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Review: Gears Tactics

Als Gears of War Ende 2006 auf der Xbox 360 erschien, sorgte es rasch für Furore. Das lag nicht nur an der ausgezeichneten Präsentation, sondern auch an der Cover-Mechanik, die man hier zwar nicht zum ersten Mal überhaupt in einem Third-Person-Shooter sah, der aber hier wohl zum endgültigen Durchbruch verholfen wurde. Mehrere Sequels später wagen sich The Coalition und Splash Damage mit Gears Tactics nun an ein anderes Genre, das vielleicht auf den ersten Blick nicht zum bisherigen Spielprinzip und -tempo von Gears of War passt, aber auf den zweiten Blick ebenfalls wegen seiner Cover-Mechaniken bekannt ist: Squad-basierte Rundenstrategie. Wir haben uns die PC-Version (eine Xbox One-Fassung ist angekündigt, hat aber noch keinen Termin) angesehen.

Am Anfang war der Krieg …

Die Handlung von Gears Tactics spielt mehrere Jahre vor den Ereignissen aus Gears of War: Der talentierte, aber desillusionierte Soldat Gabe Diaz (übrigens der Vater von Kait Diaz aus Gears 5) nimmt etwas widerwillig den Auftrag an, ein Team aufzubauen und den mysteriösen Ukkon aufzuspüren. Das ist die Ausgangslage nicht nur für allerhand Gears-üblichen Pathos und Trashtalk, sondern auch für eine spannende Jagd auf einen Feind, den unsere Truppen noch nicht wirklich verstehen. Leider bleiben trotz der gut inszenierten Zwischensequenzen sowohl Story als auch Charaktere etwas flach und sind deshalb eher zweckdienlich als wirklich interessant – trotz einiger Anspielungen auf spätere Ereignisse und Charaktere.

Auf den Schultern von Riesen

Das große Vorbild der meisten modernen Squad-Taktik-Spiele ist Firaxis‘ Reboot der XCOM-Reihe, die mit XCOM: Enemy Unknown 2012 startete. Auf den ersten Blick hält man Gears Tactics vielleicht auch für einen reinen XCOM-Klon: Wir bewegen unsere Einheiten über das Schlachtfeld von Deckung zu Deckung, schießen auf Feinde und nutzen die diversen Fähigkeiten unserer Mannschaft. Allerdings haben sich die Entwickler so einiges einfallen lassen, das die Gameplay-Formel aufmischt, auffrischt und dabei auch noch passend zur Reihe temporeicher und aggressiver macht. Das beginnt schon mit einer eigentlich simplen Änderung: Unsere Einheiten haben drei (statt zwei) Aktionspunkte, die sich beliebig auf alle Arten von Aktionen aufteilen lassen (zum Vergleich: In XCOM gilt „ein Schuss beendet den Zug der Einheit, selbst wenn er die erste Aktion ist“). In Gears Tactics ist es deshalb ebenso eine valide Taktik, zuerst zu schießen und sich dann erst in Deckung zu begeben, wie auch einfach dreimal pro Zug auf den oder die Gegner zu ballern, wenn es die Situation erfordert. Anders als in XCOM (mit Ausnahme des neuen XCOM: Chimera Squad, das interessanterweise hier dieselbe Richtung einschlägt) funktioniert auch der Overwatch-Modus: Statt den Befehl zu geben, einfach auf alles zu feuern, was sich um euren Gear bewegt, müsst ihr ganz klar festlegen, welchen Bereich ihr überwachen wollt. Aber Vorsicht: Eure Gegner beherrschen dieses Spiel ebenfalls, was euren nächsten Zug ganz schön knifflig machen kann, wenn ihr Schaden vermeiden wollt …

