Review: Marvel Now! Spider-Man (2)
Die nette Spinne von nebenan? Pustekuchen. Hier regiert der SUPERIOR SPIDER-MAN. Und so langsam wird die Entwicklung auch von außen wahrgenommen.
Spider-Man patroliert einmal mehr die Straßen von New York. Natürlich kommen ihm in seiner täglichen Routine dabei zwei Kandidaten seiner Schurkengalerie in die Quere. Jester und Screwball treiben ihren Schabernack und schaffen es sogar, Spider-Man vor aller Öffentlichkeit der Lächerlichkeit preiszugeben.
War Peter Parker noch mit genug Selbstironie gesegnet, diese rowdyhaften Spirenzien mit Humor spiegeln zu können, um den Sieg davon zu tragen, gehen dem neuen Träger der Spinnenklamotten – wer es bis jetzt noch nicht raus hat, dem ist nicht zu helfen – Otto Octavius sämtliche Sicherungen durch. Er reagiert rücksichtslos und brutal. Die beiden Spaßvögel erleben die volle Wucht der proportionalen Kraft der Spinne und landen krankenhausreifgeschlagen in selbigen.
Nachdem Spider-Man im letzten Band bereits final mit einem Massenmörder abgerechnet hat und das erste Mal in seiner weißbefleckten Laufbahn einen Abzug betätigte, um jemanden zu töten, ist dies nun der zweite Vorfall, der Aufsehen erregt. Einmal könnte man noch als Fehler durchgehen lassen, als impulsiven Reflex, doch zweimal ist Absicht.
Dieser Ansicht sind auch die Avengers, allen voran Captain America. Sie zeigen sich zunächst noch besorgt und verständnissuchend nach den neuen Strategien ihres Kompagnons, aber letztendlich kommt es auch hier zur Fäuste-, Krallen-, Schild und Hammer schwingenden Konfrontation.
Der letzte Rest Anstand im Bewusstsein des Octopus-verseuchten Gehirns von Peter Parker, der sich fast wie ein Geist der Vergangenheit präsentiert, versucht immer wieder, direkten Einfluss auf die Geschehnisse zu nehmen. Zunächst als Stimme im Kopf und als lästiges Gewissen, kann Otto diese Gedanken immer wieder abschütteln. Aber Peter kämpft sich in seinem Körper weiter vor und gewinnt sogar zeitweise die Oberhand über Reflexe und Muskeln und sucht so im wahrsten Sinne des Wortes händeringend nach Hilfe von außen. Dies wird auch von Otto zusehends wahrgenommen und dieser sieht sich zu einem krassen Schritt genötigt, der den besagten Rest Anstand auszulöschen droht.
Autor Dan Slott dreht die Schraube immer enger. Mit diesem Band grenzt sich der Superior Spider-Man endgültig vom Erbe des Peter Parker ab und geht als eigenständige Persönlichkeit ins Marvel Universum über. Man sieht hier gleichermaßen den Werteverfall eines alten Helden und den endgültigen Aufstieg des neuen Helden. Doch ist es überhaupt noch ein Held? Jemand, der bewusst seine Gegner malträtiert, ja, sogar umbringt? Was unterscheidet ihn noch von jemanden wie den Punisher? Ganz einfach: Sein Intellekt. Hier sitzt jemand am Ruder, der berechnend seine Fähigkeiten einzusetzen weiß, jemand, der reflektiert und vor allem plant. Genie und Wahnsinn mögen nach beieinanderliegen, hier sind sie verschmolzen. Fast eine Parabel zum Thema: „Kommt man mit Rücksichts- und Skrupellosigkeit weiter als mit Nettigkeit und Nächstenliebe?“. Slott versteht es, die Erfolge des neuen Spider-Man immer in einem so guten Licht zu setzen, dass man fast gewillt ist, die Frage: „Ist der neue Peter Parker besser?“ mit: „Ja!“ zu beantworten. Otto greift die Möglichkeiten von Spider-Man viel effektiver an, als es sich Peter je getraut hätte. Wir werden dieser Frage noch lange folgen, denn das Ende dieses Bandes hat mich beim ersten Lesen mit einem wahrhaften: „WIE KOMMEN DIE DA WIEDER RAUS?“ zurückgelassen, und das hat kein Mainstream-Superheldenheft der letzten 10-15 Jahre ernsthaft von sich behaupten können.