ArtikelKolumne

Dinge, die ich vermissen werde

Euch ist vielleicht aufgefallen, dass es dieses Woche keine neue Ausgabe von „Spiele, die ich vermisse“ gab. Dafür gibt es viele Gründe – begonnen mit einem furchtbar stressigen Wochenende, dessen größter Teil für eine CD-Aufnahme draufging. Aber natürlich hat es auch damit zu tun, dass ich mit dem Aus für unseren Verlag nicht einfach zur Tagesordnung übergehen wollte. Gibt es ein Spiel, das beschreibt, was ich fühle? Nein. Heute hat das Leben die Überhand. Deshalb ist dies mein persönlicher Abschied von einer Profession, die mich fast ein Jahrzehnt geprägt hat – aber definitiv nicht die Geschichte vom Ende einer Passion. Und das ergibt ein Sonderformat, einen persönlichen Blick in die Zukunft und die Vergangenheit – und einen Abschied, der vielleicht nicht ganz ein Ende darstellt.

Während ich recht genau datieren kann, wann meine Reise durch die Welt der Videospiele begann – und ihr habt in etlichen Blogs bereits darüber gelesen – ist es für mich gar nicht so einfach zu sagen, wann ich plante, dieses Wissen zu einer Profession auszubauen. Denn ganz ehrlich: Ich hatte nie vor gehabt, eines Tages über Videospiele zu schreiben. Ich wollte sie designen, sie selbst erschaffen. Das war der große Grund für mich, Informatik zu studieren – die Möglichkeit, wirklich Gamedesign zu lernen, gab es in Österreich nicht und als Artist bin ich (zumindest im grafischen Sinne) völlig ungeeignet, also entschied ich mich dafür, einfach ein möglichst guter Programmierer zu werden und so meinen Fuß in die Videospielwelt zu bekommen. Irgendwann setzte allerdings eine gewisse Desillusion ein: Die österreichische Videospielbranche war einfach nicht groß genug, die wirklich interessanten Projekte hätten erfordert, das Land zu verlassen (was ich aus ganz anderen Gründen niemals tun wollte). Gleichzeitig erlebte ich Anfang des neuen Jahrtausends eine gewisse Sinnkrise und erkannte, dass in mir Dinge schlummerten, die ich ausleben wollte – kreative Impulse, der Drang, mich mehr mit Musik zu beschäftigen, was gleichzeitig mit den anderen Gedanken für mich immer mehr klar machte, dass Informatik vielleicht nicht der Weg war, den ich im Leben einschlagen will. Denn wer will schon Tag für Tag in einem Büro sitzen und Datenbanken programmieren? Andere vielleicht, aber ich nicht.

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Irgendwann inmitten dieser Sinnkrise trat consol.AT in mein Leben – oder eigentlich genauer gesagt die neue Version der Webseite mit Codenamen consol.FUSION. Den Kontakt zum Magazin hatte ich durch zwei Leute: Meine damalige Freundin, die damals gerade zur Online-Redakteurin avancierte, und den Takuto vs. Fritz-Zeichner, der gleichzeitig der Videospieldealer meines Vertrauens war. Und so hörte ich, dass knapp nach dem Start der neuen Version der Webseite zusätzliche Leute gesucht werden, die sich um News kümmern wollen. Irgendwann 2004 schrieb ich also meine erste News – „Pret-a-PSP“, über ein Society-Event, das Sony in New York veranstaltete, wo zahlreiche Promis Handheld zocken durften. Viele wichtige Lektionen lernte ich in diesen ersten Jahren: Wie man richtige News schreibt, wie man mit dem bisweilen bockigen CMS klar kommt, dass man als Newsredakteur am besten niemals schläft, weil die besten Meldungen zu den unmöglichsten Zeiten aufschlagen. Tatsächlich waren es in den besten Zeiten genau zwei Leute, die die Webseite mit News fütterten – mein Kollege Christoph „Öhnsky“ und ich, getrieben vom nackten Ehrgeiz, dass uns Michi Furtenbach niemals ein Mail schicken möge, in die er Schlagzeilen von anderen Seiten reinkopiert – das würde nämlich bedeuten, dass wir etwas Wichtiges übersehen haben (oder im Umkehrschluss er übersehen hatte, dass wir die Meldung schon hatten).

