sodass sie keinen Schaden anrichten können), sondern kann den Schild auch über seinen Kopf halten, wo er als mobile Plattform oder auch als Fallschirm dienen kann.

Dass diese drei alleine nur selten eine Chance haben, zusammen allerdings ein starkes Team ergeben, liegt auf der Hand – und das ist auch gut so, denn sie sind alles, was euch zur Verfügung steht, aber auch alles, was ihr braucht, um die Levels abzuschließen – vielleicht abgesehen von Gehirnschmalz, Erkundungsgeist und ein wenig Geschick, um euch quer durch die Abschnitte vom Anfang zum jeweiligen Ausgang zu bringen. Natürlich sind die Lösungen für die diversen Rätsel selten offensichtlich, weswegen ihr euer Vorgehen genau planen solltet. Immerhin gilt es auch, wichtige (und natürlich auch Bonus-)Items einzusammeln, was aufgrund des begrenzten Inventars bisweilen erfordert, sich genau zu überlegen, wer hier was tragen sollte. Darüber hinaus ist es auch keine Option, einen Wikinger für das erfolgreiche Erreichen des Ausganges zu opfern – alle drei müssen das Ende eines Abschnittes erreichen, um in den nächsten gelangen zu können. Dass das nicht so leicht ist, ist klar – immerhin haben euch die Entwickler von Silicon & Synapse allerhand Rätselnüsse, wie diverse Schalterpuzzles, sowie etliche Gegner in den Weg gelegt.

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„Moment“, sagt da wohl so mancher. „Silicon & Synapse? Hast du nicht gerade von deinem ersten Blizzard-Titel gesprochen?“ Ja, ich habe Silicon & Synapse gesagt und von meinem ersten Blizzard-Spiel gesprochen. Ein Widerspruch? Keineswegs: 1991 gründeten Mike Morhaime, Allen Adham und Frank Pearce ein kleines Studio namens Silicon & Synapse, das zuerst diverse Ports und später einige eigene Titel (darunter eben Lost Vikings und auch Rock n’Roll Racing) veröffentlichte, bevor man 1994 den Namen in „Blizzard Entertainment“ änderte und mit Warcraft begann, Spielegeschichte zu schreiben. Aus diesem Grunde kann man Lost Vikings wohl ohne große Probleme als ein Blizzard-Spiel bezeichnen, auch wenn es eigentlich nicht unter diesem Banner erschien (wohingegen dann Lost Vikings 2: Norse by Norsewest schon unter dem Namen Blizzard veröffentlicht wurde).

Interessanterweise blieb bei mir damals schon, als ich The Lost Vikings zum ersten Mal in der PC-Fassung in die Finger bekam (es gab auch Fassungen für den Amiga, CD32, MegaDrive und Super Nintendo), der Name Silicon & Synapse hängen – vermutlich, weil er ein wenig ungewöhnlich war (hingegen hat es vergleichsweise lange gedauert, bis mir klar wurde, dass Silicon & Synapse zu jenem Studio wurde, das mir später WarCraft brachte – wann genau es soweit war, dass ich diesen Zusammenhang erkannte, kann ich heute nicht mehr so genau sagen). Vermutlich hatte aber auch damit zu tun, dass mir The Lost Vikings jede Menge Spaß bereitete. Das Spielprinzip war durchdacht, die Rätsel dennoch rasch recht knackig – und mehr als einmal dachte ich mir „wie zum Geier soll das funktionieren?“ Kein Wunder, dass ich immer wieder aus dem Spiel ausstieg und meinen grauen Zellen eine Pause verordnete – natürlich nicht, ohne mir zuvor das Passwort zu notieren, das mich beim nächsten Anlauf wieder genau in jenes Level zurückbringen würde, wo ich aufgehört hatte.

