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Review-Special: Virtua Racing

Als Chef der Sega-Entwickungsabteilung AM2 ist Yu Suzuki (Shenmue, Virtua Fighter) bereits ein Star der japanischen Videospielszene, als er sich Anfang der 90er-Jahre an eine neue Technologie wagt. Im Jahrzehnt davor schuf Suzuki Spiele mit zoomender und rotierender Bitmap-Grafik, den Ferrari-Ausflug Out Run oder das SF-Geballere Space Harrier. Statt der 2D-Sprites und Bitmap-Hintergründen dieser 80er-Jahre-Klassiker bewegen Suzuki und Sega mit ihrem Virtua Racing erstmals „echte“ 3D-Objekte und -Szenen. Mit Polygon-Modellen und -Animation schließt der Automat die Lücke zwischen Action-Spiel und realistischer Vehikelsimulation.

Für den Schritt in die dritte Dimension bekommt das AM2-Team brandneue Hardware: Das „Model 1“ ist das erste Arcade-Board der Firma, das auf Polygon-Manipulation in Echtzeit spezialisiert ist. Statt Sprites und Scrolling ermöglicht Model 1 die Berechnung und Bewegung dreidimensionaler Modelle, wirft Echtzeit-Schatten und -Highlights und sorgt mit einem Alpha-Kanal für Transparenz-Effekte. Damit ist Suzuki der Technik des Playstation-Zeitalters um Jahre voraus. US-Konzern und Simulations-Experte Lockheed Martin hilft bei der Integration der 3D-Hardware und rüstete Sega für den Ritt in die Zukunft.  Für Model 1 entstehen neben Virtua Racing vier weitere Spiele, darunter Yu Suzukis berühmter 3D-Prügler Virtua Fighter, dann wird die Hardware vom stärkeren Model-2-Board abgelöst. Model 2 verdoppelt die Polygon-Leistung, bietet mehr Farben, neue Effekte sowie Texture Mapping: Hits wie Sega Rally und Virtua Fighter 2 verkleiden ihre Polygone mit Muster und Oberflächenstruktur.

Texturlos glücklich: Das erste 3D-Spiel von Sega setzt auf blanke Flächen und bringt pure Geschwindigkeit, ohne bremsende Details und störenden Schnickschnack. Dafür erstmals mit „Pop-Ups“. (Arcade Version)

Um die Power der neuen Technik zu beweisen, programmiert Suzukis Team eine F1-Simulation. Die Model-1-Demo ist intern so erfolgreich, dass Sega Virtua Racing vom AM2-Labor in die Spielhalle bringt – und damit die Spielewelt begeistert: Auf bombastischem 16:9-Monitor öffnete sich dem Spieler ein 3D-Panorama mit Polygon-Bergen und -Brücken, die sich schwindelerregend schnell um den Boliden des Spielers drehen und verschieben. Die F1-Flitzer, die durch gewundenen Asphalt-Schikanen donnern, hinterlassen Reifenqualm und Turbo-Funken. Touchierte Kontrahenten kreiseln realistisch aufs Grün – die dynamische Animation der Autos und Strecken lässt den Adrenalinpegel mutiger Spielhallenbesucher in die Höhe schnellen.

Durch die Polygon-Berge: Streng geometrische Formen und „flache“ Schattierung geben „Virtua Racing“ einen eigenen Look. (Arcade Version)

Eine Handvoll 3D-Automaten gab’s schon vor Virtua Racing, z.B. das F1-Experiment Winning Run mit dem Konkurrent Namco seine System 21 Polygonizer-Hardware Ende der 80er-Jahre in die Spielhalle bringt, oder Ataris Polygon-Simulation Race Driving von 1991. Doch erst Sega gelingt es den Massenmarkt ins 3D-Cockpit zu locken: Virtua Racing verbindet die besten Elemente der Vorbilder (z.B. Force Feedback das am Lenkrad rüttelt und gegensteuert) mit der sprichwörtlichen Rasanz von Sega-Titeln. Im Gegensatz zu anderen Rennspielen ist Virtua Racing vernetzbar: Bis zu acht Piloten gehen in der Luxus-Variante Virtua Formula auf die Piste. Auf einem neunten Monitor kommentiert ein virtueller Moderator („Virt McPolygon“) die Asphalt-Fights – höllisch spannend.

Für harte Männer: Die Cockpit-Ansicht ist die realistischste, aber auch kniffligste von insgesamt vier „Virtua Racing“-Perspektiven. (Switch Version)

Doch während Sega eine Innovation nach der anderen in die Spielhalle bringt (aufs Rennspiel folgt mit Virtua Fighter die 3D-Animation menschlicher Körper), ist die Firma auf dem Heimmarkt vom Pech verfolgt. Die Umsetzungsgeschichte des Sega-Racers verläuft abenteuerlich: Um der Mega-Drive-Konsole ordentlich Tempo im Rennen gegen das Super Nintendo zu machen, setzt Sega einen Spezial-Chip ein, der eine Umsetzung von Virtua Racing auf die Heimplattform ermöglicht. Der 3D-Beschleuniger „Sega Virtua Processor“ (SVP)  hebt den Preis des Virtua Racing-Moduls auf schwindelerregende umgerechnet 110 Euro – damit rauscht eines der besten Mega-Drive-Spiele vom Massenmarkt direkt in die Nische unerschütterlicher Sega-Fans.

