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Review: Octopath Traveler

Acht Geschichten in einem Old-School-JRPG

Eine Welt, acht Charaktere und acht Geschichten: Mit Octopath Traveler hat sich Square Enix viel vorgenommen und präsentiert statt einer epischen Handlung acht deutlich persönlichere Storys. Schon seit der Ankündigung Anfang 2017 warten Fans sehnsüchtig auf den Release des Switch-Rollenspiels, das mit seinem Retro-Look und seinem Konzept ein Spielerlebnis in der Nähe der 16-Bit-Klassiker Squaresofts verspricht. Geht diese Rechnung auf? Wie gut zündet die „alte“ Formel des Genres heute noch? Lasst euch von uns auf eine Reise mitnehmen …

Die Geschichte eines Apothekers

Zu Beginn des Spiels müssen wir eine wichtige Entscheidung treffen: Mit welchem der acht möglichen Charaktere wollen wir zuerst losziehen? Die Wahl fällt schwer und sollte wohldurchdacht getroffen werden: Zwar ist es nicht so, dass wir nicht auch alle anderen Figuren einsammeln und ihre Geschichte erleben können, aber dennoch hat unser erster Held einen ganz bestimmten Sonderstatus: Er kann die Party nicht verlassen und wird deshalb immer mit uns herumziehen. Da sich trotz unterschiedlicher Klassen die Fähigkeiten der Helden überlappen, machen je nach gewähltem Anfangscharakter manche Protagonisten mehr oder weniger Sinn in einer ausgewogenen Party.

Für unseren Test entscheiden wir uns nach langem Grübeln für Alfyn – ein Heiler erscheint uns eine gute Wahl für ein konstantes Mitglied der Party. Der Beginn seiner Geschichte wird ganz klassisch mittels In-Engine-Cutscenes und zahlreichen Dialogen erzählt, die teilweise auf Englisch oder Japanisch vollvertont sind, aber in den meisten Fällen nur das geschriebene Wort (hier ist auch Deutsch verfügbar) samt passenden Sprachfetzen bieten. Nach dieser Einführung dürfen wir seine Heimatstadt erkunden und auch seine Wegfähigkeit einsetzen, die es uns in seinem Fall ermöglicht, die Einwohner gründlicher auszufragen und dadurch sogar Boni, wie wichtige Informationen oder auch nur Vergünstigungen in den Shops, zu erhalten. Andere Charaktere können stattdessen das Gegenüber zum Duell herausfordern, sie bestehlen, ihnen Items abkaufen oder sie sogar zum Mitkommen überreden, doch solange wir nur allein sind, ist das noch Zukunftsmusik. Zum Abschluss des ersten Kapitels verlassen wir die sichere Stadt und machen uns auf zu einem Dungeon, an dessen Ende ein Boss auf uns wartet. Danach werden wir in die große weite Welt entlassen.

Schema F

Warum wir den Ablauf dieses Kapitels so betonen? Weil es die Formel des gesamten Spiels ist. Die Geschichte jedes Protagonisten ist in vier Kapitel an verschiedenen Orten eingeteilt, und die einzelnen Abschnitte laufen fast immer mehr oder weniger nach diesem Schema ab. Davon können wir uns rasch überzeugen, denn da das zweite Kapitel von Alfyns Geschichte weit über unserem aktuellen Level liegt, beginnen wir zunächst, alle anderen Charaktere einzusammeln. Jede Geschichte ist anders, vielleicht berührt uns nicht jede, aber vermutlich wird jeder Spieler bald seine Favoriten herausfiltern. Schon hier sticht allerdings etwas befremdlich heraus, dass das Spiel innerhalb der Geschichte der Charaktere die anderen Partymitglieder ignoriert. In den Story-Cutscenes dreht sich alles nur um die betreffende Person, die anderen bleiben unsichtbar und man darf sich bisweilen zurecht fragen, warum diese Charaktere überhaupt zusammen unterwegs sind. Denn warum sollte ein gutherziger Heiler einem Dieb bei einem Einbruch helfen? Warum zieht der Ritter mit einer Tänzerin auf Rachemission herum? Später gibt es zwar optionale Party-Dialoge, in denen die anderen Figuren die diversen Ereignisse kommentieren, aber im Großen und Ganzen geht es in jeder Geschichte nur um den jeweiligen Hauptcharakter.

Taktische Kämpfe

Wen ihr in eurer Party mitnehmt (die maximal vier Leute gleichzeitig umfassen kann), solltet ihr übrigens nicht nur aus Sympathie bestimmen, sondern eine Gruppe zusammenstellen, die sich möglichst ergänzt, um die taktischen Möglichkeiten des Kampfsystems ausreizen zu können. Grundsätzlich laufen die Gefechte in Runden ab – am oberen Bildschirmrand seht ihr praktischerweise stets, wann welche Figur in dieser und der nächsten Runde an die Reihe kommt. Seid ihr an der Reihe, könnt ihr ein Kommando für die entsprechende Figur wählen – also zum Beispiel Angreifen, einen Skill oder ein Item benutzen. Bis hierhin nichts Außergewöhnliches – aber keine Angst, es wird noch komplexer.

