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Game-Review: Broken Age (1. Akt)

Kaum zu glauben, aber es ist schon wieder knapp zwei Jahre her, seit Tim Schafer mit einem Spiel mit dem Projekttitel „Double Fine Adventure“ auf Kickstarter um Geldgeber warb. Was dann geschah, ist definitiv einen Eintrag in die Annalen der Spielegeschichte wert: Die 400.000 Dollar, die er benötigte, um das Projekt zu finanzieren, kamen innerhalb weniger Stunden zusammen, und nach einem Monat – dem Ablauf der Finanzierungsfrist – standen 3,3 Millionen Dollar für das Projekt, dem später der Name „Broken Age“ gegeben wurde, zur Verfügung. Was folgte? Einerseits eine gewaltige Nachahmerwelle auf Kickstarter, denn plötzlich war Crowdfunding für Spiele, denen Publisher auf dem Markt keine Chance gaben, salonfähig geworden. Andererseits begann aber auch für Tim Schafer und sein Entwicklerstudio Double Fine die Entwicklung des Titels, denn immerhin wollte man das zusätzliche Geld auch sinnvoll einsetzen.

Und hier kam es schlussendlich zu Problemen: Aus dem kleinen Adventureprojekt, das mit wenig Kapital realisiert werden hätte können, wurde dank der zusätzlichen Mittel ein größeres Unterfangen, das irgendwann zu groß wurde und bis zur Fertigstellung – der ursprünglich genannten Release im Oktober 2012 war damals schon längst verstrichen – noch wesentlich länger gebraucht hätte, was wiederum den Finanzrahmen gesprengt hätte. Warum wir euch das erzählen? Ganz einfach: Weil es der Grund ist, warum die Backer seit kurzem (alle anderen in knapp einer Woche) nur die Hälfte von Broken Age in den Händen halten, denn das Spiel wurde einfach in der Hälfte geteilt, um so die Fertigstellung zu beschleunigen und noch ein wenig zusätzliches Kapital in die Kassen zu spühlen. Dennoch hat sich knapp vor Release dennoch etwas verändert, was der Grund ist, warum ihr hier nicht etwa ein kleines Hands-on oder ein Preview lest: Aus der ursprünglich angekündigten Beta via Steam Early Access wurde mittlerweile ein handfester Release mit Season Pass-Modell – sprich, der 1. Akt kommt in dieser Form hochoffiziell als „fertig“ in den Handel und die 2. Hälfte folgt im Laufe des Jahres. Und das ist Grund genug, an dieser Stelle die Geschichtsstunde hinter uns zu lassen und die eine Frage zu stellen, die wirklich relevant ist: Kann Tim Schafer mit Broken Age an seine früheren Adventure-Erfolge (Stichwort: Day of the Tentacle, Full Throttle oder Grim Fandango) anknüpfen oder sind die Hoffnungen aller Backer auf eine neue Blüte des Genres vergebens gewesen?

Die Optik erinnert ein wenig an ein Kinderbuch.
Die Optik erinnert ein wenig an ein Kinderbuch.

Zwei verschiedene Welten …
Broken Age erzählt die Geschichte von zwei jugendlichen Protagonisten in völlig unterschiedlichen Welten. Vella, das Mädchen, lebt im Zuckerdosendorf, während Shay, der Junge, in einem Raumschiff durchs All reist. Beide sind sich noch nie begegnet und tatsächlich bleibt bis zum Ende des ersten Aktes unklar, wie (und ob) ihre beiden Geschichten zusammenhängen. Dennoch drehen sich ihre Storys um gemeinsame Themen, wie zum Beispiel die Tatsache, dass man irgendwann sein Leben in die Hand nehmen und eigene Entscheidungen treffen muss. Gerade bei Vella ist diese Entscheidung lebenswichtig: In ihrer Welt gibt es ein geheimnisvolles Wesen namens Mog Chothra, dem regelmäßig die Dörfer des Landes Opfergaben bringen müssen, um es friedlich zu stimmen. Dabei geht es aber natürlich nicht um Schmuck oder andere Wertgegenstände, denn das Monster hat Heißhunger auf die Jungfrauen des Dorfes – und ausgerechnet Vella soll als eine von ihnen als Monsterfutter enden. Während andere Mädchen das auf eine seltsame Art als Ehre sehen, ist unsere Protagonistin allerdings nicht bereit, einfach ihr Leben hinzugeben. Deshalb kommt es, wie es kommen muss: Nach einer atemberaubenden Flucht überlegt sie, wie sie das Monster ein für alle Mal besiegen kann. Von einem derart aufregenden Leben kann Shay hingegen nur träumen: Er ist der einzige Mensch an Bord seines Raumschiffs, das schon sein ganzes Leben seine Heimat darstellt. Sein Leben besteht daraus, von der KI des Schiffes übermäßig bemuttert (sprich: wie ein Kleinkind behandelt) und auf „spannende“ Einsätze geschickt zu werden, in denen Lebensgefahr ein Fremdwort ist, Angriffe vor allem kuschliger Natur sind und selbst gefährliche Lawinen aus wohlschmeckendem Speiseeis bestehen. Doch als er sich gegen den Alltagstrott zur Wehr setzt und ausbricht, gelingt ihm ein Blick hinter den Schleier seiner behüteten Kindheit – und er beginnt, seinem Leben einen Sinn zu geben …

