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Review: Red Dead Redemption 2

Des Widerspenstigen Zähmung - Oder: Wie ich lernte, Red Dead Redemption 2 doch noch zu lieben

Morgens die Postkutschen ausrauben, vormittags Bären jagen und einen kapitalen Stör an Land ziehen, sich um 12.00 Uhr mittags mit bösen Buben duellieren, nachmittags durch die Frontscheibe des Saloons krachen, sich danach bei einem gemütlichen Schaumbad wieder erholen und am späten Abend allein in den Sonnenuntergang reiten: Acht Jahre nach Veröffentlichung des ersten Teils liefert Rockstar Games mit Red Dead Redemption 2 endlich die Vorgeschichte zu seinem Wild-West-Hit. Angeblich eine schlappe halbe Milliarde Dollar haben sich die GTA-Macher das Spektakel kosten lassen, um es mit massenhaft Film-Anspielungen und einer der schönsten Spielwelten überhaupt zu veredeln. Aber ist die Geschichte um den Outlaw Arthur Morgan auch spielerisch ein Volltreffer?

New Austin, West Elizabeth, Ambarino, Hew Hanover und Lemoyne: Das sind die Staaten aus Rockstars neuem Open-World-Western, der sich damit – ebenso wie sein Vorgänger – nur entfernt an die historische Realität hält. Umso ernster ist es den GTA-Machern allerdings mit der Inszenierung ihrer epischen Erzählung, die sich an der US-Geschichte um die vorletzte Jahrhundertwende orientiert: Die Tage, in denen das riesige Land von Einwanderern erschlossen wurde und Gesetzlose wie Red Dead Redemption 2-Held Arthur Morgan relativ unbehelligt wüten konnten, sind fast gezählt – der berüchtigte „Wilde“ Westen ist im Begriff, gezähmt zu werden. Ein dichtes Eisenbahnnetz lässt einst riesige Entfernungen zusammenschrumpfen, während Telegrafenmasten in kürzester Zeit Informationen übermitteln und elektrisches Licht selbst kleinste Western-Städte bis in die späte Nacht hell beleuchtet.

Malerisches Städtchen, in dem oft noch immer das Faust- und Schieß-Recht herrscht: Valentine

Kurzum: Der Fortschritt hält Einzug – und Outlaw-Banden wie die „Dutch van der Linde“-Gang, zu der Arthur und seine Waffenbrüder zählen, werden von privaten Schutz-Agenturen wie den Pinkertons gnadenlos bis an die Grenzen der rasant wuchernden Zivilisation verfolgt.

Die Ausritte in die freie Natur verblüffen mit wunderschönem Aus- und viel Weitblick.

Zu Beginn des Spiels sammelt sich der kleine Trupp aus gescheiterten Existenzen und schießwütigen Tagedieben in einer verlassenen Bergsiedlung, um nach einem misslungenen Coup seine Wunden zu lecken und verlorene Schäfchen wie Red Dead Redemption 1-Held John Marston wieder aufzusammeln. Bereits während dieser ersten, in Gameplay-Konzept und Erzählung einführenden Spielstunden zeigt Rockstars Western-Epos überdeutlich, wo es seine Schwerpunkte setzt: Wenn sich die Bande auf ihren Pferden durch ein frostiges Winterwunderland kämpft, um dabei tiefe Spuren in den hohen Schneeverwehungen zu hinterlassen, während Arthur angeregt mit Ziehvater Dutch plaudert, dann „outet“ sich Red Dead Redemption 2 vor allem als Erzähl- und Präsentations-Monster. Stimmung, Dialog und eine gnadenlose, oftmals erstaunlich authentische Präsentation der lebensfeindlichen Umwelt spielen in Rockstars nicht mehr ganz so wildem Westen die erste Fidel. Allerdings kommen Gameplay, Dynamik und die Vermittlung des komplexen Spiel-Regelwerks dabei manchmal etwas zu kurz. Ebenso wie eine moderne, interaktive Erzählweise, die den Gamer maßgeblich an der Gestaltung seiner eigenen Geschichte teilhaben lässt. Stattdessen setzt Rockstar auf ein zwar immersives, aber überwiegend steifes Erzähl-Korsett, das eigentlich eher zu einer vergleichsweise geradlinigen Spielerfahrung passen würde – und nicht zu einem riesigen Open-World-Monstrum.