In Sachen Bewegung ist wohl die größte Veränderung gegenüber dem Vorbild, dass man sich gegen ein unter dem Level liegendes Raster entschieden hat und ihr eure Soldaten deshalb frei positionieren könnt. Dadurch könnt ihr zum Beispiel nur einen kleinen Schritt zur Seite machen, um einen Raketenangriff auszuweichen, aber dennoch die Deckung weiter zu nutzen, oder haargenau (wenn auch ein wenig zu frimelig) zu bestimmen, wie ihr euch einem Gegner nähern wollt, wenn ihr in den Nahkampf wechselt. Zu diesen Angriffen gehören auch die (passend zur Mutterserie) recht blutig inszenierten Exekutionen: Ist ein Gegner dem Tode nah, könnt ihr diesem recht grafisch den Garaus zu machen. Das ist nicht nur blutiges Gemetzel zum Selbstzweck, sondern bringt dem ganzen Squad Boni. Tatsächlich könnte man sogar sagen: Exekutionen sind zwar immer ein kalkuliertes Risiko, weil man sich aus der Deckung wagen muss, aber oft genug sogar der Schlüssel, um mit der Locust-Übermacht, die euch erwartet, fertig zu werden. Wenn so ein Plan aufgeht, ist das ähnlich befriedigend, wie ein Schuss, der aufgrund der Trefferwahrscheinlichkeit sitzen hätte sollen, frustrierend sein kann.

Apropos frustrierend: Das UI zeigt uns zwar eigentlich normalerweise genau, was wir wissen wollen, aber es ist nicht perfekt. Ab und an ist ein gegnerischer Overwatch-Bereich nicht gut zu sehen, und wer seine Einheit bewegen will, muss im Bewegungsmodus auf eine mögliche Zieldestination zeigen, um zu sehen, ob und wenn ja in wie vielen Aktionen er dorthin gelangen kann, statt eine schnelle Übersicht von vornherein zu sehen zu bekommen. Positiv hingegen: Bei der Auswahl einer neuen Position sieht man auch, welche Gegner von diesem Punkt aus sichtbar sind – sehr praktisch, um das weitere Vorgehen zu planen. Und, um die Liste der negativen Punkte abzuschließen, hier noch ein letztes, etwas ärgerliches Detail: Dass Sondermanöver mit einem Cooldown begrenzt werden, ist nichts Neues und wegen des Balancings auch irgendwie logisch; aber warum man Granaten nicht mit mitgeführten Stückzahlen, sondern ebenfalls durch einen recht langen Cooldown begrenzt, ist uns etwas unverständlich – und gerade in solchen Situationen, in denen man den Locust-Nachschub aus dem Boden deshalb nicht unterbinden kann, bisweilen missionsentscheidend.

Von Helden und Gemeinen

In eurem langsam anwachsenden Trupp gibt es zwei Arten von Mitstreitern: Der Standard-Gear wird vom Spiel zufällig generiert, während Helden vorgefertigt sind und für die weitere Handlung (und oft auch Missionen, in denen sie oft vorgeschriebene Teile der Truppe sind) relevant sind. Deshalb gibt es zwischen diesen beiden Typen im Gefecht vor allem einen fundamentalen Unterschied: Während „normale“ Gears über den Perma-Death-Jordan gehen dürfen, scheitert euer Einsatz, wenn ein Held stirbt. Ansonsten gibt es aber keine Unterschiede – beide Arten von Figuren gehören einer von fünf Klassen an, können zwischen den Einsätzen aufleveln (und danach Skillpunkte in einem Talentbaum verteilen, was nützliche neue Fähigkeiten freischaltet) und ihre Ausrüstung mit auf dem Schlachtfeld eroberten Items verbessern. Mehr gibt es zwischen den Missionen aber auch gar nicht zu tun. Es gibt keine Forschung, langfristige Verletzungen sind bei den Gears nicht vorgesehen (sie werden nach dem Einsatz automatisch geheilt), und keine freie Auswahl, wie man weiter agieren möchte. Die Story bleibt linear. Diese Designentscheidung heißt leider auch, dass der Wiederspielwert von Gears Tactics nicht besonders hoch ist – habt ihr die Handlung abgeschlossen, erzählt der nächste Durchlauf dieselbe Story mit denselben Hauptmissionen.

