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Kolumne: The E3 of Change

Jede E3 schreibt ihre eigene Geschichte. Trends der Branche, Highlights der Show oder Überraschungen, mit denen niemand gerechnet hatte. Die Messe im Jahr 2015 erhielt dank dem Final Fantasy 7-Remake, The Last Guardian und Shemnue 3 den Titel “E3 of Dreams”. Im Zeitalter von YouTube(rn) übersetzt sich das in zahlreiche “Reaction”-Videos, in denen Leute ihre Reaktionen filmen. Vom komplett neuen Kanal bis zu den Internet-Giganten, alle springen auf das Geschäft mit weit aufgerissenen Mündern und wild umherschwingenden Armen auf. Dieses Genre ist das Fast Food der Video-Generation. Instant Emotions. Kein langer Aufbau, keine Handlung, einfach nur menschliche Reaktionen. Möglichst schrill, möglichst heftig.

So wurden auch 2016 wieder die Kameras aufgestellt, die Münder weit aufgerissen und die Arme heftig durch den Raum geschwungen. Dabei fällt jedoch auf, dass der Funke dieses Jahr nicht so richtig überspringen wollte. Irgendwas fehlt all diesen Reactions, es fehlen die großen Überraschungen. So richtig kann man den wild gestikulierenden Protagonisten dieser Videos ihre Reaktion doch nicht abkaufen. Zu viele Leaks plagten die Industrie vor der Megamesse und so darf 2015 weiterhin den Titel “E3 of Dreams” behalten. Und 2016? 2016 bekommt dafür einen anderen, für die Reaction-Videos dieser Welt gänzlich ungeeigneten, aber umso wichtigeren Titel: “E3 of Change”.

Auf diesen Moment hat Phil Spencer lange gewartet. Endlich kann er eine neue Konsole auf der E3 ankündigen. Die “wahre” Xbox One, die den Codenamen Scorpio trägt. Nicht die Xbox, die spektakulär am Markt vorbeizielte. Sichtlich stolz spricht Spencer von der “mächtigsten Konsole aller Zeiten”, im begleitenden Video betonen Mitarbeiter immer und immer wieder, dass Scorpio für Videospieler konzipiert sei. Ganze 6 Teraflops sind in ihr verbaut. Mit dieser Zahl kann niemand so richtig etwas anfangen, aber 6 Teraflops sind mehr als die 1,84 Teraflops der PS4. Eine Zahl ist viel größer als die andere. Damit können dann doch alle etwas anfangen. Microsoft entschuldigt sich für die DRM-, Kinect und TV-Eskapaden der Vergangenheit und fragt die Spieler, ob sie für den erneuten Kauf einer Xbox bereit sind. Diese Frage begleitet die Industrie seit einigen Monaten und erhitzt die Gemüter. Xbox Scorpio durchbricht alle gängigen Konventionen des Geschäfts und präsentiert sich als iteratives Update. Die klare Trennung von Konsole 1, Konsole 2 und Konsole 3 wird durchbrochen. Vorwärtskompatibilität beschreibt das Konzept treffend, ist aber nicht so knackig. Formulieren wir es kürzer: iPhone-Modell. Da Sony mit der PS4 den gleichen Weg einschlagen möchte, bleibt nicht viel Zeit, um sich an diese neue Konsolenwelt zu gewöhnen. Aber so ist das halt mit Veränderung. Lange fragt man sich wo sie eigentlich bleibt und plötzlich steht sie vor der Tür.

Ubisoft hat für den E3-Auftritt wirklich Lob verdient. Aisha Tyler führt mit ihrem gewohnten Wortwitz durch die schrille Show, die mit tanzenden Löwen und Giraffen beginnt und mit einer Rede des CEO Yves Guilemot endet, die es in sich hat.