Zeichen der Zivilisation: Arthur passiert regelmäßig Schienen und Dampfrösser.

Denn nachdem die Ganoven ihr Quartier von den verschneiten Bergen in die ländliche Idylle um das Wild-West-Städtchen Valentine verlegt haben, öffnet sich das Spiel und wird zu der offenen, frei begehbaren Spielwelt, die sich Genre-Fans erhofft haben – trotzdem bleibt das weitgehend geradlinige Narrativ erhalten.
Während die Geschichte geduldig darauf wartet, dass man durch einen Dialog die nächste Story-Mission auslöst, durchquert Arthur die idyllische Spielwelt auf der Suche nach Wild, Geld, hochprozentigen Spaßgranaten, Heilkräutern und überhaupt jeder Form von fetter Beute. Die wird dann Genre-typisch in den Crafting-Kreislauf des Spiels überführt – oder man nutzt sie, um das karge Dasein der Banditen-Kollegen im Lager aufzubessern: So wandern gefundene Wertgegenstände in die Lagerkasse von Ober-Gauner Dutch, während fachgerecht ausgenommene und von ihrem Fell befreite Hoppelhasen auf dem Tisch des Schlachters landen, damit der die hungrigen Outlaw-Bäuche füllen kann.

Eklig: „Red Dead Redemption 2“ zeigt beim Zerlegen von Tieren pikante Details, die andere Spiele mit Jagd-Feature lediglich andeuten.

Aber Vorsicht: Wer erlegtes Wild zu lange auf den Hinterbacken seines Pferdes durch die Spielwelt jongliert, der transportiert bald einen verfaulenden Leichnam – denn manchmal nimmt es das Spiel mit der Realitätstreue ziemlich genau. Etwas weniger pedantisch ist Game-Wirklichkeit bei solchen Gegenständen, die bereits ins Inventar des Reittieres gewandert sind – denn in Red Dead Redemption 2 fungiert das Hottehü als eine Art mobiles Basislager mit nahezu unerschöpflichem Stauraum (zu dem offenbar ein eigener Kühlschrank gehört). Was nicht zuvor aus den Satteltaschen des braven Huftieres zutage gefördert wird, das hat man auch – abgesehen vom standardmäßig im Cowboy-Holster baumelnden Revolver – nicht dabei. An dieser Stelle müssen sich auch Open-World-geübte Reiseexperten ziemlich umgewöhnen: Gerade während der ersten Spielstunden passiert es nicht selten, dass man auf einmal mit leeren Händen dasteht, weil die erst kürzlich eroberte Doppelläufige nicht von der Heldenschulter, sondern noch immer vom Sattel baumelt. Ups.

Nur ein gepflegtes Pferd ist ein glückliches Pferd: Arthur füttert, striegelt und streichelt sein Reittier.

Auch bei vielen anderen Gelegenheiten nimmt Rockstars Western tapfer den Kampf gegen allerlei etablierten Open-World-Blödsinn auf, um ihn gegen vermeintlich realistischere Lösungen zu ersetzen: So können Arthur und sein Ross z.B. keine allzu steilen Böschungen erklimmen – schlimmstenfalls kullern die beiden wieder runter und brechen sich beim Sturz sämtliche Knochen. Überhaupt hat es der wackere Revolverheld abseits von „per pedes“ und Reiten nicht so mit der flexiblen Fortbewegung: Weder kann er wie ein Assassin’s Creed-Held Berge und andere steile Höhen erkraxeln – noch hält er es im Wasser sonderlich lange aus. Mehr als ein paar kräftige Schwimmzüge an der Oberfläche sind nicht drin – dann zieht es den erschöpft japsenden Banditen wieder an Land. Was der wortkarge Anti-Held dagegen aus dem Effeff beherrscht, dass sind ein gemächlicher, breitbeiniger Gang, kernige Sprüche und Ballern: Arthur Morgan ist eben kein Superheld oder ein Open-World-Tausendsassa mit weit verzweigtem Fertigkeiten-Baum – er ist ein einfacher Cowboy. Ziemlich zäh, aber sonst stinknormal.

Im Sheriff-Büro bekommt Arthur den Steckbrief für eine „Schwarze Witwe“. Nachdem er die widerspenstige Gaunerin stellt und fesselt, wirft er sie über das Pferd. Auf dem Weg ins Gefängnis versucht es die Furie mit Fluchen, Flehen und Becircen, um dem Kopfgeldjäger zu entkommen.

