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Review: Thimbleweed Park

Eine Leiche. Zwei FBI-Agenten. Ein Geist. Ein Clown. Eine Spieleprogrammiererin. Und ein großes Mysterium: Was geht vor im kleinen Städtchen Thimbleweed Park? Ron Gilbert und Gary Winnick laden zum Retro-Adventure-Flashback. Doch können sie den alten Pixelcharme zurückbringen oder erinnern sie uns nur daran, warum Adventures seit langem ein Nischendasein führen?

Ab in die 80er
Wir schreiben das Jahr 1987. Unter einer Brücke liegt eine Leiche und verrot… äh, verpixelt langsam. Zwei FBI-Agenten sind vor Ort, um den Fall aufzuklären: die abgebrühte Angela Ray und der Grünschnabel Antonio Reyes. Die Suche nach dem Täter, der Mordwaffe, der Identität des Opfers und den Gründen für den Mord führen nach Thimbleweed Park, einer Kleinstadt voller seltsamer Bewohner, verlassener Geschäfte und einer reichen Familie, deren Patriarch kürzlich verstorben ist. Fast erwartet man, dass sich die kommenden Stunden wie „Akte X trifft Twin Peaks“ anfühlen werden, aber Ron Gilbert und Gary Winnick geben sich damit nicht zufrieden. „Überstilisierter Retro-80s-Charme trifft Agentenparodie trifft Kriminalfall und Adventure-Hommage“, könnte eine Beschreibung lauten. Die richtigen Zutaten, um sich beim Spielen sowohl zu fragen, was in Thimbleweed Park wohl vorgefallen ist, als auch über manche verschrobenen Ideen, Anspielungen und Witze herzhaft zu lachen und nebenbei noch in Nostalgie zu schwelgen.

Zurück in die Vergangenheit
Ron Gilbert und Gary Winnick sind natürlich keine Unbekannten: Besonders ersteren kennt man als Schöpfer klassischer Lucasfilm-Games/Lucas Arts-Adventures wie Maniac Mansion und Monkey Island. Aber auch Winnick hatte seinen Anteil an diesen Spielen – unter anderem als Co-Autor von Maniac Mansion, später als Leiter der Grafikabteilung bei diversen LucasArts-Titeln. Es sollte also niemanden überraschen, dass die beiden mit Thimbleweed Park eine Liebeserklärung an das klassische Point’n’Click-Adventure der 80er und frühen 90er abliefern. Das beginnt bei der Retro-Pixel-Optik (inklusive der übergroßen Köpfe, die vor allem den Stil von Maniac Mansion und Zak McKracken auszeichneten), geht über jede Menge Anspielungen an die Klassiker (Eine Kettensäge! Seitenhiebe auf die Todesrate in Sierra-Adventures! Delores, die unbedingt Adventureprogrammiererin für eine bestimmte Firma werden möchte!) bis hin zum klassischen LucasArts-Verben-Interface, das von Maniac Mansion bis Day of the Tentacle gute Dienste leistete und sich hier in der späteren Version mit neun Verben und grafischem Inventar präsentiert. Bei all diesem Retro-Charme ist kaum verwunderlich, dass einige modernere Komfortfunktionen fehlen – zum Beispiel ist anders als bei vielen aktuellen Genrevertretern ein Anzeigen aller möglichen Hotspots per Tastendruck standardmäßig nicht möglich (diese Funktion lässt sich als Debug-Feature über Konfigurationsdateien aktivieren). Das ist allerdings kein großer Nachteil, denn das Spiel verzichtet auf die Jagd nach pixelgroßen Objekten, die uns früher oft zur Verzweiflung trieben. Wobei, eine Ausnahme gibt es: Die Staubkörner, die man in diversen Räumen finden kann, sind absichtlich klein geraten. Allerdings sind diese auch nicht spielentscheidend, sondern nur eine Bonusaufgabe für Achievementjäger. Insgesamt macht das Interface aber das, was es soll: Es erweckt eine gewisse Nostalgie, bringt unsere Figuren dazu, das zu tun, was wir wollen, und hält uns nicht vom Knobeln ab. Leider gilt dies vor allem für die PC-Fassung, denn die Steuerung wurde eindeutig für Computermäuse designt und ist deshalb jener mit Controller (Xbox One-Fassung und optional auch auf dem PC möglich) deutlich überlegen. Das heißt nicht, dass das Spiel so unspielbar ist, aber die Maussteuerung ist definitiv die Steuerung der Wahl.

