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Ego-Shooter als Sündenbock

Eigentlich sollte man glauben, Diskussionen über Gewalt in Videospielen und die vermeintliche, daraus resultierende Gefahr für unsere Gesellschaft, ist in einer aufgeklärten, an empirischen Daten interessierten Gesellschaft ein Ding der Vergangenheit. Nach den tragischen und menschenverachtenden Bluttaten der jüngsten Vergangenheit dauerte es allerdings erstaunlicherweise nicht lange, bis die Begriffe „Ego-Shooter“, „Killerspiele“ und „Counter-Strike“ gefallen sind. Hat es aktuell aber auch in der Vergangenheit laut Meinung von Ermittlern, Politikern und einer handvoll Psychologen eine Konstante bei vielen Amokläufern und Selbstmordattentätern gegeben: Sie alle spielten Videospiele, in denen Gewalt vorkam.

Wie schnell, oft und in welch unsachlicher Weise vermeintliche Zusammenhänge gezogen wurden, zeigte der Präsident des Landeskriminalamts Bayern in einer Pressekonferenz zum Amoklauf eines 18-jährigen, psychisch kranken Menschen in München.

“Er war ein ausgeprägter Ego Shooter-Spieler. Er hat sich also hier mit dem Counter Strike Source sehr befasst. Das ist übrigens ein Spiel, das nahezu jeder bisher ermittelte Amokläufer gespielt hat. Und er war auch auf einer Spiele-Plattform wohl auch sehr aktiv, wo hier entsprechende Communites eben derartige Spiele spielen.“

Mit seiner Meinung ist Robert Heimberger zurzeit bei weitem nicht alleine. In allen größeren Medien wird wieder einmal ernsthaft diskutiert, ob Videospiele eine Mitschuld an Amokläufen und damit dem Tod von Unschuldigen tragen. Das Argument: Gewalt in Videospielen führe zur Senkung der Hemmschwelle, der Abtötung des Einfühlungsvermögens und zur Entmenschlichung. (Reinhard Haller im Ö1-Abendjournal vom 26.07.2016). Da man als Charakter in Videospielen oftmals Gewalt anwenden muss, um an sein Ziel zu gelangen, erhöhe das auch die Bereitschaft zu Gewalt im echten Leben, so der Vorwurf. GTA und Co. machen uns also zu empathieloseren Menschen und steigern unsere Bereitschaft, Gewalt zur Lösung von Konflikten einzusetzen.

giphy

Wieso ausgebildete Psychiater, Kriminologen und Politiker und Journalisten den Unterschied zwischen Fiktion und Realität nicht erkennen, bleibt leider unbeantwortet. Eines der vielen Paradoxa an der Diskussion zeigt die absurde Argumentationslinie derer auf, die nun zum Verbot von „Killerspielen“ aufrufen: In Österreich werden männliche Jugendliche mit österreichischer Staatsbürgerschaft ab dem 18. Lebensjahr im Präsenzdienst zum Waffendienst gerufen. Verweigern sie aus moralischen Gründen den Dienst an der Waffe, können sie alternativ dazu soziale und nützliche Aufgaben an der Gesellschaft leisten. Ziel des Grundwehrdienstes ist es grob gesagt, im Falle eines Konfliktes innerhalb eines Militärapparats zu gehorchen und Bedrohungen (Menschen) durch Einsatz von Waffengewalt zu bekämpfen. Der Grundwehrdienst besteht aus Herstellen der Überlebensfähigkeit des Soldaten im Einsatz, Ausbildung zu einer Grundfunktion in der Waffengattung und der Ausbildung im Organisationselement in der Waffengattung. Geschossen und trainiert wird mit halbautomatischen Sturmgewehren und scharfer Munition. Der Abzug einer geladenen Tötungswaffen muss also gedrückt, die Hemmschwelle, im Bedarf auf Menschen zu feuern, folglich überwunden werden. Trotzdem hört man trotz eines Folterskandals im Jahr 2004 und traumatisierten Soldaten in den USA, die Amok laufen, selten, dass der vom Staat verordnete Dienst an der Waffe einen möglichen Grund für Amokläufe und Gewaltausbrüche darstellt oder dass der Grundwehrdienst aus Jugendlichen aggressive Zeitbomben mache. Die Mehrheit der Menschen würde bei einer solchen Argumentation nur den Kopf schütteln. Wird bei einem Shooter in der virtuellen Realität eine Waffe gefeuert, sollte das laut der Meinung vieler Bürger verboten werden, da eine Gefährdung für die Gesellschaft bestehe. Eine Argument, das meistens unbegründet bleibt.