Und als solcher beißt er zwar tapfer die Zähne zusammen, wenn man ihm bei einer Saloon-Schlägerei die Kauleiste polilert oder ihm ein paar Streifschüsse verpasst – doch auf übernatürliche und obendrein steigerbare Selbstheilungskräfte kann der streitlustige Bursche nicht zurückgreifen, wenn man ihn erstmal in ein Sieb verwandelt hat. Und sollte Arthur das Kreuzfeuer trotzdem überleben, muss er sich sogar mit schmutzigen Klamotten rumärgern. Kaum verwunderlich, dass blutverschmierter Mantel, durchlöchertes Hemd und schmutzverkrustete Jeans nicht nur beim schönen Geschlecht für Misstrauen sorgen: Wer derart gekleidet auf misstrauische Zeitgenossen zugeht, der darf sich nicht wundern, wenn er nicht in ein freundliches Gesicht, sondern einen Revolverlauf starrt. „Kleider machen Leute“ gilt demnach auch im Wilden Westen – darum sorgt der kluge Cowboy vor, indem er seine Garderobe sauber hält und gelegentlich austauscht. Zum Glück ist die Klamottenpflege nicht besonders aufwendig: Einfach in den nächsten Fluss springen oder sich eine Pause im örtlichen Badehaus gönnen – schon sind Mann und Mantel wieder ausgehfein.

Es muss nicht immer eine Kugel zwischen die Augen sein: Arthur bei einer zünftigen Schlägerei im und vor dem Saloon.

Und sollte sich die Kluft kurz nach der Wäsche schon wieder rot färben, dann vermutlich deshalb, weil Mr. Morgan noch immer aus etlichen Einschlusslöchern tropft. Dann solltet Ihr Mann wie Ross dringend eine Pause gönnen: Wenn Arthur mitten in der Wildnis sein Lager aufschlägt, zuvor bei der Jagd erlegtes Wild über offener Flamme röstet und dann beherzt reinhaut, fühlen sich vor allem Rollenspieler an die Gothic-Reihe von Piranha Bytes erinnert.

Arthur hütet in seinem Planwagen die Munition der Bande, außerdem steht hier sein Bett.

Wer schon jetzt das Gefühl hat, als wäre Red Dead Redemption 2 mehr Wild-West-Simulator als Action-Adventure, der liegt gar nicht so falsch: Lässt man mal die cineastisch aufgezogene Geschichte um die „van der Linde“-Gang außer Acht, hat sich Rockstar vor allem darauf konzentriert, eine Spielwelt auf die Beine zu stellen, die nicht nur glaubhaft aussieht, sondern sich auch so anfühlt. Dabei ist das Western-Szenario vielleicht nicht die allerschönste Open-World – diese Auszeichnung darf nach wie vor Guerrillas Horizon: Zero Dawn für sich in Anspruch nehmen – aber dafür ganz sicher die authentischste. Ob malerisches Gehölz, brodelnder Sumpf, nur von vereinzelten Felsmassiven unterbrochene Steppe oder geschäftige Stadt: Rockstars Version der Vereinigten Staaten brodelt vor Leben – überall plappert, lacht, bellt, quakt, kräht, zwitschert, gurrt oder knurrt es. Und gelegentlich entleert sogar ein Pferd auf offener Straße seinen Darm. *Pflatsch*

Arthur entspannt sich bei einem luxuriösen Schaumbad… aber ups… wo greift die Dame denn da hin?

Weil die Entwickler dabei keinerlei Zugeständnisse an das Gameplay gemacht haben, sieht in Red Dead Redemption 2 fast alles so aus wie aus dem echten Leben gegriffen: Berge und Felsmassive müssen nicht erklettert werden – darum sehen sie auch WIRKLICH so aus wie Berge und Felsen nun mal aussehen. Und Flüsse oder Seen werden nicht großzügig durchschwommen oder durchtaucht – darum können sie sich den Luxus gönnen, wie echte Gewässer zu wirken. Ähnlich verhält es sich mit dem Helden selber: Realistische Animationen spielen in der Welt von Arthur Morgan eine größere Rolle als eine schnelle und direkte Kontrolle. Darum sind Aktionen wie das Absteigen vom Rücken bzw. das Anbinden des Pferdes oder selbst das schlichte Schlendern über die Hauptstraße einer Kleinstadt ein visueller Hochgenuss. Ein Hochgenuss allerdings, der seinen Preis hat – und der wird ohne große Umschweife vom Gameplay- und Steuerungs-Konto des Spiels abgebucht. Das Resultat ist ein oft behäbiges und widerborstiges Biest, das es dem Spieler zunächst verdammt schwer macht, sich mit irgendetwas anderem anzufreunden als seiner kolossalen Kulisse und ihren Bewohnern. Deutlich spürbare Input-Lags bei Fortbewegung und Feuergefechten, eine fummelige Steuerung und einige unklug belegte Controller-Buttons erschweren Euch vor allem den Einstieg in ein eigentlich grandioses Spielerlebnis, das aber immer wieder Entschleunigung mit Trägheit verwechselt und Sperrigkeit mit Anspruch. 