Moment, Hauptmissionen? Ja. Zwischen die Hauptmissionen haben die Entwickler die Nebenmissionen gesetzt, die im Gegensatz zu den Storymissionen zumindest teilweise zufallsgeneriert sind und deshalb auch mehr Abwechslung bieten. Der Preis dafür ist allerdings, dass manche dieser Einsätze an unfair grenzen, weil die Siegbedingungen ungünstig ausfallen. Zum Glück ist das Ausführen von Nebenmissionen an sich zwar nicht optional, sondern im Rahmen der Kampagne verpflichtend; allerdings könnt ihr euch dafür aus einer Auswahl entscheiden, welche Einsätze ihr durchführen und welche ihr lieber auslassen wollt. Dennoch merkt man den Nebenmissionen leider an, dass sie vor allem eingesetzt werden, um die eigentlich schon recht ordentliche Handlung zu strecken – hier wäre vielleicht ein wenig weniger mehr gewesen, um das Pacing nicht zu verlieren. Dazu kommt, dass alle Missionen – also auch die Storymissionen – immer wieder dieselben Aufgaben stellen, die sich (zu) rasch wiederholen. Die große Ausnahme stellen allerdings die Bosskämpfe am Ende jedes Kapitels da, bei denen euer Trupp gegen extra starke Gegner antritt. Diese Gefechte sind nicht nur spannend inszeniert, sondern ein echtes Highlight.

Fazit

Wertung - 8.5

8.5

Tolles Taktik-Gemetzel

Ich kam wegen der XCOM-Ähnlichkeit, ich blieb wegen der Unterschiede. So lässt sich mein Erlebnis mit Gears Tactics wohl am einfachsten zusammenfassen. Gears Tactics ist nicht XCOM und will es gar nicht sein. Wo man sich im Alien-Abwehrkampf langsam vorantastet, ist hier das Tempo höher. Wo man in XCOM versucht, defensiv zu spielen, belohnt Gears Tactics eine aggressivere, riskantere Spielweise. Wer hätte gedacht, dass schon zwei kleine Änderungen gegenüber der bewährten Firaxis-Formel – mehr Aktionsmöglichkeiten und die Abschaffung von „ein Schuss beendet den Zug“ – so große Auswirkungen haben? Das Gemetzel – und anders kann man es wohl nicht bezeichnen – macht Spaß und ist dennoch immer wieder herausfordernd. Ja, es gibt Schattenseiten – die Story hat mich persönlich nicht wirklich abgeholt, trotz der gelungenen Inszenierung; der Trashtalk klingt manchmal zu aufgesetzt, vor allem in der deutschen Synchro; die Missionstypen wiederholen sich etwas zu rasch und gerade die Nebenmissionen schwanken in der Qualität. Das alles ändert aber nichts daran, dass Gears Tactics ein spannendes, gelungenes Spiel ist und zeigt, dass Gears of War auch in einem anderen Genre herausragend funktioniert. Und der Kampf gegen XCOM? Da kann Gears Tactics mithalten – bis auf eine Kleinigkeit: Aufgrund der fixen Storyline und fehlenden Entscheidungen, wie man das Spielziel erreicht, ist der Wiederspielwert deutlich geringer.

Genre: Strategie
Entwickler: Splash Damage/The Coalition
System: PC
Erscheint: PC: erhältlich/Xbox One: angekündigt (Im Game Pass enthalten)
Preis: ca.  70 Euro

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Florian Scherz

Bereits früh entwickelte Florian zwei große Leidenschaften: Videospiele und Theater. Ersteres brachte ihn zu einem Informatikstudium und zu Jobs bei consol.MEDIA und Cliffhanger Productions; zweiteres lässt ihn heute (unter anderem) als Schauspieler, Regisseur, Komponist und Lichtdesigner arbeiten. Wenn er gerade keine Musicals inszeniert, spielt oder schreibt, vermisst er auf Shock2 Videospiele von anno dazumal in seiner Blog-Reihe "Spiele, die ich vermisse".

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