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Kolumne: Ubisofts Kampf um die Unabhängigkeit

Ubisoft und Vivendi befinden sich gerade in einem erbitterten Machtkampf. Und wir schauen vom Straßenrand aus zu. Was passiert hier eigentlich?

“Vivendi is an integrated media and content group. The company operates businesses throughout the media value chain, from talent discovery to the creation, production and distribution of content.”

http://www.vivendi.com/en/press/vivendi-in-brief/

Vivendi ist der größte Medienkonzern Frankreichs. Ob Musik, Radio, TV, Filme, Internetvideos, Tickets, Kommunikation oder Videospiele; Vivendi stellt sich breit auf und möchte an so vielen Punkten der Wertschöpfungskette wie möglich aktiv sein. Die Wertschöpfungskette beschreibt die Herstellung und den Verkauf eines Gutes. Etwas vereinfacht am Beispiel der Musik etwa das Aufspüren neuer Talente, das Produzieren von Liedern, die Vermarktung und den Verkauf an die Kunden. Während früher noch mehrere Unternehmen bei diesem Prozess beteiligt waren, ein Unternehmen für die Aufnahme der Musik, eines für den Vertrieb und so weiter, geschieht heutzutage so vieles wie möglich unter einem Dach. Diese integrierte Wertschöpfungskette macht den modernen Medienkonzern aus.

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StudioCanal produziert einen Film und distribuiert diesen. Nach der Kinopremiere folgt die TV-Premiere auf dem Pay TV-Kanal Canal+. Nach der Pay TV-Premiere folgt die Free TV-Premiere auf Canal 8. In keinem Augenblick verlässt der Film Vivendi, alles wird vom selben Unternehmen gesteuert. Dieses Ineinandergreifen verschiedener Abteilungen nennt sich Synergie und ist das erklärte Ziel von Unternehmen dieser Größenordnung. Wie wäre es also, wenn dann auch gleich das passende Videospiel zum neuen Film oder zur neuen Serie direkt von Vivendi käme? Und auch noch gleich von einem französischen Entwickler?

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Ein Unternehmen lässt sich auf zwei Arten übernehmen. Die freundliche und die feindliche Übernahme. Kommt man bei der freundlichen Art noch zu einer friedlichen Übereinstimmung, werden bei der feindlichen Art sämtliche Samthandschuhe ausgezogen. Der “Angreifer” macht den Aktionären öffentlich ein Angebot oberhalb des aktuellen Wertes ihrer Anteile, sie bekommen also mehr Geld. Nun muss das Management des “Verteidigers” seine Aktionäre davon überzeugen, dass der Wert der Aktie noch steigen wird und dass die Übernahme generell also keine so gute Idee ist. Ist die Verteidigung erfolgreich, wechselt der Angreifer die Strategie. Großaktionäre werden hinter verschlossener Tür angesprochen und es wird versucht, sie umzustimmen. Oder man versucht sich beim nächsten Investorentreffen in das “Board of Directors” einzuschleusen und so dem Management die Kontrolle über das Unternehmen zu entwenden.

Klingt nach Wirtschaftskrimi. Für Michel Guillemot, einen der Brüder des Ubisoft CEO Yves Guillemot und Mitgründer von Gameloft, ist es bittere Realität geworden. Gameloft wurde von Vivendi aufgekauft. 96,9 Prozent gehören nun dem Medienkonzern. Der Guillemot-Familie nicht mehr 1 Prozent. Nun sollte also klar sein, wer das Mobile-Game zum nächsten Film der Canal+-Gruppe entwickeln wird.

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Aber auch die Vergangenheit gewährt Einblicke in die Denkweise Vivendis. 2007 übernahm der Konzern Activision Blizzard, nur um sich in 2013 wieder von dem Großteil der Aktien zu trennen. Man wollte sich wieder mehr auf das Kerngeschäft, Musik und Film, konzentrieren, hieß es damals. Wie gut oder schlecht es den Activision Blizzard-Mitarbeitern ging, wissen wir nicht. Der Output stimmte jedenfalls. Die Call of Duty-Reihe fuhr weiter Gewinne ein, Skylanders stampfte das Toy-to-Life-Genre eigenhändig aus dem Boden und mit einem 10-Jahres-Deal mit Bungie gelang Activision Blizzard eine der größten Überraschungen der jüngeren Videospielgeschichte. Das Ergebnis des Mammutdeals: Destiny. Mittlerweile hat sich Vivendi von allen Anteilen gelöst. Ein Schlussstrich unter den Videospielambitionen, hätte man meinen können.

