Asterix Review Special (25): Der große Graben
5. November 1977. Als er von einer Reise in die Provinz nach Hause zurückkehrt, findet Albert Uderzo Ada in Tränen aufgelöst. René ist tot. Es ist furchtbar und kommt völlig unerwartet.
„Der Schock war entsetzlich. Sprachlos und keiner Gedanken fähig, schloß ich mich mit meinem Schmerz und meiner Trauer ein. Meine Frau und meine Tochter hielten die Journalisten von mir fern, die etwas über meine Reaktion und Gefühle erfahren wollten. Einige wollten unbedingt eine Zeichnung vom tränenumflorten Asterix auf der Titelseite bringen. War nicht Micky Maus einige Jahre zuvor das Vorbild? Aber diesmal mochte ich Mickys Beispiel nicht folgen.“ (1) so schreibt Albert Uderzo in „Uderzo – Der weite Weg zu Asterix“ über den Tod seines Freundes.
Nun, nach dem Tod seines besten Freundes und Wegbegleiters stellt sich Uderzo die Frage: „Welche Zukunft hat ein Wesen, das zwei Schöpfer hat und achtzehn Jahre lang durch ihre gegenseitige Inspiration existiert, wenn einer der beiden plötzlich stirbt? Die Gerüchte machen schnell die Runde. Auch Asterix ist tot! Die Leser lehnen sich schnell dagegen auf. Viele schreiben an Albert Uderzo und ermutigen ihn, weiterzumachen.“ (2)
Und Albert fällte eine Entscheidung: „Ich hatte weder das Alter noch die Absicht, mich zurückzuziehen, obwohl es mir meine Einkünfte erlaubt hätten. Die freundlichen Briefe, die ich erhielt, machten mich betroffen. Immer mehr kam ich zur Einsicht, dass ich Asterix nicht fallenlassen durfte.“ (3)
Doch wie sollte es weitergehen? Immerhin hat René Goscinny 18 Jahre lang die Abenteuer von Asterix geschrieben und Uderzo „nur“ gezeichnet. Die Antwort war so simpel wie naheliegend. Es kam nicht infrage, einen befreundeten Texter zu fragen. Immerhin wollte Uderzo, dass Asterix der bleibt, der er immer war. Das würde sich aber ändern, sobald jemand von „außerhalb“ diese Arbeit übernimmt. Und so stand es fest. Albert entschied sich, ab sofort als Texter und Zeichner für Asterix tätig zu werden. Und wieso auch nicht. Immerhin hatte Uderzo bereits zu Beginn seiner Karriere Texte geschrieben und diverse Asterix-Kurzgeschichten (mit der Zustimmung von René) in Eigenregie verfasst, welche dann in Pilote veröffentlicht wurden (ein Beispiel hierfür wäre die Kurzgeschichte „Gallischer Frühling“). Im September 1979 gründete er, nachdem er sich von Dargaud lossagte, seine eigene Firma „Les Editions Albert René“ um fortan Asterix im Eigenverlag zu veröffentlichen.
Im Januar 1980 beginnt Uderzo mit der Arbeit an „Le Grande Fosse“. Dies wird der erste Band im eigenen Verlag und unter seiner alleinigen Regie sein, und so gibt es einige Änderungen. Schon auf dem Titel sind die Namen der beiden geistigen Väter wesentlich deutlicher akzentuiert. Hinzu kommt das neue Verlagslogo mit dem Asterix-Kopf. Uderzos Titelbildgestaltung mit dem dominanten Titelhelden im Arrangement mit dem Schattenbild im Hintergrund vor dem stilisierten Vollmond und der Schrift sowie dem Asterix-Schriftzug machen küren dieses Titelbild zu einem der Schönsten in der gesamten Reihe. Außerdem gibt es drei weitere feste Größen, die nun eine kaum merkliche Neugestaltung erfahren haben. Neben der Landkarte von Gallien und der Vorstellung der wichtigsten Helden überarbeitet Uderzo auch die Vignette auf der Rückseite, welche ab sofort neben Asterix und Obelix, auch Idefix zeigt. Der hier ebenfalls erstmals unbeschriebene Hinkelstein (vorher wurden hier die bisherigen Alben aufgelistet) symbolisiert Uderzos Neuanfang im Alter von 52 Jahren.
Mit viel Energie und Freude arbeitet Uderzo fast ein halbes Jahr an dem neuesten Abenteuer und veröffentlicht es am 12. Juni 1980 in Frankreich. Innerhalb weniger Monate sind über zwei Millionen Alben verkauft und der Zuspruch ist überwältigend. Auch in Deutschland startet der Ehapa Verlag die erste Auflage von „Der Große Graben“ mit einer Auflage von 2,4 Millionen Exemplaren am 2. September 1980. Die Fans weltweit sind begeistert und geben Uderzo in seiner Entscheidung recht.
Asterix ist nicht tot!
