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Review: Elsinore

Und täglich grüßt das Shakespeare-Drama

Etwas ist faul im Staate Dänemark. Nein, ausnahmsweise meinen wir nicht, dass König Claudius seinen Bruder ermordete und dessen Frau Gertrude heiratete. Auch nicht unbedingt, dass Prinz Hamlet düstere Pläne schmiedet, um die Tat seines Onkels aufzudecken. Während sich all das auf Schloss Elsinore abspielt, hat Ophelia, die ehemalige Geliebte Hamlets, nämlich ein ganz anderes Problem: Sie ist in einer Zeitschleife gefangen und erlebt dieselben vier Tage immer und immer wieder. Kann sie das Schicksal der Bewohner und sogar ganz Dänemarks verändern? Und was bedeutet das für ihre eigene Zukunft?

Sein oder Nichtsein?

Shakespeares wohl bekanntestes Drama als Videospiel? „Warum nicht?“, dachte man sich bei Golden Glitch Studios, die mit diesem Titel ihr Erstlingswerk abliefern. Allerdings heißt das nicht, dass es sich um unerfahrene Entwickler handelt: Vielmehr arbeiten hier Veteranen von Firmen wie Electronic Arts, Oculus, Double Fine, Google oder Telltale an einem „Nebenbei-Projekt“ zusammen. Das „nebenbei“ erklärt auch, warum Elsinore eine Weile in Entwicklung steckte: Im April 2015 erfolgreich auf Kickstarter finanziert (zu einem Zeitpunkt, als es schon einige Prototypen und auch detaillierte Planungen gab), wurde es erst jetzt offiziell veröffentlicht, da sie sich im Alltag mit anderen Projekten auseinandersetzten.

Die Macher bezeichnen Elsinore als Point-and-Click-Adventure, allerdings sollte man nicht glauben, es hier mit einem Genre-Titel im Stil von Monkey Island & Co zu tun zu haben – es geht hier (fast) nicht darum, Items einzusammeln oder gar zu kombinieren und somit irgendwelche Puzzles zu lösen. Vielmehr haben die Entwickler eine Art Story-Simulator geschrieben, mit dem das Leben im und um das Schloss möglichst glaubwürdig simuliert werden soll, während sich das Drama entfaltet – oder eben nicht. Die Bewohner gehen einem Tagesablauf nach, wandern von Raum zu Raum oder treffen sich für besondere Ereignisse, je nach dem, was sie gerade für Anliegen oder Gedanken haben. Gezeigt wird das alles aus isometrischer Sicht in ansprechender, aber dabei doch recht einfacher Grafik mit eingeschränkten Animationen, die zweckdienlich, aber auch nicht mehr sind.

Die Zeit ist aus den Fugen!

Es liegt an Ophelia, diese Abläufe durcheinander zu bringen beziehungsweise in eine von ihr gewünschte Richtung zu führen. Dazu gibt es zwei wichtige Mechanismen: Erstens kann sie an den schon erwähnten Ereignissen teilnehmen oder sie zumindest belauschen. Dafür sollte man einen genauen Blick auf die Karte werfen, auf der jene Orte, an denen gerade etwas Wichtiges passiert, markiert sind. Darüber hinaus werden auch in einer Timeline zukünftige Ereignisse markiert, von denen Ophelia gehört hat, sodass man ein wenig planen kann, bei welchen man dabei sein will. Denn man kann einfach nicht an allen Orten gleichzeitig sein – zwangsläufig wird man einige Ereignisse verpassen. Zumindest bis zur nächsten Zeitschleife.

Allerdings sind es meist nicht diese Ereignisse, die das Schicksal der Bewohner verändern. Dafür dient schon eher Mechanismus Nummer zwei: Ophelia kann die diversen Charaktere aufsuchen und auf jene Themen ansprechen, die sie gerade beschäftigen. Allerdings sollte man hier bedacht vorgehen, denn während manche Information den Weg der Charaktere nur geringfügig ändert, haben andere große Sprengkraft für den einzelnen oder verändern sogar den Lauf der Geschichte maßgeblich – gewisse Ereignisse bekommen wir nur zu sehen, wenn wir an den richtigen Rädchen drehen, während andere dadurch verhindert werden. Andererseits ist es genau das, was uns weiterbringt – die Informationen, die wir in diesen alternativen Realitäten erleben, gehen nie verloren und können auch beim nächsten Anlauf genutzt werden, um es besser zu machen. Oder schlimmer …

Gebt allem einen Sinn, doch keine Zunge

Elsinore ist ein ambitioniertes, durchaus komplexes Projekt in Sachen Storytelling, in dem aufgrund der vielen gleichzeitig ablaufenden Handlungsstränge in jedem Durchlauf einige eigenwillige Variationen der Geschichte entstehen. Es ist aber genau jene Komplexität, die zum Teil zu Problemen führt. Einerseits spielerisch, da man oft gezielt auf ein gewisses Ereignis hinarbeitet, aber schon eine unbedachte Äußerung dazu führen kann, dass dieses nicht eintritt – das kann ärgerlich sein, da man dann auf den nächsten Durchlauf warten und alle notwendigen Ereignisse von vorne beginnen muss, um diese Storyline zu erleben. Hier empfiehlt es sich, vor allem in den späteren Durchläufen, bei denen man die meisten Informationen schon besitzt, sich eher auf ein Ereignis zu konzentrieren (es ist allerdings gar nicht nötig, alle möglichen Zeitlinien zum Ende zu führen – auch wenn es in Hinsicht auf das Ende durchaus interessant ist).