Ubisoft ist aber irgendwie anders.

Ubisoft ist ein franko-kanadisches Unternehmen und damit im Interessenbereich Vivendis. Was Ubisoft aktuell aber besonders spannend macht, ist der Eintritt in das TV- und Filmgeschäft. Ubisoft Motion Pictures wurde zu diesem Zweck unter CEO Gérard Guillemot, ein weiterer Guillemot-Bruder, gegründet. Mit Rabbids Invasion lieferte man auch schon die erste und durchaus erfolgreiche TV-Serie ab, eine zweite Staffel soll folgen. Der große Name ist aber natürlich Assassin’s Creed. Kaum eine andere Videospielverfilmung birgt solch ein Potenzial in sich und kann mit dem Namen Michael Fassbender auftrumpfen. Eigentlich eine perfekte Möglichkeit für Vivendi, das komplette Synergiepotenzial auszuschöpfen. Film, TV-Serie, Soundtrack, Mobile-Game, Konsolenspiel, Rechteverkauf. Alles unter einem Dach. Mit Vivendi könnte sich Assassin’s Creed zu einer riesigen Marke der Unterhaltungsindustrie entwickeln. Splinter Cell, The Division, Watch Dogs und andere könnten folgen. Die Ironie an Ubisofts Filmambitionen: Kein anderer als Didier Lupfer, Chairman und CEO von StudioCanal, also Vivendi, hilft Ubisoft bei der Übertragung seiner Marken auf die große und kleine Leinwand. Das wissen die Aktionäre natürlich. Denn wo Potenzial ist, lässt sich potenziell auch mehr Geld machen.

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Das alles ist sehr spannend und außerordentlich wichtig. Für die Aktionäre. Videospieler dürfte es objektiv schwer fallen, sich hier eine Meinung zu bilden oder sich überhaupt richtig für das Ergebnis zu interessieren. Die simple Wahrheit ist nämlich, wir wissen einfach nicht, was sich durch eine Übernahme verändern würde. Hieße dies das Ende von kleineren Projekten wie Grow Home, Valiant Hearts oder Child of Light? Wäre Ubisoft für immer dazu verdammt, nur noch Assassin’s Creed/Watch Dogs/Tom Clancy-Spiele abzuliefern? Würden die führenden Entwickler ihren Chef Yves Guillemot folgen und Ubisoft verlassen? Was wir aber mittlerweile sehr deutlich mitbekommen haben: Yves Guillemot möchte die Unabhängigkeit nicht aufgeben. Unmissverständlich ist die Botschaft “We Are Ubisoft”, die das Unternehmen seit der diesjährigen E3 immer wieder in die Welt hinaus brüllt und auch mit Videobotschaften in Social Media verbreitet. In der Hoffnung, dass Fans zur Seite springen, Aktionäre das mitbekommen und dem schnellen Geld von Vivendi die kalte Schulter zeigen. Selbst das lange verloren geglaubte Beyond Good & Evil 2 wird zu diesem Zweck aus dem Reich der (scheinbar?) Toten hervorgerufen.

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Ob das alles helfen wird, bleibt abzuwarten. Am 29. September erst musste sich das Guillemot-Management den Aktionären stellen und erhielt ihr Vertrauen. Die feindliche Übernahme ist damit fürs Erste abgewendet, Vivendi dürfte aber nicht so einfach aufgeben. Was eine Übernahme für den sympathisch-verrückten Publisher bedeuten würde, wir wissen es nicht. Uns bleibt nicht viel mehr übrig, als vom Straßenrand aus zuzuschauen. (kf)

P.S.: Hier die Links zu Vivendis Financial Report H1 2016 und dem Annual Report 2015, aus denen die Bilder stammen.

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