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Kolumne: Game Pass 2.0 – Läutet Microsoft die Zukunft ein?

“Microsoft mit großen Signalen für die Zukunft”. So begann ich meine Vorhersagen für Microsoft 2018 in meiner entsprechenden Kolumne. Tja. Die Signale kamen früher als gedacht und sie kamen heftiger als gedacht. In einer simplen Pressemeldung hat Microsoft nichts weniger als die Zukunft eingeläutet.

Das Geschäftsmodell einer neuen Generation

Wie viele Abos besitzt ihr mittlerweile eigentlich? PS+ oder Xbox Live Gold ist für Online-Multiplayer eh Pflicht, Spotify für Musik, Netflix für Filme, Sky oder den Eurosport Player für Sport, Amazon Prime für Amazon, Office 365 für Office, Humble Bundle Monthly für PC-Spiele, EA Access, Abos für Zeitungen oder Zeitschriften und und und. Immer mehr Abos haben es in unser Leben geschafft und sind mittlerweile selbstverständlich für eine ganze Generation geworden. Einzelne Lieder oder Alben kaufen? Für viele unvorstellbar.

Ebenfalls unvorstellbar: Alle neuen Microsoft-Spiele zum Launch für 10 Euro im Abo. Warum auch? Halo-Fans gibt es immer noch genug. Die kaufen sich das Spiel zum Launch für 60 Euro. Oder noch besser gleich die Special Edition mit Figur für 100 Euro. Warum also auf dieses Geld verzichten? Gleiches gilt für Gears of War und Forza. Warum genau die falsche Lehre aus dem Consumer Relationship Management (http://mag.shock2.info/kolumne-sparwahn-die-gefahren-von-sales/) ziehen und den besten Fans einen riesigen Rabatt gewähren?

Microsoft traut sich

All diesen befundeten Weisheiten zum Trotz: Microsoft bietet mit dem Update für den Game Pass genau dies an. Zahle 10 Euro im Monat und erhalte neben den schon enthaltenen Spielen auch Zugang zu allen neuen Microsoft-eigenen Spiele. Zum Launch. Ohne Wenn und Aber. Halo, Gears of War, Forza, Sea of Thieves und was auch immer noch so kommen mag. Das sitzt. Es widerspricht allem, was wir über die Industrie in all den Jahren gelernt haben oder gelernt haben wollen. Videospielentwicklung kostet sehr viel Geld und ist sehr riskant. Daher war und ist der Releasetag auch so wichtig, denn er spült relativ sichere 60 Euro multipliziert mit der verkauften Menge in die Kassen ein. Natürlich schrecken diese 60 Euro aber auch sehr viele potentielle Kunden ab, also warten diese auf eine Preissenkung oder sehen sich im Gebrauchtmarkt um. Genau das möchte Microsoft nun mit Game Pass verhindern.

Wir sind nicht Microsoft und wir kennen die genauen Microsoft-Zahlen nicht, daher ist die Suche nach den Beweggründen für diesen mutigen Schritt nicht leicht. Wir wissen, dass die Erlöse aus digitalen Spielen und besonders aus In-App-Purchases (IAP) wie Lootboxen und Ähnliches industrieweit steigt. Immer mehr Kunden kaufen sich Spiele also digital und sind dazu bereit, mehr Inhalt für diese Spiele zu kaufen. Das dürfte ja auch der Beweggrund hinter Game Pass gewesen sein. Vielleicht hat Microsoft erkannt, dass der durchschnittliche Kunde nur sehr wenige Spiele im Jahr kauft. FIFA/Madden, Call of Duty, ein neues Rockstar-Spiel und Überraschungshits wie Rainbow Six Siege. Statt nun neben diesen großen Namen nun noch Halo und Experimente wie Sea of Thieves verkaufen zu wollen, wäre ein Abo hier sinnvoller, dürfte sich Microsoft denken. Halo ist zwar immer noch ein großer Name, mit der immensen Markenpräsenz der Vergangenheit hat der Master Chief von heute aber nicht mehr viel gemein. Und für den Multiplayer-Titel Sea of Thieves, einer komplett unbekannten weil neuen Marke des Entwicklers Rare, kann das Abo nur hilfreich sein. So verliert man vielleicht von vielen Kunden die 60 Euro zum Launch, aber wie viele Kunden wären das schon gewesen? Die allergrößten Fans werden sich womöglich auch weiterhin die Special Edition für 100 Euro kaufen. Sonst wären sie ja nicht die allergrößten Fans.

