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Spiele, die ich NICHT vermisse #52: Diktator

Letzte Woche habe ich es bereits angekündigt, heute ziehe ich es durch: Dieser Blog ist (mal wieder) anders als die anderen. Er beschäftigt sich mit einem Spiel, das ich vor Jahren gespielt habe, dem ich heute aber aus inhaltlichen Gründen äußerst kritisch gegenüberstehe. Warum mir die Idee, zu diesem Spiel einen Eintrag zu schreiben, im Urlaub eingefallen ist, weiß ich nicht; eigentlich hatte ich nie vor, dieses Spiel zu vermissen (tue ich übrigens hier auch gar nicht) – aber könnte man nicht anhand dieses Beispiels einen kritischen Text schreiben? Und da ich letztes Wochenende meinen C64 nachhause brachte, war das auch gleich die passende Gelegenheit, das heiße, kritische Eisen anzufassen und ein Spiel NICHT zu vermissen. Wovon ich rede? Von einem Spiel, das von faschistischer Ideologie nur so trieft. Sein Name? Diktator.


An dieser Stelle möchte ich ausnahmsweise mit einem kleinen Disclaimer beginnen, um Missverständnisse auszuschließen: Diktator, oft auch als Hitler Diktator bezeichnet, ist nicht grundlos auf dem deutschen Index gelandet und dann sogar beschlagnahmt worden. Es verherrlicht nationalsozialistisches Gedankengut und hetzt unter anderem gegen Juden auf. Es ist nicht meine Absicht, für das Spiel Werbung zu machen (deshalb findet ihr auch nur wenige Screens aus dem Spiel in diesem Blog (das sind die in braun), die meisten stammen allerdings aus Imperator (die in blau) – wie das zusammenhängt, lest ihr gleich),und ich teile die Ansichten des Spiels in keinster Weise. Aber ich möchte mich in diesem Fall kritisch mit dem Spiel auseinandersetzen, genauer gesagt damit, wie es auf mein unter zehnjähriges Ich gewirkt hat, weil ich verstehen kann, wie Spiele wie diese Kinder beeinflussen können.

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Gut, nachdem wir das aus dem Weg geräumt haben: Was ist Diktator überhaupt? Es handelt sich nicht um ein Spiel, das regulär in den Handel gekommen ist. Eigentlich ist es ein Hack des C64-Spiels Imperator (heute würden wir wohl „Mod“ dazu sagen), das euch anstatt auf den Thron eines antiken Feldherren in die Rolle eines Diktators im zweiten Weltkrieg setzt. Ihr schlüpft man in die Rolle eines faschistischen Diktators im zweiten Weltkrieg (darunter neben Deutschland auch andere Nationen, die nie faschischtische Diktaturen waren) Technisch gesehen handelt es sich um eine Wirtschaftssimulation mit militärischem Aspekt (ich persönlich habe das Spiel immer mit Kaiser verglichen) – lässt man die Ideologie außen vor, ist es (für die Zeit) eigentlich ein recht interessantes Spiel.

Das Gameplay läuft in Runden ab: Zunächst wird man informiert, welches Land man angreifen kann – hat man die nötige Truppenstärke abgestellt, wird es erobert und den eigenen Gebieten einverleibt. Danach muss man sich um wirtschaftspolitische Dinge kümmern und Forderungen der verschiedenen Fraktionen (von der Jugend über Kriegsgefangene bis zur eigenen Ehefrau, im Spiel meist kurz „deine Alte“ genannt) erfüllen, denn sinkt die Zufriedenheit im Staat, wackelt euer Machtanspruch. Sieger ist derjenige, der am Ende das größte Staatsgebiet beanspruchen kann. Viel weiter möchte ich auch gar nicht ins Detail gehen – halten wir einfach fest, dass es durchaus auch um Kriegsgefangene und Zwangsarbeit geht und auch darum, mit der SS Jagd auf Juden zu machen. All diese Elemente sind übrigens unter anderem Namen durchaus auch im Urspiel vorhanden. Ich muss ganz offen sagen, dass es mir genauso wenig zusagt, als römischer Imperator Jagd auf Christen zu machen – beides ist menschenverachtend. Das Spiel läuft im Textmodus des C64, stilsicher mit dunkelbraunem Rand und hellbraunem Grund. Nur vereinzelt werden Grafiken eingesetzt, beispielsweise beim Hakenkreuz im „Intro“ oder wenn man aufgrund einer Revolte irgendeiner Fraktion das Zeitliche segnet.