Fünf „Freunde“
Spielt ihr (nach dem kurzen Prolog mit einer eigenen Figur) zunächst nur die beiden FBI-Agenten, wächst das Personeninventar danach stetig an. Die neuen Charaktere werden durch kurze Episoden eingeführt, die eine Szene ihrer Vergangenheit in einem abgeschlossenen Bereich spielbar macht und so gleich ihre Motivationen vorstellt; danach stehen sie euch zur Verfügung und ihr könnt (fast) jederzeit zu ihnen wechseln. Man muss allerdings ehrlich sagen, dass mit Ausnahme einiger Rätsel, bei denen mehrere Charaktere zusammen arbeiten müssen, sich die Idee multipler Figuren nicht immer ganz organisch anfühlt. Das liegt an drei Dingen: Erstens gibt es viele Dinge, bei denen es völlig egal ist, wer sie macht – so spielt man oft nur mit einem Charakter und lässt die anderen rumstehen; zweitens gibt es aber immer wieder örtliche Limitationen – so kann nur Delores, die Spieleprogrammiererin, ins Herrenhaus gelangen. Gut, das macht zu Beginn noch Sinn, da sie als Bewohnerin dort natürlich mehr zu suchen hat als alle anderen, aber spätestens, wenn eine gewisse Zusammenarbeit aufkommt, fragt man sich, warum sie den anderen Charakteren den Zutritt zum Haus verbietet; und drittens ist eigentlich nie ganz klar, warum die Hauptfiguren zusammenarbeiten, da jeder von ihnen eigene Interessen verfolgt. Die einzige Ausnahme ist hier wohl der Geist, der aufgrund seiner Eigenheiten und Fähigkeiten ein ganz spezielles Aufgabenfeld abdeckt. Dass die Figuren oft auf „magische“ Weise wissen, was einer anderen erzählt wurde, fällt ebenso auf wie die Tatsache, dass die Übergabe von Items von einer Person an die andere schon Anfang der 90er besser gelöst worden war: In Day of the Tentacle konnte man Items einfach an ein Portrait der Figur übergeben, das Spiel deutete den tatsächlichen Austausch des Items nur an. 2017 muss man dagegen mit den Protagonisten im selben Raum sein, um eine Übergabe zu ermöglichen. Schade, aber im Endeffekt auch kein fataler Beinbruch.

Treuer Notizblock
Thimbleweed Park ist eine weitläufige Gegend; zwar sind nicht gleich von Beginn an alle Locations zugänglich, doch dauert es nicht besonders lange, bis wir ein relativ großes Gebiet absuchen können (zum Glück können wir uns zu diesem Zeitpunkt auch eine Karte besorgen, die das Reisen wesentlich komfortabler macht). Das ist einerseits gut, weil es uns erlaubt viele Rätsel gleichzeitig zu bearbeiten, andererseits erfordert es von euch aber, einen guten Überblick zu behalten, denn Informationen, die ihr schon Stunden zuvor gesammelt habt, können schlagartig wichtig werden, genauso wie zuvor verschlossene Bereiche sich plötzlich öffnen können. Eine gute Orientierungshilfe bietet euch das Notizbuch, das jeder Charakter mit sich trägt. In diesem finden sich regelmäßig aktualisierte, auf die aktuelle Person angepasste Ziele, die euch der Lösung des Spiels näher bringen. Allerdings stellen diese keine Schritt-für-Schritt-Anleitung dar und ihr solltet ihnen nicht ganz blindlings folgen, denn bisweilen ist es noch gar nicht möglich, diese zu erreichen, ohne in der Story voranzuschreiten oder weitere Puzzles zu lösen. Kommt ihr nicht weiter, hilft es also, andere Orte abzugrasen (auch wenn euch dort eigentlich gerade keine Aufgabe hinführt) oder auch die To-Do-Listen anderer Charaktere abzuarbeiten. Das klingt jetzt vielleicht schlimmer als es ist, denn bis auf ein, zwei echt harte Rätselnüsse sind die meisten Rätsel mit einer Portion Grips, Um-die-Ecke-denken und einer gelegentlichen Nachdenkpause abseits des Bildschirms gut zu lösen, aber ein leichtes Spiel oder „einfaches Durchlaufen“ sieht anders aus. Auch in dieser Hinsicht steckt Thimbleweed Park eben voller alter Tugenden (und kommt damit auch auf eine wirklich ordentliche Spielzeit für ein Adventure). Wer es ein wenig leichter will, kann zu Beginn den einfachen Modus wählen, der den Schwierigkeitsgrad ordentlich nach unten korrigiert, indem komplexere Puzzles vereinfacht werden (was auch jenen, die im schweren Modus stecken bleiben, einige Hints geben kann). Ein Wechsel während des Spielens ist allerdings nicht möglich.