Einer Speiseeislawine kann man leicht beikommen - mit dem richtigen Werkzeug, zumindest.
Einer Speiseeislawine kann man leicht beikommen – wenn man das richtige Werkzeug dabei hat.

… zwei Stile
Die Ankündigung eines Spiels mit zwei Protagonisten in zwei verschiedenen Welten ließ bei einigen Adventureveteranen die Vorfreude auf ein Spiel mit einem ähnlichen Prinzip wie Day of the Tentacle aufkommen – könnte ein umgelegter Schalter bei Shay eine Tür bei Vella öffnen? Eine Tat im Zuckerdosendorf Auswirkungen auf das Raumschiff haben? Zumindest im ersten Akt ist diese Frage eindeutig mit „Nein“ zu beantworten. Zwar könnt ihr jederzeit mittels eines Buttons in eurem Inventar zwischen den beiden Protagonisten wechseln, aber wer will, kann eine Geschichte zum momentanen Finale bringen, ohne die andere Story überhaupt begonnen zu haben – einen notwendigen Grund, innerhalb der Handlung zwischen den beiden Erzählsträngen zu wechseln, gibt es nämlich nicht. Dennoch kann es eine nette Abwechslung sein, denn die Abenteuer von Vella und Shay unterscheiden sich im Aufbau deutlich: Während die Geschichte unserer Heldin eher wie ein Episodenadventure inszeniert ist, bei dem man eine Aufgabe in einem kleineren Gebiet erledigt, bevor man weiterzieht, bekommt unser Raumfahrer schon bald mehrere Aufgaben gleichzeitig und Zugang zum ganzen Schiff – die Reihenfolge, in denen er die Rätsel löst, bleibt somit ihm überlassen.

Herausforderung gesucht …
Rätsel ist auch ein gutes Stichwort, denn immerhin handelt es sich bei Broken Age um ein Adventure. Das Spiel folgt anders als z.B. die jüngsten Telltale-Titel ganz klar den klassischen Point’n’Click-Konventionen und kann vollständig mit der Maus gesteuert werden. Eine Befehlsauswahl, wie wir sie aus den klassischen Adventures kennen, gibt es allerdings nicht: Normalerweise bestimmt ein Mausklick, wo unsere Figur hingeht, verwandelt sich der Mauscursor in ein „Interagieren“-Symbol, bestimmt das Spiel, was unser Protagonist damit anstellt, und wollen wir einen Gegenstand aus dem Inventar verwenden, ziehen wir ihn einfach auf die passende Stelle. Nach diesen Punkten müsst ihr allerdings selbst suchen, denn die heute schon genreübliche Hotspot-Anzeige, mit der auf Tastendruck alle interessanten Punkte in einem Raum angezeigt werden, fehlt. Allerdings störte uns das in unserem Test nur kurz – Double Fine hat zum Glück auf winzige Hotspots verzichtet und auch wenn man manchmal das beklemmende Gefühl hat, etwas zu übersehen, haben wir nur selten ein Objekt irrtümlich liegen gelassen. Vermutlich ist es aber auch ganz gut, dass man uns das Vorankommen nicht noch leichter macht, denn leider ist der erste Akt von Broken Age kein allzu langes Vergnügen: Knapp unter vier Stunden benötigten wir, um sowohl Vella als auch Shay beim ersten Anlauf ans vorläufige Ende unserer Reise zu bringen. Das liegt vor allem daran, dass die meisten Rätsel im Vorbeigehen zu lösen sind – wer alle Items einsammelt. alle Gespräche führt und ein wenig im Hinterkopf behält, was welche Figur benötigt, kann beinahe alle Rätselnüsse ohne viel Aufwand knacken. Echtes „um die Ecke denken“ ist kaum vonnöten, dafür tappt Broken Age immerhin auch nicht in die Falle, unlogische Aktivitäten von uns zu verlangen.