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Ãœbrigens war es gar keine große Kunst, aus „Imperator“ „Diktator“ zu machen: Das Spiel war in C64 Basic programmiert, weswegen der Quellcode, sobald das Programm geladen war, lesbar und modifizierbar war. Wer sich an die damalige Zeit nicht erinnert, hier ein kleiner Exkurs: Der C64 hatte Basic direkt eingebaut, sodass die Programmiersprache sofort nach dem Start des Rechners zur Verfügung stand – wer kein Spiel laden wollte, könnte einfach drauflos tippen und so ein eigenes kleines Programm tippen. Jede Zeile des Basic-Codes hatte eine Nummer, die unter anderem bei Sprungroutinen (Beispiel: „50 Goto 100“) relevant war, aber auch dazu diente, ein einmal eingegebenes Programm zu modifizieren. Um beim Beispiel zu bleiben: „50 Print „Hello World““ hätte den oben angegebenen Goto-Befehl in Zeile 50 durch einen Print-Befehl ersetzt. Ganz einfach, wenngleich bei größeren Programmen nicht mehr besonders übersichtlich. Komplexere Projekte (und solche, die mehr Hardwarepower brauchten) wurden hingegen meist nicht in C64-Basic geschrieben und waren dadurch nicht mehr ganz so einfach modifizierbar.

Wann ich in den Besitz von Diktator gekommen bin? Ehrlich gesagt: Ich weiß es nicht. Es kam sicher nicht von meinen Eltern, aber ich glaube, es kam über einen Volkschulkollegen in meinen Besitz (ich weiß zumindest sicher, dass wir es beide hatten). Wir dürfen nicht vergessen, dass der C64 ein Paradies für Kopierer war – nur die wenigsten Spiele hatten einen ordentlichen Kopierschutz, weswegen dupliziert wurde, bis die 1541er glühte. So oder so: In Kontakt mit dem Spiel kam ich mit etwa acht, definitiv zu früh, um mich kritisch mit den Inhalten auseinandersetzen zu können. Im Gegenteil. Zwar fand ich Spiel-Aussagen wie „Ihre SS-Trupen nahmen xx Juden gefangen und warfen sie in die Heizöfen“ (den genauen Wortlaut habe ich verdrängt) damals schon irgendwie abstoßend (wenngleich ich das ganze mit einer gewissen kindlichen Distanz sah – die Grausamkeit dieses Bildes erschloss sich mir einfach nicht ganz), aber dass dieses Spiel von jemandem geschrieben wurde, der mir eine gewisse Ãœberzeugung nahebringen wollte (also nicht mir persönlich, aber den Spielern generell), war mir dann doch zu hoch. Dazu kommt, dass meine Eltern darauf achteten, dass ich nicht schon in jungen Jahren die volle Breitseite der historischen Grausamkeiten des 2. Weltkrieges (oder eines anderen Krieges) abbekam – sie waren selbst zu nahe am Krieg geboren worden und wollten für eine behütete Kindheit sorgen. Ich glaube, in dem Alter, in dem ich Diktator spielte, war das meiste, was ich über den zweiten Weltkrieg wusste, das Setting von „Die tollkühne Hexe in ihrem fliegenden Bett“ (und zwar in der geschnittenen deutschen Fassung) und das, was man so nebenbei in einer Doku im Fernsehen oder in Büchern aufschnappt.

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Eltern ist auch ein gutes Stichwort: Ich bin heute jemand, der sagt, dass die Eltern darauf achten sollen, was ihre Kinder spielen – wenn sich diese damit auseinandersetzen, können sie viel besser entscheiden, was gut für ihren Nachwuchs ist und was sie besser noch nicht spielen sollten, als das eine Behörde jemals könnte (ganz zu schweigen davon, dass sie Anteil an ihren Interessen nehmen – ist ja schließlich auch nicht unwichtig). Bei meinen Eltern war das nicht so. Zwar war mein Vater immer von Technik fasziniert (ich habe ziemlich viel Technik angesammelt, die er unbedingt haben wollte, dann aber nach einer Woche uinteressant war und deshalb bei mir landete), die Zeit und das Interesse, mit mir zu spielen, hatte er allerdings eigentlich nie. Meine Mutter achtete eher darauf, dass ich nicht zu viel spielte, aber was ich in dieser Zeit tat, war ihr eher egal. Sie stammten einfach beide aus einer Generation, die nicht mit Computern aufgewachsen war und von den Geräten und ihren Möglichkeiten eher überfordert waren (sind sie bis heute – ich könnte lange, traurige Geschichten vom Eltern-Support erzählen).

Dennoch gibt es zwei Punkte, an denen sich die Wege von Diktator und meiner Eltern kreuzten. Zunächst einmal knapp nachdem ich das Spiel bekommen hatte. Mein Vater sah das Spiel, genauer gesagt das Intro, „stilecht“ mit Hakenkreuz, einer Hymne samt darunter eingeblendetem Text zum mitsingen. Was er tat? Er brachte mich dazu, das Spiel zu einem Verwandtenbesuch mitzunehmen und meinem Großonkel (der den Krieg noch erlebt hat) die Melodie vorzuspielen – verbunden mit der Frage „Kennst du das Lied noch“? Heute muss ich eher darüber schmunzeln, dass keiner von ihnen erkannt hat, dass wir die Melodie heute als englische Naionalhymne kennen (übrigens mit einem falschen, hohen, piepsigen Ton in der Mitte. Den hab ich mir gemerkt). Doch woher kam der Text? Erst heute weiß ich: Die Melodie wurde auch für die preussische Volkshymne, die mit der Gründung des Deutschen Kaiserreiches zur Nationalhymne wurde, verwendet – und zwar mit einem Text, der mit „Heil dir“ beginnt. Zumindest (oder eigentlich „Zum Glück nur“) in dieser Hinsicht hat die Indoktrination funktioniert – höre ich „God Save The Queen“, fällt mir sogleich dieser Text und dieses Spiel ein.