Fanservice
Kickstarter-typisch haben es auch einige Belohnungen ins Spiel geschafft, die Backer im Spiel verewigen. Neben diversen Büchern in der Bibliothek sticht dabei vor allem das Telefonbuch ins Auge, in dem einige bekannte Persönlichkeiten (darunter sogar LucasArts-Legenden wie Noah „Indiana Jones and the Fate of Atlantis“ Falstein) ebenso zu finden sind wie Mitglieder der SHOCK2-Community. Einige Unterstützer haben sogar Voice-Messages hinterlassen. Das ist eine nette Art, Backer zu verewigen, ohne aufdringlich zu sein. Ein positiver Nebeneffekt des Kickstarter-Prozesses (und der erreichten Stretch-Goals) ist die Tatsache, dass wir einer gut gemachten englischen Sprachausgabe lauschen dürfen. Wer lieber auf Deutsch spielt, bleibt allerdings auch nicht außen vor: Die Texte in Thimbleweed Park gibt es optional auch auf Deutsch (die Sprachausgabe und einige Backer-Texte bleiben allerdings unübersetzt). Diese Fassung stammt übrigens von Boris Schneider-Johne, der auch schon Monkey Island übersetzt hat und auch diesmal gute Arbeit abliefert. Einzig kleinere Typos und die Tatsache, dass das englische gesprochene Wort nicht immer mit den deutschen Texten zusammenpasst – immerhin musste er bei den diversen Gags und Popkultur-Anspielungen regelmäßig tricksen – trüben hier den Gesamteindruck.

Review Overview

Score - 8.5

8.5

Adventure wie anno dazumal

Kickstarter steckt voller Versprechungen, die nicht immer gehalten werden können. Aber Thimbleweed Park hält, was angekündigt wurde: Wir haben es hier mit einem Adventure im Stil der LucasArts-Klassiker von Designlegenden von damals zu tun. Das Resultat macht es einem Spieletester allerdings nicht ganz leicht objektiv zu bleiben, denn man muss hier zwei Blickwinkel berücksichtigen: Einem Spieler von heute, der die alten Zeiten nicht miterlebt hat (oder sie zumindest nicht in guter Erinnerung hat), wird Thimbleweed Park vermutlich nicht so viel Spaß machen wie jemandem, für den die besten Adventures vor 25 Jahren erschienen sind und aktuell nichts mehr an sie rankommt. Thimbleweed Park ist sowohl ein Blick zurück in das Gamedesign von damals mit Grafikstil und Gameplay, die an eine vergangene Gaming-Ära erinnern, aber auch augenzwinkernde Parodie auf das Genre und die Zeit, in der es spielt. Wer vor Monkey Island schreiend geflüchtet ist, Maniac Mansion für überbewertet hält und den Charme von Zak McKracken einfach nicht verstehen kann, ist hier falsch. Für Kinder der 80er und 90er, die Adventures lieben, ist Thimbleweed Park jedoch ein kleines Meisterwerk, das die guten, alten Adventurezeiten zurück bringt und sich – trotz einiger Schwächen – anfühlt wie ein bislang verschollener und jetzt nur leicht aufpolierter LucasArts-Titel. Und wer mit diesen Spielen großgeworden ist und sie bis heute in Ehren hält, weiß, dass das kein Kompliment ist, das man leichtfertig vergeben sollte. (fs)

Genre: Adventure
Entwickler: Terrible Toybox
Preis: ca. 20 Euro
System: PC, Mac, Linux, Xbox One
Erscheint: Erhältlich

Florian Scherz

Bereits früh entwickelte Florian zwei große Leidenschaften: Videospiele und Theater. Ersteres brachte ihn zu einem Informatikstudium und zu Jobs bei consol.MEDIA und Cliffhanger Productions; zweiteres lässt ihn heute (unter anderem) als Schauspieler, Regisseur, Komponist und Lichtdesigner arbeiten. Wenn er gerade keine Musicals inszeniert, spielt oder schreibt, vermisst er auf Shock2 Videospiele von anno dazumal in seiner Blog-Reihe "Spiele, die ich vermisse".

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