Der große Graben
[Egmont, September 1980]
Ein kleines Dorf mitten in Gallien, ähnlich dem, in welchem Asterix und Obelix leben. Doch anders als in dem uns bekannten gallischen Dörfchen zieht sich hier ein großer und breiter Graben quer durch das Dorf. Der Grund ist die Feindschaft zwischen den zwei Häuptlingen Griesgramix und Grobianix, die sich nicht darüber einig werden, wer der Häuptling über das gesamte Dorf werden soll. Diese Feindschaft führt inzwischen so weit, dass es täglich Kämpfe zwischen den zwei Dorfparteien gibt, welche jedoch immer unentschieden ausgehen. Selbst die innige Liebe der beiden Häuptlingskinder, Grünix und Grienoline, kann daran nichts ändern. Als Grobianix den Verrat seiner Tochter entdeckt, schickt er seinen Lakaien Greulix in das benachbarte römische Lager, um mit deren Hilfe das gesamte Dorf zu erobern. Doch Greulix hat seine eigenen Pläne und so schickt Griesgramix seinen Sohn Grünix los, um Hilfe bei seinem Freund Majestix zu suchen. Sofort machen sich Asterix, Obelix mit seinem treuen Hund Idefix und Miraculix auf den Weg …
Zuerst fällt natürlich die Ähnlichkeit zu Shakespeares Romeo und Julia auf. Hier hat sich Uderzo ganz frech bedient, und dennoch seine eigene gallische Romanze daraus gestrickt und bietet außerdem, im Gegensatz zu Shakespeare, ein glückliches Ende. Zudem erweitert er seine Geschichte mit märchenhaften Elementen der Gebrüder Grimm oder auch literarischen Klassikern, wie Gullivers Reisen.
Doch Uderzo verliert sich nicht nur in romantischen Märchenfloskeln. Seine Darstellung des geteilten gallischen Dorfes erinnert nicht umsonst an das damals zweigeteilte Deutschland. Uderzo selbst sagte dazu: „Die Idee dazu kam mir durch die Mauer in Berlin, aber in Deutschland hat das niemand bemerkt. Ich fand dieses Thema interessant und dachte: ,Ich werde keine Mauer sondern einen Graben machen, um das Dorf in zwei Hälften zu teilen, ohne politisch Partei zu ergreifen.‘ Der Titel sprach jeden an: Dargaud glaubte, es wäre der große Graben zwischen ihnen und mir, die Belgier sahen darin das Problem zwischen Flamen und Wallonen und deren Sprachprobleme. Nur die Deutschen, die haben mir dazu nie etwas gesagt.“
Eine eigentlich seltsame Situation, vor allem wenn man bedenkt, dass nur in der deutschen Fassung dieses Bandes, sämtliche Namen der Figuren aus dem zweigeteilten Dorf mit einem „G“ anfangen. Ein „G“ wie in Germany vielleicht?
Auch optisch ließ sich Uderzo wieder einmal aus allen Bereichen inspirieren. Sei es die Kussszene vor dem malerischen Vollmond zwischen Grünix und Grienoline in Anlehnung an Shakespeares Romeo und Julia, oder Grienolines Amme, die mit ihrer Spindel an Dornröschen der Gebrüder Grimm erinnert. Ebenso märchenhaft mutet Grünix Abschied aus dem geteilten Dorf an, welches ihm das Abbild seiner Liebsten aus den Kaminen der Häuser im Dorf zaubert.
Bei der Vorstellung von Grobianix orientiert sich Uderzo an einem Gemälde des französischen Königs Ludwig XIV, dem Sonnenkönig, des zeitgenössischen Malers Hyacinthe Rigaud.
Und wo ich gerade dabei bin, mich den Häuptlingen zu widmen, sei kurz erwähnt, dass zu Beginn der Geschichte Grobianix längs gestreifte Hosen trägt, während Griesgramix mit quer gestreiftem Beinkleid umherläuft. Am Ende jedoch tragen beide karierte Hosen. Ausgenommen von dieser Kleiderordnung sind von Beginn ab die Frauen und Kinder des Dorfes. Oder will Uderzo hier die überlegene Menschlichkeit und Klugheit derer symbolisieren?
Zuletzt wäre noch zu erwähnen, dass sämtliche Bewohner des Dorfes ein gewohntes gallisches Aussehen haben. Einzig Greulix ziert eine vollkommen andere Gestaltung. Entsprechend seinem Charakter und den Bezeichnungen (er wird unter anderem als „Bückling“, „Flussfisch“ und auch „Alte Gräte“ bezeichnet), welche ihm in diesem Band immer wieder entgegengebracht werden, erhielt Greulix einen sinnbildlichen „Heringskopf“ und wurde in einen schuppenähnlichen Wams gekleidet.
Uderzos Neustart unter nicht ganz so idealen Voraussetzungen ist ein voller Erfolg. Zwar ist die Geschichte nicht mehr ganz so tiefsinnig wie noch unter René Goscinny, aber sie gibt ihr Bestes um die Tradition fortzusetzen und liefert dabei ein unterhaltsames Abenteuer, das sowohl mit Humor als auch den bekannten zeitgenössischen Anspielungen punkten kann.
(1) Zitat aus „Uderzo – Der weite Weg zu Asterix“ – Seite 173
(2) & (3) Zitate aus „Uderzo – Der weite Weg zu Asterix“ – Seite 239
Copyright aller verwendeten Bilder © 1980-2015 Les Edition Albert/René / Egmont