Erstens bekommen eure Charaktere zu Beginn (fast) jeder Runde einen Boost-Punkt. Diese könnt ihr einsetzen, um öfter zuzuschlagen oder eure Skills zu verstärken. Bedenkt allerdings, diese beizeiten zu verwenden (ihr könnt nur eine gewisse Menge dieser Punkte sammeln) und dass ihr nach ihrem Einsatz in der folgenden Runde keinen neuen Boost-Punkt bekommt. Das sorgt an sich schon für ein interessantes Abwägen der taktischen Möglichkeiten, wird aber in Kombination mit dem zweiten System umso wichtiger: Jeder Gegner hat Schwächen, die euch zunächst nicht bekannt sind. So sind sie etwa besonders empfindlich auf Angriffe mit bestimmten Waffen und/oder reagieren heftig auf gewisse Elementarangriffe. Um herauszufinden, worauf der Gegner anschlägt, müsst ihr entweder ausprobieren oder auch spezielle Skills nutzen, die euch diese Informationen geben. Praktischerweise zeigt euch das Spiel bei schon bekannten Gegnern, welche Schwachstellen ihr schon entdeckt habt, sodass ihr diesen Prozess nicht jedesmal von vorne beginnen müsst. Nutzt ihr einen passenden Angriff, macht ihr nicht nur mehr Schaden, sondern senkt auch die Schildpunkte eures Gegners (hier sind multiple Schläge via Boost-Punkten besonders effektiv). Fallen diese auf null, ist euer Kontrahent kurzzeitig kampfunfähig und nimmt auch mehr Schaden (auch hier würde sich natürlich ein Boost anbieten, um eure Angriffe in dieser Phase zu verstärken). Dies ist nicht nur wichtig, um die Lebensenergie eures Gegners möglichst rasch abzubauen, sondern kann auch taktisch eingesetzt werden, um einzelne Feinde kurzzeitig aus dem Kampf zu nehmen.

Wer hat diesen Boss designed?

Die Kämpfe sind also durchaus taktisch und anspruchsvoll – und dennoch muss man hier ein wenig Kritik aussprechen. Das Schwächen-System kann euch zum Teil in echte Probleme bringen, denn habt ihr die falschen Leute dabei und könnt die Schwachpunkte eurer Gegner nicht ausnutzen, wird es knifflig. Ja, natürlich könnte man einfach die Personen in der Party austauschen, aber dafür muss man erst in eine Ansiedlung zurückkehren. Erst später im Spiel wird es etwas leichter: Ihr schaltet zwölf zusätzliche Klassen frei (acht davon entsprechen jenen eurer Helden, vier weitere sind völlig eigenständig), die ihr auch unterwegs als Zweitklasse für eure Charaktere aktivieren und auch wieder ändern könnt. Dadurch bekommt ihr Zugriff auf zusätzliche Waffenarten und Skills und könnt euch so leichter an die Gegnergruppen anpassen. Und das ist auch nötig, denn vor allem die Bosskämpfe stellen euch relativ rasch vor große Herausforderungen. Hier haben die Entwickler nicht nur einige interessante Ideen ins Spiel gebracht, sondern es vor allem mit den Hitpoints sehr gut gemeint und so für eher langwierige Gefechte gesorgt, in denen kleinere Fehlentscheidungen fatale Folgen haben können. Mehr als einmal haben wir uns nach einem langen Kampf schon als sicheren Sieger gesehen, bevor dann doch eine unglückliche Skillkombo des Gegners und/oder ein eigener Fehler für ein Game Over sorgten. Dafür ist es umso befriedigender, wenn dann doch alles aufgeht und der Boss ins Gras beißt.

Die gute alte Zeit

Schon aus der Grafik in 16-Bit-Pixeloptik (die übrigens auf die 3D-Power der Unreal Engine setzt, es allerdings mit der simulierten Tiefenschärfe ein wenig übertreibt) wird klar, dass sich Octopath Traveler stark in der Tradition der klassischen JRPGs der 90er sieht. Das ist einerseits eine tolle Sache – das moderne JRPG setzt oft völlig andere Schwerpunkte und lässt Fans der Klassiker alte Tugenden, wie die Steuerung der gesamten Party, vermissen. Andererseits gibt es dann doch einige Designentscheidungen, von denen man sich gewünscht hätte, dass sie in der Vergangenheit bleiben.

