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Halloween-Kolumne: Die Fliege vs. Franz Kafka

Oft wurde ich in den letzten Tagen gebeten, für diverse Halloween-Filmabende entsprechende Empfehlungen auszusprechen. „Was ist der krasseste Horrorfilm den du kennst?“, „Kennst du einen Film wo so richtig krasser Shit passiert?“ und Fragen dieser Art kommen mir dann gern mal unter. Natürlich soll ein Horrorfilm schon ein bisschen „krass“ sein. Schockfaktor ist für dieses Genre so wichtig wie die Butter für das Brot. Aber würde man mich schlecht kennen, wenn man wirklich denkt, ich könnte mich damit zufrieden geben. Glücklicherweise kann ich dennoch ein paar Filme empfehlen, die ihren Ansprüchen gerecht werden UND darüber hinaus sogar noch gewissen filmischen Anspruch mitbringen. Mein absoluter Lieblings-Horrorfilm ist übrigens Das Ding aus einer anderen Welt. Doch da gibt es noch einen weiteren Horror-Klassiker aus den 80ern, der auch fast 30 Jahre später mit neuster digitaler Filmtechnologie mithalten kann. Die Rede ist selbstverständlich von David Cronenbergs Hit Die Fliege.
tumblr_mwz79ntqXP1qa3nkyo1_500Doch zählt dieser Film nicht nur durch seiner phantastischen Machart zu meinen absoluten Horror-Favoriten, auch die unverkennbaren Parallelen zu einem Werk eines der (für mich) wichtigsten Schriftstellern aller Zeiten, machen Die Fliege zu etwas ganz besonderem. Für diesen Film bediente sich David Cronenberg (Videodrome, eXistenZ) nämlich sicherlich ganz bewusst bei Franz Kafkas „Die Verwandlung„. Wie und warum das so exzellent zusammen passt, erkläre ich euch hier!
Die Fliege von David Cronenberg aus dem Jahr 1986 ist, wie auch schon John Carpenters Das Ding aus einer anderen Welt von 1982, eines der wenigen Remakes (das Original von Die Fliege erschien 1958), die ihre Vorlage in allen Belangen überflügeln konnten. Nicht nur schafft das man es, aus der Anhäufung von Horrorfilm-Klischees und dem Melodrama des Originals eine viel tiefschürfendere Erfahrung zu destillieren – auch im Bereich der Effekte überzeugte man Mitte der 80er Jahre mit so markerschütternden Make-Up Tricks, dass selbst die Academy gezwungen, war den Film zu ehren. Im selben Jahr verliehen diese nämlich für die im Film zu sehenden Effekte einen Oscar für das beste Make-Up an den zuständigen Make-Up Artist Chris Walas (der später übrigens auch das Aussehen der Gremlins erdachte und beim Kreaturendesign von Star Wars – Die Rückkehr der Jedi-Ritter beratend zur Seite stand).
Im Film geht es, um es in groben Zügen zu umschreiben, um einen leicht zerstreuten aber sympathischen Wissenschaftler namens Seth Brundle, gespielt von Jeff Goldblum (Independece Day, Jurassic Park), der eine Maschine konzipiert, die es ermöglicht, Dinge von einen Ort an einen anderen zu teleportieren. Mit diversen Gegenständen gelingt der Vorgang auch stets einwandfrei, lebende Testobjekte werden zunächst bei jedem Versuch quasi „auf Links“ gezogen, sodass sich ihre Innereien nach außen kehren – was natürlich zum Tod des Testobjekts führt. Des Rätsels Lösung auf der Spur verbessert er den Vorgang weiter und versucht eines Nachts, getrieben von Liebeskummer, Hochmut und Alkoholeinfluss, sich selbst zu teleportieren. Zunächst scheint dieser Versuch auch erfolgreich verlaufen zu sein, jedoch bemerkt Seth schnell kleinere Veränderungen an seinem Körper und in seiner Wahrnehmung. Was er nämlich beim Teleportationsversuch nicht bemerkte: eine Stubenfliege verirrte sich mit ihm in die Maschine, was dazu führte, dass sich die DNA der beiden Lebenwesen kreuzte. Ganz nach Filmlogik transformiert sich Seth nun immer weiter und immer aggresiver in eine riesige, lebensgroße Insektenkreatur.
Die Geschichte, welche zunächst natürlich stark nach „B-Movie“ klingt, wird von Regisseur David Cronenberg allerdings mit viel Bedacht und Augenmerk auf Charaktere erzählt, sodass es dem Zuschauer nie egal ist, was als nächstes passiert. Man will eigentlich auch gar nicht, dass sich irgendeine der lieb gewonnenen Figuren in ein scheußliches Monster verwandelt. Auch das offensichtlich unausweichliche, tragische Ende unserer Hauptfigur wird eine emotionale Reaktion in den Zuschauern auslösen, die unerwarteter gar nicht sein könnte.