Die Nebencharaktere sind allesamt ziemlich abgedreht - leider gibt man ihnen zu wenig Raum, um das auch ordentlich zu zeigen.
Die Nebencharaktere sind allesamt ziemlich abgedreht – leider gibt man ihnen zu wenig Raum, um das auch ordentlich zu zeigen.

… Humor geboten!
Dass es dann doch nicht ganz so simpel zugeht, haben wir dem typischen Tim Schafer-Humor zu verdanken, der die gesamte Spielwelt mit verrückten Charakteren (die allerdings im Storyverlauf bislang ein wenig zu kurz kommen) und abgedrehten Konzepten vermischt. Das sorgt nicht nur für einige herzhafte Lacher, sondern auch dafür, dass man sich zumindest darauf einlassen muss, diese interne Logik der Spielwelten ein wenig zu verinnerlichen, um voranzukommen. Dieser eigene Stil zieht sich aber natürlich auch in die Optik des Spiels, die mit stilisierten Charakteren und Umgebungen arbeitet und so ihren ganz eigenen (wenn auch ein wenig arg kindlichen) Charme ausstrahlt. Natürlich wäre technisch mehr drin gewesen und gerade manche Hintergründe haben einen gewissen „unfertigen“ Look, aber im Endeffekt wächst einem der Stil ans Herz. Großes Lob gibt es dafür für den Sound: Die orchestrale Musik und die (ausschließlich englischen) Synchronsprecher können auf ganzer Linie punkten.

Review Overview

Wertung - 8

8

(noch) kein Klassiker

Broken Age ist ein liebenswertes kleines Adventure mit einem großen Problem: der großen Erwartungshaltung, die dem Spiel schon seit seiner Ankündigung auf Kickstarter umgehängt wurde. Dieses Spiel ist es, das für die Demokratisierung der Spieleindustrie stehen und beweisen soll, das wir Spieler eben am besten wissen, welche Spiele wir sehen wollen; dieses Spiel ist es, das in der großen Tradition der LucasArts-Adventures steht und dort anknüpfen soll, wo Grim Fandango aufgehört hat; und nicht zuletzt ist es jenes Spiel, in das 87.000 Gamer investiert haben und damit genau jenes Spiel bekommen wollen, das sie sich vorgestellt haben. Fakt ist wohl: Diesen großen Erwartungen kann kein Spiel jemals gerecht werden und die ersten Reaktionen der Backer, die „ihr“ Spiel nun zum ersten Mal in den Händen halten, sprechen Bände darüber. Aber schafft man es, die hohen Erwartungen abzulegen, sieht man ein liebenswertes, abgedrehtes Adventure, das eher in der Tradition der früheren Double Fine-Produkte steht und in dem Tim Schafer einmal mehr zeigen kann, was für einen eigensinnigen Humor er besitzt und welche Qualitäten er als Geschichtenerzähler hat. Broken Age ist kein neues Monkey Island, kein Sequel zu DotT oder Full Throttle, es ist ein völlig eigenständiges Spiel, das mit einer gewissen märchenhaften Leichtigkeit und einer ordentlichen Portion Humor an eine zum Nachdenken anregende Geschichte herangeht und dabei zwei eigentlich völlig verschiedene Erzählstränge mit einem gemeinsamen Thema verknüpft. Keine Kritik also? Doch, natürlich: Die Spielzeit ist zwar eigentlich in Ordnung (vor allem, wenn man bedenkt, dass man ja momentan nur das halbe Spiel gesehen hat), aber die Puzzles hätten schon ein wenig knackiger ausfallen können. Bis auf ein, zwei kleinere Hänger war unsere Testsession nämlich fast ein Durchmarsch durch das Spiel. Hier wünschen wir uns für den 2. Akt eine Steigerung im Schwierigkeitsgrad, genauso wie ein wenig mehr Raum für die Nebencharaktere und die Konzepte der Welt – und dass die zweite Episode nicht zu lange auf sich warten lässt, denn der Cliffhanger am Ende lässt uns auf eine spannende Auflösung hoffen. Und wer weiß - vielleicht kann Broken Age dann als Gesamtpaket doch noch in den richtigen Klassikerrang aufsteigen ...

Florian Scherz

Bereits früh entwickelte Florian zwei große Leidenschaften: Videospiele und Theater. Ersteres brachte ihn zu einem Informatikstudium und zu Jobs bei consol.MEDIA und Cliffhanger Productions; zweiteres lässt ihn heute (unter anderem) als Schauspieler, Regisseur, Komponist und Lichtdesigner arbeiten. Wenn er gerade keine Musicals inszeniert, spielt oder schreibt, vermisst er auf Shock2 Videospiele von anno dazumal in seiner Blog-Reihe "Spiele, die ich vermisse".

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