Der SVP-Chip, der Vorfahre des Sega Dreamcast

Maximale Leistung zu minimalen Kosten und Stromverbrauch: Der SVP Chip steht am Anfang einer Evolution von RISC-CPUs, die Hitachi ertüftelte. SVP alias SH-1 ist ein maximal mit 20 MHz getakteter 32-Bit-Prozessor; der auch als Hilfschip im Sega Saturn verbaut wird. Der Nachfolger SH-2 steckt im 32X-Aufsatz sowie zweifach als CPU im Saturn. Ab SH-3  wird die Technik für WindowsCE-Geräte eingesetzt; SH-4 mit integriertem 128-Bit-Fließkomma-Prozessor (FPU) ist die CPU der letzten Sega-Konsole Dreamcast.

Die Umsetzung selbst mit ihrer spartanischen Polygonoptik und hohen Geschwindigkeit war gut, ebenso wie Segas zweiter Versuch Virtua Racing im Kampf gegen Nintendo auszuspielen. Diesmal müssen sich Mega-Drive-Besitzer gleich einen ganzen Hardware-Aufsatz für ihre Konsole kaufen: Die 32X-Erweiterung besitzt dank neuer RISC-Chips noch mehr Rechen- und Polygon-Power und ermöglichte dadurch die beste Virtua Racing-Umsetzung. Die meisten Spieler bekamen das pfeilschnelle 3D-Rennen Virtua Racing Deluxe (1994) aber nie zu Gesicht, denn das 32X wird zu Segas größtem Hardware-Flopp und schnell wieder aufgegeben.

Schnell und schön, aber erfolglos: Als zweite Heimumsetzung erscheint „Virtua Racing Deluxe“ nur für die seltene Mega-Drive-Erweiterung 32X.

So wäre der Virtua Racing-Mythos fast zusammen mit Segas Hardware-Versuchen sang- und klanglos unter. Für den Saturn wird das Spiel 1996 vom US-Partner Time Warner kläglich umgesetzt und von den Spielern, die längst mit texturierten Flitzern wie dem Playstation Ridge Racer oder Sega Rally ihre Runden drehten, zu Recht überhaupt nicht beachtet. Erst mit der japanischen Remake-Reihe Sega AGES erscheint 2003 eine halbwegs angemessene Heimversion des Klassikers; in Europa ist die PS2-Konvertierung auf der Sega Classics Collection-Compilation zu finden – grafisch halbwegs authentisch, doch ohne 16:9-Optik, ohne Vernetzung und ohne Feedback. Schade. Das echte Virtua Racing-Feeling bleibt also in der Spielhalle. Bis April 2019, als in Japan eine grandiose Umsetzung für die Nintendo Switch im Rahmen der neuen Sega Ages-Reihe erschien, die nun auch in Europa im Nintendo eShop zu finden ist.

Die beiden Gameminds im Virtua Racing-Duell. (Foto: Andranik Ghalustians)

Comeback einer Legende

Verantwortlich für die Umsetzung von Virtua Racing ist ein weiteres mal M2. Die Meister der Emulation und großartiger Remaster-Versionen waren schon für die Sega 3D Classics-Konvertierungen auf dem 3DS verantwortlich und werden auch die Emulation für das kommende Mega Drive Mini stemmen. M2 hat die ursprüngliche Virtua Racing-Grafik beibehalten, aber die ursprüngliche Bildrate auf 60 fps verdoppelt und die Auflösung auf 1080p auf einem Fernseher und einen native 720p im Handheld-Modus erhöht.

Das Ergebnis wahrlich beeindruckend. Virtua Racing ist fast drei Jahrzehnte alt, aber gerade durch seinen flachen und nicht texturierten Polygon-Stil, auf seine weiße wunderschön gealtert. Es gibt keine verschwommenen Texturen. Hier ist alles sehr klar und scharf und die minimalistische Präsentation fügt sich zu einem stimmigen Werk zusammen.  Auch wenn Virtua Racing damals nach Realismus strebte, wirkt die Blue-Sky-Ästhetik heute surreal und unerwartet zeitgemäß.

Beeindruckend: Bis zu 8 Spieler können auf einer Konsole gegeneinander antreten.

Eine tolle Sache ist auch der Multiplayer-Modus. Einen entsprechend großen Bildschirm vorausgesetzt (theoretische aber auch selbst im Handheld-Modus machbar) können bis zu 8 Spieler an einer Switch über Splitscreen gegeneinander antreten. Auch die Möglichkeit mit mehreren Konsolen zu spielen und, eine aktive Nintendo Online Mitgliedschaft vorausgesetzt, auch Online Rennen sind möglich. Viele Wünsche bleiben hier nicht unerfüllt.

Fingerübungen für die Zukunft: Zum 3D-Boxenstop lässt Yu Suzuki kantige Mechaniker aufmarschieren. (Switch Version)

Fazit

Wertung - 8.5

8.5

Wow, diese Umsetzung kann sich auch 2019 noch sehen lassen. Für unter 10 Euro bekommt ihr nicht nur eine Zeitreise zu einem der einflussreichsten Videospiele seiner Zeit, sondern auch ein Rennspiel, das sich auch heute noch alleine oder vor allem auch im Multiplayer-Modus fantastisch zwischendurch spielen lässt. Daumen drücken, dass Sega auch noch andere Automaten-Klassiker auf die Switch bringt.

Genre: Rennspiel
Entwickler: M2 (Sega)
System: Nintendo Switch
Erscheint: erhältlich
Preis: ca.  8 Euro

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