Mögliche Konsequenzen

Seine exklusiven Spiele im Rahmen so eines Abos anzubieten, bricht mit dem Geschäftsmodell, das sich die Industrie über Jahrzehnte aufgebaut hat. Das muss Konsequenzen für das Geschäft, aber auch für die Spiele nach sich ziehen.

Wie designt man ein Spiel von dem man weiß, dass Kunden es für 10 Euro als Teil eines Abos mit ganz vielen anderen Spielen “gekauft” haben? Der erste Gedanke geht in eine deutliche Richtung: Service Games. Kunden könnten ja für das neue Halo 6 ein Abo abschließen abschließen, die Kampagne durchspielen, etwas vom Multiplayer spielen und das Abo danach sofort wieder kündigen. Genau das gilt es zu verhindern. Stattdessen sollen die Kunden das Abo einfach weiter laufen lassen, ob sie es nun verwenden oder nicht. Bestenfalls sollen sie gleich blind für 12 Monate vorkaufen. Demnach müssen sie möglichst lange bei der Stange gehalten werden, was übersetzt ständig neue Inhalte, Modi und Funktionen bedeuten muss. Große Singleplayer-Spiele wie God of War wären im Abo also wenig sinnvoll. Jedoch passt es perfekt in Microsofts Output der letzten Jahre. Warzone in Halo 5, Horde in Gears of War, Sea of Thieves, DLC in Forza und natürlich überall Lootboxen. So eine Lootbox wirkt plötzlich viel einladender, wenn man das Spiel nicht für 60 Euro kaufen musste.

Gleichzeitig bietet das Abo auch die Chance für Experimente. Das beste Beispiel ist auch gleich das erste Spiel, das mit Game Pass zum Launch verfügbar sein wird. Sea of Thieves hat zwar Rare als Entwickler, was bei vielen Spielern immer noch Nostalgie auslöst, mit einem allzu großen Verkaufserfolg dürfte Microsoft aber von Anfang an nicht gerechnet haben. Dieser ist aber zwingend notwendig, da Sea of Thieves als eine lebendige Multiplayer-Welt geplant ist. Ohne Spieler geht hier nix. Dank Game Pass ist die 60 Euro-Hürde für neue Spieler dahin. Ähnlich dürfte es sich bei neuen Spielen mit kleineren Budgets verhalten, bei denen große Verkaufserfolge ebenfalls unrealistisch gewesen wären. Hier gibt es also viel Potenzial für Experimente und Kooperationen mit anderen Publishern, denn Microsoft als Entwicklerstudio ist immer noch auf einige wenige Hauptmarken ausgelegt. Aber wie wäre es zum Beispiel mit der Rückkehr von Blue Dragon oder Lost Odyssey? Als 60 Euro-Spiele dürfte Microsoft aufgrund der eigenen Shooter-orientierte Zielgruppe wenig Interesse an diesen Titeln haben. Aber als Staffeln für Game Pass? Staffel 1 erscheint, wenn das Feedback gut genug ist, erscheint Staffel 2 einige Zeit später. Ähnliches ließe sich auch mit der Kampagne von Halo 6 machen, um Spieler zum mehrmaligen Abonnieren zu motivieren. Wenn man schon dazu bereit ist, sich von den 60 Euro zum Release zu trennen, dann hat man doch sicherlich auch den Mut für solche Experimente.

Wie reagiert der Markt?

