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Review: Full Throttle Remastered

„Immer wenn ich Asphalt rieche, denke ich an Maureen“. Schon vor 22 Jahren leitete dieser mit wunderbar verrauchter Stimme vorgetragene Satz eine neue Point’n’Click-Adventure-Erfahrung aus dem Hause LucasArts ein. Jetzt kann man Full Throttle aufgefrischt von neuem erleben: Nach Grim Fandango und Day of the Tentacle bringt Tim Schafers Studio Double Fine einen weiteren Adventure-Klassiker zurück. Kann das futuristische Biker-Abenteuer auch über zwanzig Jahre nach seiner Erstveröffentlichung punkten?

Can’t beat a Corley
Full Throttle versetzt euch damals wie heute in die Rolle des Bikers Ben, der als Anführer der Bikergang Polecats ein Leben im Sattel seines Motorrades führt. Die Freiheit auf zwei Rädern ist allerdings bald in Gefahr, als die Polecats in Verdacht geraten, Malcolm Corley, den Besitzer der berühmten Motorradschmiede Corley Motors, ermordet zu haben. Ben versucht, seine Unschuld zu beweisen, den letzten Wunsch Corleys zu erfüllen und zu verhindern, dass dessen Firma unter neuer Leitung in Zukunft nur noch Minivans baut. Die meiste Zeit folgt Full Throttle den klassischen Adventure-Konventionen, sodass ihr an diversen Locations Items einsammelt, kombiniert oder Gespräche mit diversen Figuren führt, um voran zu kommen. Allzu schwer wird euch das Puzzeln dabei allerdings nicht gemacht, denn anders als bei vielen anderen Genrevertretern der damaligen Zeit sind die Rätsel allesamt recht logisch und deshalb oft mit verhältnismäßig wenig Nachdenken zu knacken. Dazu kommt, dass die jeweiligen Bereiche oft nur wenige Räume umfassen, was es leichter macht, die Übersicht zu behalten. Die überarbeitete Version macht es euch sogar noch leichter, denn mit einem Tastendruck könnt ihr (zumindest auf den meisten Screens, denn seltsamerweise funktioniert das nicht überall) die Hotspots anzeigen lassen, statt umständlich danach zu suchen. Das ist zwar auch nicht immer eine Garantie, dass man alles findet (zumindest bei einem Rätsel ist es leicht, den richtigen Hotspot zu übersehen, weil das ganze Objekt leuchtet, ohne auf den besonderen Punkt hinzuweisen), aber es hilft, wenn man sicher gehen will, dass man nichts übersieht.

On the road – again
Full Throttle war allerdings nicht nur ein Adventure der klassischen LucasArts-Tradition (auch wenn es schon nach der Ära der Verbensteuerung erschien), sondern ging in Sachen Präsentation neue Wege. Dank des Speicherplatzes einer CD-ROM waren plötzlich filmhafte Szenen und Kamerafahrten möglich – und sogar eine Sequenz, in der Ben mit dem Bike gegen andere Biker kämpft (für Retro-Fans: Zum Einsatz kam dabei die Rebel Assault-Engine). Leider sind es besonders letztere Sequenzen, die nicht besonders gut gealtert sind. Nein, wir reden hier gar nicht so sehr von der Grafik, denn diese wurde für das Remake überarbeitet. Aber über die Straßen zu tuckern und auf Gegner einzuprügeln, fühlt sich heute nicht mehr so spektakulär an wie damals und lässt dadurch das doch recht simple Spielprinzip dieser Sequenz zu sehr durchscheinen. Noch schlechter ist allerdings die zweite Action-Einlage (die neben der Action aber auch ihre ganz eigenen Puzzles bietet) gealtert, in der man an einem Destruction Derby teilnimmt. Hier bekommt man (vor allem aufgrund der bockigen Steuerung) einen Einblick in das Gaming von gestern, das man so vermutlich gar nicht mehr vermissen möchte. Ähnlich ist es bei manchen (zu) zeitkritischen Passagen, die zwar kein Game Over verursachen (das würde auch der LucasArts-Adventure-Philosophie widersprechen), euch aber zumindest ein kleines Stückchen zurücksetzen, wenn ihr zu lange für die Lösung braucht. Wenn man hier eine Cutscene zum wiederholten Mal betrachten muss, weil man falsch geklickt oder nur eine Sekunde zu lange gebraucht hat, ist das doch recht frustrierend. Schade, denn der Rest des Spiels funktioniert auch heute noch ausgezeichnet.