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Apropos Level: Wenn es einen Kritikpunkt an The Lost Vikings gab, den man in den diversen Reviews zum Spiel herausliest, dann die Anzahl der Level. Mit unter 40 Level (die tatsächliche Anzahl schwankt je nach Version), die in fünf Themengebiete eingeordnet sind, ist das Spiel vielleicht doch nicht ganz so umfangreich, wie man sich das vielleicht erwartet hätte (oder vielleicht auch in Erinnerung hat). Ganz so eng darf man diese Zahl allerdings nicht sehen, denn auch wenn sich die Zahl aus der damaligen Perspektive nach wenig anhört (und man sich bei manchen heutigen Spiel solche Zahlen wünschen würde), war die Spielzeit durchaus in Ordnung. Zwar sicher nicht überragend, aber aufgrund der bisweilen ausgefuchsten Abschnitte durchaus ausreichend.

Apropos Kritiken: Vielen Kritikern fiel es schwer, Lost Vikings klar in eine Kategorie einzuordnen. Da ging mir recht ähnlich – ein wenig Lemmings-Flair konnte ich darin entdecken (der Weg von Eingang zu Ausgang), aber nur dann, wenn die Lemmings direkt gesteuert werden konnten und zur Abwechslung brav dort blieben, wo man sie hinschickt. Vielleicht eine Spur Shadow of the Beast, mit seiner Mischung aus Jump’n’Run und Puzzles. Aber im Endeffekt musste ich mir eingestehen: Lost Vikings ist anders als andere Spiele – aber Ähnlichkeiten (oder in dem Fall fehlende Ähnlichkeiten) sind ja kein Kriterium für gute oder schlechte Titel, sondern höchstens ein Alleinstellungsmerkmal. Und im Fall von Lost Vikings ist den Entwicklern beides gelungen – ein ganz eigenes Spiel, das auch noch so richtig gut geworden ist, dass es selbst heute, 21 Jahre nach seinem Erscheinen, noch immer bekannt und beliebt ist. Warum sonst hätte es auf der BlizzCon so einen Aufschrei gegeben, als ein Auftritt des Trios in Heroes of the Storm angekündigt wurde?

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Und ja, ich habe auch mitgeschrien, weil es für mich höchste Zeit war, dass die drei Wikinger wieder ins Rampenlicht zurückkehren. Für mich gehört das Trio genauso zu Blizzard wie die WarCraft-Orks, die StarCraft-Zerg oder Diablo und seine Schergen. Klar, wir reden hier von keinem neuen Titel der Serie, aber zumindest wird Olaf, Baleog und Erik hier ein Platz im Reigen der großen Blizzard-Charaktere zu gestanden, der ihnen zweifelsohne gebührt. Und deshalb vermisse ich The Lost Vikings: Die Wikinger mögen ein wenig in Vergessenheit geraten sein, aber im Endeffekt vermisse ich die Zeit, die ich mit ihnen verbracht habe. Die Rätsel, an denen ich getüftelt habe und an denen ich verzweifelt bin. Die coolen Sprüche, mit denen sie das Voranschreiten in den Levels, aber auch unser regelmäßiges Versagen kommentierten. Und ja, ein Teil von mir hätte gerne auf Overwatch verzichtet, wenn er stattdessen ein neues Abenteuer der drei Wikinger bekommen hätte. Aber wer weiß – immerhin wissen wir jetzt, dass Blizzard sie nicht vergessen hat (gut, das hätten wir auch schon seit den Anfängen der WoW-Zeiten wissen können, als die drei in einer Instanz einen kleinen Cameo hatten) – vielleicht puzzeln wir uns bald mal wieder quer durch diverse Levels? Man wird ja noch träumen dürfen …

Florian Scherz

Bereits früh entwickelte Florian zwei große Leidenschaften: Videospiele und Theater. Ersteres brachte ihn zu einem Informatikstudium und zu Jobs bei consol.MEDIA und Cliffhanger Productions; zweiteres lässt ihn heute (unter anderem) als Schauspieler, Regisseur, Komponist und Lichtdesigner arbeiten. Wenn er gerade keine Musicals inszeniert, spielt oder schreibt, vermisst er auf Shock2 Videospiele von anno dazumal in seiner Blog-Reihe "Spiele, die ich vermisse".

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