Tja, das ist die große Frage. Der neue Game Pass ist hoch interessant. Mit 10 Euro pro Monat, also 120 Euro im Jahr (sollte der Preis im Laufe des Jahres nicht steigen), erhält man hier alle Microsoft-exklusiven Spiele des Jahres zum Preis von zwei Vollpreisspielen. Spitzendeal für Spieler, die sich mit Recht darüber freuen dürfen. Wer sich darüber überhaupt nicht freut, und das ebenfalls mit Recht, ist der Handel. Dieser “darf” nun die Xbox One, die wie andere Konsolen beim Verkauf ohnehin kaum Marge bringen, im Lager halten und an Kunden verkaufen und bekommt am Ende auch noch kein Geld aus dem Spieleverkauf mehr. “Kein” in Anführungsstrichen. Denn natürlich wird Halo auch weiterhin noch zum Launch ganz normal im Laden verfügbar sein, wobei hier die Preisentwicklung von nun an besonders spannend sein wird. Aber wie viele Verkäufe gehen nun durch Game Pass verloren? Das weiß Microsoft nicht, das wissen die Händler nicht, das wissen wir auch nicht. Was die Händler aber jetzt schon wissen, ist, dass ihr ohnehin schon schwieriges Leben durch den neuen Game Pass noch mehr erschwert wird. Warum kostspieligen Lagerplatz für die Xbox One aufwenden, wenn Microsoft ganz offensichtlich den Handel mit Game Pass untergraben möchte? Dass der Händler gameware.at hier reagiert, indem er die Xbox One kurzerhand aus dem Sortiment streicht, ist daher nicht verwunderlich. Andere Händler dürften aktuell ähnliche Ideen haben. Schon Sonys Versuch mit der PSP Go, ein Handheld ohne Laufwerk für physische Medien, wurde von vielen Händlern schlicht boykottiert. Vielleicht erleben wir hier nur den Kampf Quijotes gegen die Windmühlen erneut. Der digitale Wandel scheint unaufhaltsam, also könnte dieser Boykott auch ins Leere führen und das Ende der Händler schon längst besiegelt sein. Das mag sein, aber natürlich steht es den Händlern frei, auf den neuen Game Pass ihrerseits zu reagieren.

Ungewisse Zukunft

Doch was wird die Zukunft bringen? Ist Game Pass der erste Schritt in eine Zukunft ohne Xbox-Hardware, wie Christopher Dring von gameindustry.biz vermutet? Dieser Schluss ist durchaus verständlich. Nicht umsonst spricht Spencer schon jetzt über einen neuen Streamingdienst, der es erlauben soll, Spiele ohne Xbox-Hardware abspielen zu können Das muss aber trotzdem nicht gleich das Ende der Xbox bedeuten, denn bei allen Zukunftsvisionen darf man nicht vergessen, wie wichtig physische Medien heutzutage immer noch sind. Data Caps, also eine Datenobergrenze, gibt es in vielen Teilen der Welt und viel zu langsames Internet sowieso. Nicht zu vergessen das Fallen der Netzneutralität in den USA und die aktuellen Bestrebungen zur Regulierung von Mikrotransaktionen. Beides Entwicklungen, die weitreichende Folgen für die Videospielindustrie haben dürften. Sollte all das bewältigt sein, wäre der Weg für eine Zukunft ohne Hardware offen, die Microsoft mit der Expertise rund um Cloud und Software in die Hände spielen würde. Bis dahin können sich Spieler auf mehr Optionen beim Erwerb von Microsoft-exklusiven Spielen freuen. Ein weiterer konsumentenfreundlicher Schritt, um die Marke Xbox vom herben Imageverlust nach dem gescheiterten DRM-Versuch wieder aufzubauen und für die Zukunft fit zu machen. Für die einen ist Game Pass damit ein zukunftsorientierter, ein mutiger und im Endeffekt genau der richtige Schritt, um sich an den modernen Markt anzupassen und für die Zukunft zu wappnen. Andere nennen den neuen Game Pass eine Verzweiflungsaktion des deutlichen Verlierers des Konsolenrennens mit dem Hauptkonkurrenten Sony. Wie man dazu auch stehen mag, eines ist der neue Game Pass definitiv: spannend.

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