Unsichtbar und doch kaum zu übersehen hängt nämlich das Damoklesschwert der feindlichen Vivendi-Übernahme über all den Akteuren auf der Bühne. Die Übernahme rückt immer näher, die Verteidigung wird immer unwahrscheinlicher. Und so schlägt die Rede über die Freiheit des kreativen Schaffens, Freiheit der Innovation und Freiheit der Spieler gänzlich neue Töne ein für den Jahrmarkt des Marketings. Es geht ums Überleben. Guillemot weiß genau, dies könnte seine letzte E3 als CEO seines Unternehmens sein. Geschlossen mit allen Entwicklern pocht er auf Unabhängigkeit. Eine Kampfansage an Vivendi. Oder wie Aisha Tyler sagen würde: “This is Ubisoft!”

Überraschend wenig Worte verlor Sony. Betont ruhig, betont erhaben präsentierte sich der Marktführer mit einem Live-Orchester. Auch hier sorgen Veränderungen für die Schlagzeilen. God of War und Resident Evil verlassen ihre in die Jahre gekommene Wurzeln mit neuen Perspektiven. Gerade der alte Grieche scheint den Zahn der Zeit getroffen zu haben, knapp 9 Millionen Mal wurde das Video auf YouTube angeklickt. Auch wurde PlayStation VR angesprochen, aber eher als Randnotiz. Dies trifft auf die Messe als Ganzes zu. Irgendwie ist VR das Thema der E3 2016, irgendwie aber auch wieder nicht. Der große Knall blieb aus.

Nintendo? Zelda.

Der unscheinbare Riese erfand seinen E3-Auftritt mal wieder neu. Keine Pressekonferenz, keine Nintendo Direct und keine NX. Stattdessen ein für YouTube und Twitch perfekt geeigneter Stream zu Zelda und einigen anderen Titeln. Eine Open World und Survival-Elemente mögen für viele Spiele keine großen Neuerungen darstellen, für die alteingesessene Serie sind es aber die größten Veränderungen seit ihrem Sprung in die dritte Dimension mit Ocarina of Time im Jahr 1998. Es scheint anzukommen. Binnen fünf Tagen mauserte sich der Trailer zum beliebtesten Video auf Nintendos YouTube-Kanal und gewann mehrere Best of E3-Awards. Zwar brachte Nintendo viel weniger Titel als die Konkurrenz zur Messe, doch lieferte man mit Zelda: Breath of the Wild eines der Highlights der E3.

Abseits der großen Akteure der Branche lassen sich auch Veränderungen der Messe an sich beobachten. Geräumiger wird sie, da immer mehr Namen auf der Liste der Aufsteller fehlen. Disney, EA und Activision fehlen aus unterschiedlichen aber auch einem gemeinsamen Grund; die E3 verliert an Relevanz. Wurde sie ursprünglich ins Leben gerufen, damit die Industrie gemeinsam genug Tamtam für das Interesse der Mainstream-Medien erzeugt, werden heutzutage viele Ankündigungen abseits der Messe getätigt, um ungeteilte Aufmerksamkeit zu erhalten. Die E3 lebt in einem Paradoxon. Auf der einen Seite versucht man im Sturm der Ankündigungen nicht unterzugehen, auf der anderen Seite könnte man den Sturm auch einfach ignorieren. Was gibt es schon zu gewinnen auf der E3? E3-Awards, die spätestens beim Erscheinen des Spiels in Vergessenheit geraten? Reaction-Videos, statt derer man auch gleich Let’s Player für das Vorspielen der eigenen Produkte bezahlen könnte? Unaufhaltsam breitet sich die Frage unter den Publishern aus, ob sich die E3 eigentlich noch für sie lohnt. Für Sony war die “E3 of Dreams” ein voller Erfolg, ein weitere Feelgood-Story in der Geschichte der PS4, aber selbst Sony könnte von heute auf morgen der E3 den Rücken kehren und sich auf Fan-Events und Pressetermine konzentrieren.

Am Ende des Tages werden es wohl diese Fans sein, die der E3 neues Leben einhauchen. Zum ersten Mal in der Geschichte der E3 wurden in 2016 im Rahmen eines Fan-Events die Türen für die Allgemeinheit geöffnet.

Aber so ist das halt mit Veränderung. Lange fragt man sich, wo sie eigentlich bleibt und plötzlich steht sie vor der Tür. Buchstäblich.

Konstantinos Fotopoulos

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