Fazit

Wertung - 9

9

Nur wer bereit ist, sich trotz dieser Widrigkeiten vollständig auf das Kennenlernen und Erforschen dieser Welt einzulassen, der wird die Bestie zumindest halbwegs zähmen und sich vielleicht sogar in sie verlieben. Trotzdem schade, dass uns Rockstars Open-World-Monster gerade zu Beginn so aggressiv die Zähne zeigt. Aber wer sich damit arrangieren kann, dass die Steuerung bockig ist, die Bewohner der Spielwelt einen viel zu lockeren Abzugsfinger haben und die Gesetzeshüter geradezu übereifrig sind, der bucht bedenkenlos sein Ticket in die letzten Tage des Wilden Westens.

Genre: Arcade
Entwickler: Rockstar Games
System: PS4, Xbox One
Erscheint: Erhältlich
Preis: ca. 70 Euro

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Notable Replies

  1. Avatar for Nandor Nandor says:

    Bitte lass es kein Remake des Vorgängers sein…

    RDR2 wäre der Wahnsinn!

  2. Gemäss Gerüchten soll in dieser Woche auch die NX vorgestellt werden, also wird Red Redemption 2 ein NX Exklusivtitel! :wink:

  3. Avatar for Gatar Gatar says:

    :joy: Na das wäre was.

  4. frag mich woher dann die gerüchte kamen dass rdr2 bei der sony pk vorgestellt hätte werden sollen? (omg, ist das überhaupt deutsch :sweat_smile:) ich kann mir aber nur schwer vorstellen, dass das spiel ein nx exclusive titel wird. die entwicklung hat ja bestimmt schon vor jahren angefangen und ich denke nicht dass nintendo erst voriges jahr mit einem geldtransporter zu rockstar gefahren ist (ein geldkoffer wär bestimmt zu wenig für das spiel)

  5. Dann hätte ich endlich einen Grund mir eine Nintendo-Konsole zu kaufen :grin:

  6. Avatar for Nandor Nandor says:

    Also NX exklusiv wird es sicher nicht, nicht in 1000 Jahren.

    Hoffentlich kommt überhaupt teil 3, hab immer noch angst vor nem Remake…

  7. Ich glaub nicht an ein Remake vcm ersten Teil.
    Den haben sie doch erst vor kurzem als Download Titel rausgebracht.

  8. Das erinnert mich an die Ankündigung der WiiU. Da gab es auch Gerüchte, dass GTA V exklusiv für Nintendos Konsole erscheint. War wohl eher das Gegenteil der Fall. ^^

  9. Avatar for Nandor Nandor says:

    Die Domain “Red Dead Online” wurde sich von “Rockstar” gesichert.

    Das erklärt wohl das Bild mit den 7 Cowboys! Ich denke mal die haben sich von den glorreichen 7 inspirieren lassen.

    Ich will aber manche Spiele nicht Online zocken. Da gehört RD dazu

  10. War auch so ernstgemeint. :wink:

  11. Wäre wirklich toll!

  12. So wies aussieht wirds ein Online ding… GTA Online läuft ja so gut, deshalb dachte ich mir schon das könnt sowas werden (7 Typen aufn erstn Artwork)
    Fürn Arsch, ich will ein zweites RDR verdammt nochmal :angry:

    Das es ihnen den Shitstorm wert is… aber natürlich, wenns das bessere Geschäft is…

  13. Gott sei Dank! Ich hoffe der online Part ist so wie in GTA V “nur” auch dabei…puhhh

    Wobei der ist doch vermutlich der Grund warum ich noch immer einen SP DLC vermisse, dabei waren die bei Teil 4 grandios.

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