Trotzdem war es ein nettes, relativ stressfreies Leben – abgesehen von den E3s, wenn man zu nächtlicher Stunde News um News rausfeuerte, sich mit den Kollegen koordinierte und versuchte, nicht einzuschlafen und dennoch sinnvolle Texte abzuliefern. Dass ich das ordentlich genug gemacht hatte, zeigte sich spätestens dann, als mir auch Artikel anvertraut wurden. Klar, dabei ging es niemals um wirklich gute Titel und in der Redaktion (zunächst im Hinterraum vom Powerplay in der Stumpergasse, später dann schon an unserer jetzigen Location) kam ich eigentlich nur vorbei, wenn Abos zu versenden waren (ja, vor langer Zeit wurden hier tatsächlich von allen Redakteuren Ettiketten geklebt!). Langsam keimte in mir doch schon Hoffnung auf: Würde es eines Tages einen Job für mich geben? Könnte das mein Brotberuf werden?

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Im Herbst 2007 war es dann soweit: Die telefonische Anfrage, ob ich einen Job haben wolle. Das Aus für Arbeit auf gelegentliche Honorarnoten (und natürlich den Zugriff auf jene Spiele, die man testen sollte). Dennoch war diese Anstellung ein gewaltiger Wendepunkt, denn wie mir erst beim Gespräch in der Redaktion klar wurde, sollte es kein Posten bei consol sein – sondern ein Job bei Gamers. Auch wenn man sich das heute nicht mehr so vorstellen kann, war das damals nämlich schon eine andere Welt, mit der ich bislang wenig zu tun hatte. Ich meine, ich hatte kein Problem mit PC-Gaming (auch wenn ich zu diesem Zeitpunkt wesentlich mehr auf Konsolen unterwegs war), aber auch wenn wir uns heute als große Familie bezeichnen würden, wurde damals noch deutlich getrennter gearbeitet und wir teilten uns quasi in zwei Sippen auf: Auf der einen Seite die consoleros – darunter Alex, Fatih, HP und Sabine – auf der anderen Gamers, die zu diesem Zeitpunkt aus Thomas, Johannes, dem Gamers-Erfinder Hannes Linsbauer und einer Heerschar von Freien bestanden.

Die Grenze war größer, als man vielleicht denkt, und umfasste nicht nur die Plattformen, um die man sich kümmerte. Ich hatte consol immer eher hierarchisch erlebt (wobei sich das stark abmildert, wenn man mal wirklich in der Redaktion sitzt – aber als externer Mitarbeiter nimmt man es schon so wahr), während Gamers von Chefredakteur Thomas in einer Form geführt, die er selbst „demokratische Diktatur“ nannte: Wir haben oft und lange über neue Ideen geredet und gemeinsam das Heft erschaffen. Gleichzeitig sorgte Hannes L. dafür, dass wir die Webseite immer ernst nahmen – tatsächlich war ein Teil meiner damaligen Jobbeschreibung „sorg dafür, dass auch dann noch etwas online geht, wenn die Hefte in der Produktion sind“.

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Denn man darf nicht vergessen: So wie die Natur einen gewissen Zyklus hinlegt und Jahreszeit auf Jahreszeit folgen lässt, tickt eine Redaktion im Beat der Hefte. Unmittelbar nach einer Abgabe plant man Specials, schreibt Retros und organisiert Testmuster; je näher die Abgabe kommt, desto mehr Zeit muss man in das Schreiben investieren und natürlich auch in die Schlusskorrektur, bei der die Seiten lektoriert und eventuelle Fehler (auch im Layout) ausgebessert werden. Da der Job „Lektor von Gamers“ auch bald zu meinen Aufgabenbereichen gehörte, war ich immer froh, wenn ich die letzte Woche nahezu für diesen Bereich freihalten konnte. Dass manchmal Testmuster Last Minute dazwischen kamen, gehörte leider dazu.