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All dies erinnert erschreckend an mein Lieblingswerk des deutschsprachigen Schriftstellers Franz Kafka. Die Rede ist von seinem 1912 geschriebenen Erzählung „Die Verwandlung„, in welcher ein junger Mann namens Gregor Samsa eines Morgens in seinem Bett aufwacht und bemerkt, dass er sich verändert hat. Er erkennt, dass er zu „einem ungeheueren Ungeziefer verwandelt“ wurde. Kafka erklärt hier zwar nicht, wie genau diese Metamorphose so plötzlich geschehen konnte, nutzt jedoch diese Metapher der Entmenschlichung mit so geschickter Wortwahl, dass man trotz der Ekel erregenden Schilderungen des Insektes in Menschengröße tiefes Mitgefühl mit Gregor empfindet.
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Hier finden sich natürlich direkt die oberflächliche Ähnlichkeit, dass es hier um zwei gute Männer geht, denen die Transformation in ein riesiges Insekt einen großen Strich durch die Zukunftsplanung macht. Beide Männer verwandeln sich in riesige, ekelhafte Monster, welche jedoch zunächst an ihrer Menschlichkeit im Geiste festhalten können. Beide entfernen sich im Verlauf ihrer Geschichten jedoch schlussendlich trotzdem Schritt für Schritt immer weiter von ihrer Menschlichkeit (In Die Fliege sehen wir neben der physischen Transformation auch Veränderungen in Seths Verhalten gegenüber anderen Menschen – In Die Verwandlung lesen wir beispielsweise, wie Gregor lieber verrottetes Essen zu sich nimmt, als Frisches). Doch auch am Ende gibt es entscheidende Gemeinsamkeiten.  Beide Männer entscheiden sich nämlich am Schluss der Erzählungen für den Tod, da sie ihr unwiderrufliches Dasein nicht als verstoßene, scheußliche Kreaturen fristen wollen.
Natürlich sind diese Parallelen nicht zufällig entstanden. Die Macher von Die Fliege wussten selbstverständlich, wie sehr ihr Werk an das von Franz Kafka erinnert. So zitiert der bereits in seiner Metamorphose weit fortgeschrittene Seth sogar Kafkas Geschichte. Als er sich vermeintlich endgültig von seiner Freundin verabschiedet, tut er dies mit folgenden Worten aus „Die Verwandlung„:
„Ich will damit sagen, ich bin ein Insekt, dass davon geträumt hat, ein Mann zu sein. Das geliebt hat. Doch nun sind die Träume vorbei… und das Insekt ist wach.“ 
 Selbstverständlich gibt es zwischen beiden Geschichten auch große Unterschiede. Die Verwandlung ist möglicherweise als Metapher dafür zu sehen, wie sehr seine Familie den jungen Gregor missbrauchten und wie ein Tier behandelten (auch schon, als er noch wie ein normaler Mensch aussah), wohingegen Die Fliege möglicherweise unterschwellige Kommentare zur damalig frisch aufgekommenen AIDS-Epidemie machte und möglicherweise auch als Analogie für Drogenmissbrauch verstanden werden könnte, da Seth im Film eine ganz ähnliche Reise durchmacht (zunächst gefällt ihm die Veränderung – sie macht ihn augenscheinlich euphorischer, leistungsfähiger und fitter, jedoch zerstört sie seinen Körper im weiteren Verlauf der Geschichte). Auch seine Obsession mit der Maschine und die darunter leidende Beziehung zu seiner Freundin, scheinen eine klare Sprache zu sprechen.

Beide Geschichten sind meiner Meinung nach auf ihre eigene Weise unfassbar sehens- bzw. lesenswert und sollten von euch unbedingt mal unter die Lupe genommen werden (Für alle, die zu cool für Bücher sind, können übrigens hier ein erstaunlich gutes Hörbuch von Die Verwandlung finden). Gerne gebe ich auch weitere Empfehlungen über Franz Kafkas Werke ab, da es meiner Meinung nach seit über einhundert Jahren kein Schriftsteller mehr geschafft hat, die deutsche Sprache so wunderschön zu verwenden wie er.

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