Ultrarealistisches "Killerspiel" GTA5
Realistische Szenen aus dem „Killerspiel“ GTA5

Studien zur Auswirkung von gewalttätigen Videospielen auf die tatsächliche Aggressionsbereitschaft von Menschen gibt es inzwischen zahlreiche. Diese widersprechen sich oft grundlegend. Während die einen absolut keinen Zusammenhang zwischen Videospielen und erhöhter Gewaltbereitschaft erkennen, sind sich andere sicher, dass Ego-Shooter und Co. Jugendliche zu aggressiven Individuen machen.

Die grundlegende Frage wird dabei aber oft außer Acht gelassen: Wer war zuerst da? Die Aggression oder das Videospiel?

Es wird leider immer wieder behauptet, dass Videospiele das Aggressionspotential von jugendlichen Menschen erhöhen. Aber ist es nicht so, dass Frustration und Aggressionen durch eine Vielzahl von Faktoren, wie Erziehung, dem sozialen Umfeld, Drogenmissbrauch, fehlenden Möglichkeiten zum Aggressions-Abbau und ganz generell die hormonelle und genetische Veranlagung beeinflusst werden? In einer Zeit, in der Videospiele fast schon populärer sind als das Medium Film, könnte man auch behaupten, alle bisherigen Amokläufer der letzten 10 Jahre haben dann und wann Toastbrot gegessen und nun ein Verkaufsverbot von Toastbrot fordern. Aber anstatt echte Probleme anzusprechen, Hintergründe zu beleuchten, sich gedanklich zu fordern und komplexe Sachverhalte zu begreifen, wird immer wieder nach schnellen und einfachen Lösungen und Feindbildern gesucht.
Der Verband der deutschen Computer- und Videospielbranche hat nach dem erneuten Aufkochen des Themas sachlich festgestellt:

Es ist zweifelsfrei richtig, dass labile Menschen mit gewalttätiger Neigung neben anderen Medien häufig auch Gewalt darstellende Spiele konsumieren. Dies jedoch als prägend oder ausschlaggebend für begangene Amoktaten heranzuziehen, greift zu kurz und ignoriert die damit oft verbundene psychische Erkrankung oder negative gesellschaftliche Faktoren. Gewalttaten resultieren aus dem Zusammenspiel vieler Faktoren. Gleichzeitig führt das Zusammenkommen der Faktoren bei einer anderen Person als dem Täter nicht zu einer Gewalttat. Eine Monokausalität hilft nicht. Die Nutzung von Spielen ist den Symptomen denn den Ursachen zuzurechnen.

Eigentlich hätten ja, wie bei ähnlich unfundiert geführten Debatten und Verschwörungstheorien der Vergangenheit, die Ankläger und Verschwörer die Pflicht, ihre Standpunkte sachlich zu argumentieren und ihre Erkenntnisse durch Fakten zu untermauern und sollten nicht auf den Gegenbeweis warten. Im Dienst der Aufklärung aber trotzdem: Wer selbst einmal in eine Diskussion über Videospiele und Gewalt verstrickt wird oder sein Gegenüber davon überzeugen will, dass Videospiele weder in direktem Zusammenhang mit Amokläufen stehen und dass ein Verbot von Ego-Shootern keine Gewaltprävention bedeutet, sollte gut, möglichst unemotional und sachlich argumentieren und sich selbst und seinem Gegenüber folgende Fragen stellen:

  • Sind wir Menschen alle gleich und reagieren gleich auf äußere Einflüsse?
  • Sind alle Videospiele gleich?
  • Was ist ein „Killerspiel“ bzw. gibt es auch „Killerfilme“, „Killernachrichtensendungen“, „Killerzeitungen“ oder „Killerbücher“?
  • Gibt es den Typus Mensch „Videospieler“?
  • Gibt es eine Trennung zwischen Fiktion und Realität und kann ein gesunder Mensch die Begriffe unterscheiden?
  • Gibt es einfache Lösungen auf schwierige Fragen? Wenn ja, wann und wo?
  • Gab es Amokläufe, Terror und Gewalt schon vor Videospielen?
  • Gibt es einen Zusammenhang zwischen der einfachen Erhältlichkeit von Waffen und tödlichen Auseinandersetzungen?
  • Fördern gewisse Sportarten, wie Boxen, Mixed Martial Arts, Sportschießen und Bogenschießen Aggressionen?
  • Wie könnten VR-Shooter künftig in Debatten wahrgenommen werden?
  • Dient ein Verbot von Unterhaltungsmedien (Videospiele, Filme, Comics) der Gewaltprävention?

Wie seht ihr die laufende Debatte über Ego-Shooter und Killerspiele? Sagt uns eure Meinung in den Kommentaren!

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