Auch wenn ich diesen Post „Dinge, die ich vermissen werde“ genannt habe, bin ich damit schon bei einer Sache, die ich definitiv nicht vermissen werde: Redakteur ist ein Job, der einen niemals loslässt. Wichtige News kommen (wie schon erwähnt) z.T. zu den unmöglichsten Zeiten, weshalb ich mir gerade mühsam abgewöhne, nicht aus Reflex mehrfach am Abend und Wochenende Newsseiten durchzuklicken. Natürlich hätten wir alle Beamte spielen und die Rollläden runterlassen können, aber das taten wir nie. Warum? Nur ein Wort: Leidenschaft. Der gesamte Verlag war von Leidenschaft für das Thema Videospiele durchströmt und auch, wenn nicht jeder am Wochenende oder am Abend News tippte, war alles, was wir taten, von dem Wunsch durchzogen, unser Bestes gegeben. Ich will nicht behaupten, dass uns das immer gelungen ist, aber ich würde uns niemals vorwerfen, dass wir nicht versucht haben, immer genau solche Hefte zu machen, die wir selbst gerne lesen würden.

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Ich glaube, wenn ich darüber nachdenke, was ich vermissen werde, wenn ich demnächst zuhause sitze und an diese Zeit zurückdenke, wird wohl ein Punkt ganz oben stehen: Unsere Redakteursfamilie. Wir mögen nicht immer einer Meinung gewesen sein, aber wir waren ein Haufen Menschen mit einem großen gemeinsamen Ziel. Es ist mir gar nicht möglich, alle aufzuzählen, aber ein paar Leute sollen nicht unerwähnt bleiben: Thomas, der immer ein offenes Ohr für alle Belange hatte, Ideen gerne annahm, auf den man sich immer verlassen konnte und selbst in der stressigsten Schlussredaktion ein Ohr für Notfälle hatte; Alex, berühmt-berüchtigt für seine Frustschreie und lautstarken Flüche aus dem Nebenzimmer (die meist mit FIFA & Co zusammenhingen), der aber (vor allem, wenn er mal nicht im Stress war) zeigte, wie wichtig es ihm wahr, dass es allen im Verlag gut ging. Michi, der uns stetig ermutigte, Experimente zu wagen und als Creative Mastermind mehr als nur einmal den richtigen Riecher bewies. HP, der nicht nur im Podcast mit eindeutig zweideutigen Kommentaren für Lacher sorgte, sondern einer der genialsten Kollegen ist, die man sich wünschen kann – trotz legendärer Text-Ausrutscher wie „Als Alien könnt ihr euren Schwanz in Augen und andere Körperöffnungen stecken“. Mischa, unser „Young George Lucas-Look-Alike“, der aus den abstrusesten Ideen und Textvorgaben ansprechende Seiten zauberte. Und natürlich Martin Schubert, der eine wahre Schreibmaschine ist und gleichzeitig dafür sorgte, dass wir niemals verhungern, und Alex „Blex“ Schuh, der vor allem im letzten Jahr, als ich mehr und mehr Aufgaben übernahm, mir zur Seite stand, damit ich nicht endgültig durchdrehen musste. Letztes Jahr ist auch ein gutes Stichwort, denn leider mussten uns im Laufe der Zeit (und vor allem eben im letzten Jahr) auch einige Mitarbeiter verlassen, die ich sehr geschätzt habe: Angefangen von Fatih, der auszog, um eigene Spiele zu entwickeln (und mir seitdem ein wenig ein Warnzeichen ist, das doch nicht selbst zu versuchen), über Johannes „Benzin im Blut“ Posch, der manchmal für Tage mit Rennspielen (oder neuer Hardware) verbrachte, und natürlich last aber überhaupt nicht least „meine“ Silvia, die mir niemals auskommen wird – der Hochzeitstermin ist immerhin schon fixiert. Das ist wenigstens ein Fixpunkt: Auch, wenn sicher klar ist (oder wir uns zumindest einreden), dass wir uns nicht vollständig aus den Augen verlieren werden, ist die Zeit der engen Zusammenarbeit vorbei. Denn wohin es uns verschlägt, kann niemand sagen.