Die schon erwähnten Random Encounter reißen euch oft aus dem Erkunden, sind aber noch am Ehesten zu verschmerzen. Problematischer ist da schon eher, dass man zwischen den Kapiteln zu große Level-Sprünge geplant hat. Habt ihr z.B. alle acht Charaktere eingesammelt und somit alle ersten Abschnitte gespielt, werdet ihr vermutlich in Sachen Level noch immer zu niedrig für die zweiten Kapitel sein. Verschlimmert wird dies dadurch, dass nur die vier aktiven Charaktere Erfahrung sammeln, ihr aber für die jeweiligen Kapitel natürlich die dazugehörige Figur dabei haben müsst, sodass ihr im Endeffekt nicht umhin kommt, alle Protagonisten aufzuleveln. Das führt zu eher unnötigem Grinden, das das Spiel, das ohnehin schon eine tolle Länge hat, nicht notwendig gehabt hätte. Und selbst mit dem richtigen Level ist dann nicht gesagt, dass ihr gegen den Boss des Kapitels eine Chance habt. Das hat für so einige Motivationslöcher in unserem Test gesorgt.

 

Nebenbei was anderes

Wer sich das Grinden spaßiger machen will, kann sich natürlich auch auf die diversen Sidequests stürzen, die im Gegensatz zur den Hauptquests mit klaren Zielvorgaben eher offen gestaltet sind. Man erhält von diversen Personen Aufgaben, aber wie man diese genau löst, bleibt uns überlassen. Das ist aber auch Absicht, denn oft gibt es mittels der Pfadfähigkeiten unserer Charaktere mehrere Lösungsansätze – und ab und an hat man, wenn man gewissenhaft alle Pfadoptionen nutzt, das nötige Item oder die nötig Info auch schon längst in der Tasche. Wer dabei seine Figuren leveln will, wird allerdings eher enttäuscht sein, dass dieses Nebenaufgaben nur Geld und Items, aber keine Erfahrung bringen. Hier empfielt es sich, für die Nebenquests auf die Schnellreise zu verzichten, mit der man bereits besuchte Ortschaften sofort wieder erreichen kann, und stattdessen zu Fuß via Random Encounters zu leveln – so hat das Grinden wenigstens irgendwie auch einen Sinn

Fazit

Wertung - 8

8

Old-School-JRPG mit neuen Ideen und alten Schwächen

Octopath Traveler stellt mich vor ein interessantes Problem: Es gibt diese Momente, in denen ich es frustriert in eine Ecke schmeißen will – vor allem dann, wenn ein Boss trotz richtigem Level nach langem Kampf und schon sicher geglaubtem Sieg es doch noch schafft, mich zu wipen. Aber auch das leider doch nötige Grinden, um das richtige Level für die Storymissionen zu erreichen, kann eine echte Motivationsbremse sein. Auf der anderen Seite kann ich das Spiel einfach nicht lange aus der Hand legen. Klar, die Handlungsstränge mancher Figuren interessieren mich nicht besonders, aber andere motivieren mich, weiter zu machen und mehr zu sehen. Und dieses Phänomen zieht sich durch das Spiel. Neben guten Ideen (z.B. das Boost-System) existieren schlechtere Einfälle (warum levelt nicht die ganze Party mit, wenn man für dieses Spiel acht Charaktere braucht?) und eigentlich gute, aber nicht völlig durchdachte Ansätze (das Schwächensystem ist interessant, aber echt frustrierend, wenn man die falschen Leute dabei hat). Aber vermutlich ist es das, was mich an Octopath Traveler so fasziniert: Die 16-Bit Ära war eine Zeit, in der nicht alles auf Hochglanz poliert werden musste, damit es möglichst den Massengeschmack trifft, sondern eine Ära der Ecken und Kanten. Deshalb erinnert mich Octopath Traveler auch weniger an Final Fantasy VI, das die Entwickler als Vorlage angegeben haben, sondern eher an die SaGa-Reihe mit ihren spielerischen Experimenten, die nicht immer aufgingen. Man muss nicht jede Entscheidung mögen, aber im Endeffekt lande ich doch bei diesem persönlichen Fazit: Mir als Fan der klassischen JRPGs hat Octopath Traveler echt Spaß gemacht – zumindest dann, wenn ich nicht lautstark geflucht habe. Für einen eventuellen zweiten Teil (DLC wird es keinen geben) wünsche ich mir allerdings Geschichten, die auch aufeinander aufbauen, mehr Interaktion zwischen der Party und ein besseres Balancing.

Genre: Rollenspiel
Entwickler: Square Enix
System: Nintendo Switch
Erscheint: 13.07.2018
Preis: ca. 60 Euro

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Florian Scherz

Bereits früh entwickelte Florian zwei große Leidenschaften: Videospiele und Theater. Ersteres brachte ihn zu einem Informatikstudium und zu Jobs bei consol.MEDIA und Cliffhanger Productions; zweiteres lässt ihn heute (unter anderem) als Schauspieler, Regisseur, Komponist und Lichtdesigner arbeiten. Wenn er gerade keine Musicals inszeniert, spielt oder schreibt, vermisst er auf Shock2 Videospiele von anno dazumal in seiner Blog-Reihe "Spiele, die ich vermisse".

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