Remastered
Ihr habt aus dem vorherigen Absatz wohl schon herausgelesen, dass Full Throttle sich auch 22 Jahre später noch genauso spielt wie 1995. Alle Objekte sind da, wo sie hingehören, alle Rätsel gleichgeblieben. Bleibt die Frage: Was wurde beim Remaster getan? Nun, vor allem an der Präsentation geschraubt. Wie ihr per Tastendruck herausfinden könnt, (ihr könnt nämlich ähnlich wie bei den Monkey Island Special Editions oder Day of the Tentacle auf die alte Fassung wechseln), hat die alte Optik zwar ihren Charme, wirkt aber für moderne Augen doch arg verpixelt. Allerdings sorgt die moderne Überarbeitung (die so nebenbei die Grafik auch dem heutigen Widescreen anpasst, sodass alle Screens deutlich erweitert wurden) schon jetzt bei Fans für Diskussionen, denn nun wirkt das Spiel deutlich comichafter als zuvor und lässt so einige Fans die kantige Optik des Originals vermissen. Weniger Kritik gibt es hingegen für den Sound: Die alte Sprachausgabe wurde neu überarbeitet (Tipp: Auch wenn es eine deutsche Sprachausgabe gibt, ist das englische Original mit dem inzwischen leider verstorbenen Roy Conrad als Ben und Mark Hamill als Adrian Ripburger deutlich gelungener) und die Musik remixt. Das Ergebnis klingt sowohl vertraut als auch runder als zuvor (auch hier könnt ihr mit der alten Version vergleichen). Zum Drüberstreuen gibt es darüber hinaus nun auch Erfolge und Audiokommentare der Entwickler, die dazu einladen, das Spiel ein weiteres Mal anzugehen. Und das ist gut so, denn Full Throttle ist kein langes Spiel – selbst wenn man die Lösung nicht von anno dazumal auswendig kennt, wird man nicht lange brauchen, um Bens Probleme zu lösen. In dieser Zeit wird man allerdings – von den schon erwähnten kleineren Problemen mal abgesehen – durchgehend gut unterhalten.

Review Overview

Wertung - 8

8

Altes Chassis, neuer Lack

Interessante Zeiten für LucasArts-Adventure-Fans: Eben noch hatten wir mit Thimbleweed Park einen neuen Genrevertreter, der auf alte Tugenden setzte, jetzt bekommen wir mit Full Throttle einen in Sachen Präsentation überarbeiteten, aber sonst unveränderten Klassiker. Die Unterschiede sind gewaltig. Thimbleweed Park wurde bewusst optisch auf alt getrimmt, ließ aber zumindest einige Fallstricke des klassischen Adventure-Gamings aus. Full Throttle ist optisch nun ein modernes Spiel, fühlt sich aber gameplaytechnisch an einigen Stellen nicht mehr zeitgemäß – und dadurch bisweilen auch für den heutigen Gamer frustrierend – an. Wenn ich in einer Sequenz laufend den Löffel abgebe, weil das Zeitlimit (zu) eng ist und ich zu langsam bin, und dann diesen Abschnitt von vorne beginnen muss, ist das nervig. Wenn darüber hinaus das Gameplay der Minigames zwischen eintönig und „ist das umständlich zu steuern“ schwankt, hätte man sich doch erhofft, dass Double Fine das Gameplay an diesen Stellen ein wenig aufgepeppt hätte, gerade weil die Adventure-Teile zeitlos gut funktionieren und von den anderen Elementen ein wenig nach unten gezogen werden. Und ja, das sage ich als jemand, der den Klassiker seit dem Release liebt und immer wieder durchgespielt hat. Natürlich ist es gut, dass Full Throttle nun wieder auf modernen Maschinen lauffähig erhältlich und beim Remaster unverfälscht geblieben ist (beim Grafikstil kann man ja auf die alte Fassung umschalten, das mache ich auch bei Monkey Island heutzutage so), aber man bekommt eben kein neues Spiel, sondern alte Gameplay-Sensibilitäten mit allen Ecken und Kanten in moderner Verpackung – und dessen sollte man sich in manchen Momenten durchaus bewusst sein. Dennoch will ich hier nicht zu negativ klingen: Full Throttle ist und bleibt ein Klassiker des Adventure-Genres, an den man sich nicht umsonst heute noch erinnert. Wer LucasArts-Adventures liebt oder noch kennenlernen will, sollte zuschlagen, denn der niedrige Preis ist für das, was man bekommt, durchaus fair.

Genre: Adventure
System: PS4, PS Vita, PC
Entwickler: Double Fine
Erscheint: Erhältlich
Preis: ca. 15 Euro

Mehr zum Thema: Spiele, die ich vermisse #83: Full Throttle

Florian Scherz

Bereits früh entwickelte Florian zwei große Leidenschaften: Videospiele und Theater. Ersteres brachte ihn zu einem Informatikstudium und zu Jobs bei consol.MEDIA und Cliffhanger Productions; zweiteres lässt ihn heute (unter anderem) als Schauspieler, Regisseur, Komponist und Lichtdesigner arbeiten. Wenn er gerade keine Musicals inszeniert, spielt oder schreibt, vermisst er auf Shock2 Videospiele von anno dazumal in seiner Blog-Reihe "Spiele, die ich vermisse".

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