Was ich noch vermissen werde? Die Möglichkeit, etliche Spiele vorab anzuspielen und Designer zu treffen, deren Spiele meine Kindheit geprägt haben. In dieser Hinsicht waren meine Highlights sicherlich meine zahlreichen Zusammentreffen mit den diversen Final Fantasy-Designern und das Interview mit Ron „Monkey Island“ Gilbert. Einige hab ich hingegen nicht geschafft – Sid Meier wäre zum Beispiel noch ein echter Höhepunkt gewesen. Naja, man kann nicht alles haben. Übrigens bin ich wohl der einzige von uns, der nie einen Trip nach Übersee angetreten hat – England war das weiteste der Gefühle. Warum? Vermutlich hab ich mir die falschen Spiele ausgesucht, um die ich mich kümmerte. Aber das störte mich nicht. Ich sehe mich eher als Schreibtischtäter, als Lexikon im Hintergrund, der Hintergrundarbeit machte, damit andere glänzen können. Oder denkt ihr, die News schreiben sich von selbst? Eben. Aber auch die Communityhighlights von den Kino-Events bis zu den leider viel zu früh ausgelaufenen Award-Veranstaltungen werden mir immer in Erinnerung bleiben.

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An diesem Punkt möchte ich meinen Wortschwall allerdings ein wenig bremsen: Es gibt viele Dinge, die ich an diesem Job vermissen werde, aber die wichtigsten Punkte sind noch genannt. Es gibt auch Dinge, die ich nicht vermissen werde, aber ganz ehrlich, über diese breite ich den Mantel des Schweigens, denn trotz einiger Minuspunkte und dem plötzlichen Ende war es gesamt gesehen eine gute Zeit. Wohin es mich jetzt verschlägt? Das weiß ich noch nicht. Ich werde allerdings wohl nicht in der Branche bleiben – wie viele Videospielredaktionen gibt es denn noch in Österreich? Und wer davon ist bereit, ein Gehalt zu zahlen, von dem man leben kann? Eben. Außerdem habe ich das Gefühl, es ist Zeit für eine Veränderung und wieder zum Hobby-Spieler zu werden: Vielleicht erfülle ich mir ja auch jetzt wirklich den Wunsch, die Seiten zu wechseln und in die Spieleentwicklung zu gehen (wenngleich auch hier die Chancen in Österreich nicht so gut stehen); vielleicht wende ich mich meinem zweiten Hobby zu und suche mir was im Theater-Business – oder ich schreibe endlich mein Musical fertig. Wer weiß das schon so genau – und ich habe ja Zeit darüber nachzudenken.

In diesem Sinne sage ich: Danke an alle meine Kollegen für eine wunderbare Zeit. Danke an die Community, die uns immer unterstützt hat (oder manchmal auch heftig kritisiert). Und danke an alle, die uns (und mich) so lange lesen wollten. Es hat Spaß gemacht, aber es ist vorbei. Das heißt – nicht ganz: „Spiele, die ich vermisse“ wird nicht sterben, sondern hier weiterleben. Ich freue mich darauf, wenn wir uns in Zukunft noch lesen und unsere Meinung über die Vergangenheit austauschen können. Bis dann!

Florian Scherz

Bereits früh entwickelte Florian zwei große Leidenschaften: Videospiele und Theater. Ersteres brachte ihn zu einem Informatikstudium und zu Jobs bei consol.MEDIA und Cliffhanger Productions; zweiteres lässt ihn heute (unter anderem) als Schauspieler, Regisseur, Komponist und Lichtdesigner arbeiten. Wenn er gerade keine Musicals inszeniert, spielt oder schreibt, vermisst er auf Shock2 Videospiele von anno dazumal in seiner Blog-Reihe "Spiele, die ich vermisse".

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