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Gut, halten wir fest: bei der ersten Begegnung wurde nicht kritisch über das Spiel reflektiert, sondern über die Inhalte hinweggesehen. Und beim zweiten Mal? Etwa zwei Jahre darauf spielte ich Diktator, meine Mutter kam herein, wollte wissen, was das ist – und nahm daraufhin die Diskette mit. Das hat sie nur zweimal gemacht, aber ganz ehrlich: Sie hatte recht damit. Dieses Spiel gehörte nicht in Kinderhände. Das war – glaub ich – das letzte Mal, dass ich das Spiel gespielt habe. Wohl auch deshalb, weil es mich zum Nachdenken brachte und ich in ein Alter kam, an dem ich erkannte, was das Spiel wollte. Und dass ich diese Ideologie nicht teilte.

Ich habe im Laufe der Zeit etliche Spiele gespielt, von denen ich heute sagen würde, dass ich zu jung dafür war – darunter Mortal Kombat gleich zum Release. Aber dort ging es meist „nur“ um Brutalität. Das konnte ich verkraften (außerdem war ich zu diesem Zeitpunkt schon fast doppelt so alt wie bei meiner Berührung mit Diktator), ich konnte Realität und Phantasie gut unterscheiden. Aber Diktator ging es nicht um Brutalität. Es ging darum, eine Ideologie weiterzuverbreiten. Die eines mächtigen Diktators, der Minderheiten unterdrückt und zum mächtigsten Mann der Welt werden will. Präsentiert mit einer Ernsthaftigkeit, die klar erkennbar macht, dass der Autor das Spiel ernst genommen hat (der einzige „Gag“ an den ich mich erinnern kann, und der zugegebenermaßen auch heute noch irgendwie lustig ist, war die Meldung, dass man „ganz Frankreich erobert hatte … bis auf ein kleines Dorf …“ – aber zugegebenermaßen könnte der Witz auch noch aus Imperator stammen, wo er noch besser passte). All das sind aber Erkenntnisse, die ich erst jetzt, 25 Jahre später, gewonnen habe. Damals erkannte ich nicht, was die Intention war. Es war ein Spiel wie so viele andere – und zwar eines, das mich immerhin so sehr beeindruckt hat, dass ich mich heute noch daran erinnern kann. Und das ist bei sehr vielen C64-Spielen, die ich hatte, schon eine gewisse Leistung.

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Ich halte aber dennoch noch einmal fest, dass Diktator wohl das einzige Spiel in meiner Karriere ist, bei dem ich nicht stolz darauf bin, es gemocht zu haben. Ich meine, ich kann es differenziert genug sehen, um mich nicht dafür zu hassen, nicht damals schon durchschaut zu haben, worum es hier geht – ich wusste es nicht besser. Aber genau das zeigt mir eines: Gerade für Kinder, die noch so viel Neues entdecken und leicht zu beeinflussen sind, sind Spiele wie diese nicht ungefährlich. Ich weiß, dass ich irgendwann von dem Schulkollegen, der das Spiel auch hatte, im Zuge eines kindlichen Spiels hören musste, dass er Juden in die Heizöfen schmeißen will. Nein, auch er wusste es nicht besser. Und ich weiß auch genau, wo es herkam (nämlich nicht aus seiner Familie, die kannte ich zu gut dafür). So wie mein Neffe vor acht Jahren Tidus im Kampf nachahmte, weil er mir beim Spielen von FF X zugesehen hatte, plapperte mein Schulfreund nach, was ihm das Spiel gesagt hatte. Zum Glück blieb es aber dabei und es gab keine Langzeitschäden: Diktator landete wohl in irgendeiner Schublade – und die Ideologie blieb aus meinem Gehirn draußen. Ganz ehrlich: Dort gehört sie auch hin.

Florian Scherz

Bereits früh entwickelte Florian zwei große Leidenschaften: Videospiele und Theater. Ersteres brachte ihn zu einem Informatikstudium und zu Jobs bei consol.MEDIA und Cliffhanger Productions; zweiteres lässt ihn heute (unter anderem) als Schauspieler, Regisseur, Komponist und Lichtdesigner arbeiten. Wenn er gerade keine Musicals inszeniert, spielt oder schreibt, vermisst er auf Shock2 Videospiele von anno dazumal in seiner Blog-Reihe "Spiele, die ich vermisse".

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