Andererseits kommt das Spiel selbst bisweilen ein wenig durcheinander beziehungsweise hat gewisse Ereignisse scheinbar nicht so vorgesehen. Beim Test gelang es uns, ein Ereignis schon im ersten Zyklus zu erreichen, das offensichtlich erst für später gedacht war, woraufhin Ophelia darüber sprach, dass sie eine Zeitreisende ist – was sie aber noch gar nicht wissen konnte. Auch sonst ignoriert das Spiel bisweilen Fakten, die sich aufgrund anderer Ereignisse in den Dialogen widerspiegeln sollten – zwar nicht immer, aber immer wieder. Das ist aber wohl der Komplexität der möglichen Ereignisse geschuldet. Auch sonst ist Elsinore noch nicht völlig bugfrei und ließ uns zum Beispiel für ein Gespräch durch eine eigentlich verschlossene Tür gehen oder die Kamera in einem Event ständig umherspringen. Allerdings verhindert das Autosave-Feature, dass man selbst bei einem Absturz Fortschritt verliert.

Der Rest ist Schweigen

Apropos Fortschritt verlieren (Achtung, auch wenn wir hier vorsichtig formulieren, ist das hier ein wenig Spoiler-Territorium): Ganz am Ende verlangt das Spiel von uns, eine Entscheidung zu treffen; wer glaubt, dass er hier einfach wieder zurückkehren kann und die Alternativen ausprobieren kann, erlebt eine böse Überraschung (vor der uns das Spiel zum Glück warnt): Nach der Entscheidung wird der einzige Spielstand gelöscht und will man die anderen Pfade sehen, muss man von vorne beginnen. Das ist die einzige Designentscheidung, die wir ein wenig fraglich nennen würden: Es geht hier immerhin nicht um zwei verschiedene, sondern gleich um mehrere Enden – Komplettisten müssen das Spiel also mehrfach von vorne durchspielen. Natürlich geht das bei einem zweiten Mal deutlich schneller und wir können uns einige Pfade ersparen, aber dennoch müssen wir uns dafür durch eine Menge (englische, aber nicht im Shakespeare-Stil geschriebene und bis auf einzelne Emotes nicht vertonte) Dialoge kämpfen und mehr als eine Zeitschleife auf uns nehmen. Aber vielleicht bessern hier die Entwickler noch nach.

Fazit

Wertung - 7.5

7.5

interaktives Drama

Auch wenn ich Hamlet nicht gerade als mein Spezialgebiet bezeichnen würde (tatsächlich ist Vorwissen nicht unbedingt nötig beziehungsweise erweckt das Spiel vielleicht sogar umgekehrt eure Lust, euch mehr mit dem Werk zu beschäftigen), hat mich als Theatermensch die Prämisse von Elsinore fasziniert: Könnte die bekannteste Tragödie Shakespeares anders enden? Gerade in dieser Hinsicht hat das Spiel auch geliefert, was ich erwartet habe: Ophelias Reise führt die Geschichte in allerhand Richtungen, die man so vermutlich niemals erwartet hätte – das ist durchaus faszinierend und hat mich dann auch zu einem zweiten Durchlauf gebracht, weil mir am Ende klar wurde, wie viele mögliche Varianten ich noch gar nicht gesehen hatte (eine Übersicht gibt es nämlich erst gegen Ende). Von diesen alternativen Storylines lebt das Spiel – den Dialogen, den Szenen, die sich verändern oder auch nicht. Ja, natürlich gibt es aufgrund der Zeitreise auch einige Wiederholungen (man muss sich allerdings nicht unbedingt alles nochmal ansehen, wenn man ohnehin schon weiß, was passieren wird) bzw. muss man auch einige Abschnitte mehrfach lösen, wenn man irrtümlich mit einem anderen Ereignis die Veränderung der Geschichte torpediert. Aber das bekommt man ganz gut in Griff, wenn man einmal begriffen hat, wie das Spiel tickt. Wirklich enttäuscht war ich eigentlich nur vom Ende. Nein, ich habe noch nicht alle Konsequenzen der Entscheidung am Ende gesehen (obwohl ich überlege, es nachzuholen), aber was ich bislang gesehen habe (und das inkludiert ein etwas versteckteres Ende) war nicht das, was ich erwartet oder erhofft hatte. Aber vielleicht ist das auch die Lektion von Elsinore: Shakespeare-Drama bleibt Shakespeare-Drama – selbst, wenn man es mit „Und täglich grüßt das Murmeltier“ kreuzt.

Genre: Adventure
Entwickler: Golden Glitch
System: PC/Max/Linux
Erscheint: erhältlich
Preis: ca.  20 Euro

Florian Scherz

Bereits früh entwickelte Florian zwei große Leidenschaften: Videospiele und Theater. Ersteres brachte ihn zu einem Informatikstudium und zu Jobs bei consol.MEDIA und Cliffhanger Productions; zweiteres lässt ihn heute (unter anderem) als Schauspieler, Regisseur, Komponist und Lichtdesigner arbeiten. Wenn er gerade keine Musicals inszeniert, spielt oder schreibt, vermisst er auf Shock2 Videospiele von anno dazumal in seiner Blog-Reihe "Spiele, die ich vermisse".

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