ArtikelComic-ReviewComicsHighlightNews

Asterix Review Special (19): Der Seher

Pilote Nummer 652 vom 4. Mai 1972

Schon auf dem Titelbild der 652. Ausgabe des Pilote vom 4. Mai 1972 kündigt sich Bedrohliches an. Asterix steht selbstsicher im Vordergrund, während ein unheilvoller Schatten die restlichen Dorfbewohner in Angst und Schrecken versetzt. In den Grundzügen wird dieses Bild auch später für die Albumveröffentlichung verwendet, wobei jedoch Asterix in voller Größe auftrumpfen darf und der Schatten seine Schraffuren verliert und einem vollflächig grünen Schatten weicht. Einzig die Dorfbewohner sind gleich geblieben und wurden lediglich gespiegelt und neu koloriert. Le Devin, so der originale Titel, wird noch im selben Jahr von Dargaud als 19. Album der Reihe veröffentlicht.

Das neu gestaltete Motiv als Cover der ersten Albumveröffentlichung.

Hauptfigur, neben den gallischen Helden, ist der Seher Lügfix, der im französischen Original auf den Namen Prolix hört. Dies ist abgeleitet vom Französischen prolixe, was soviel wie weitschweifig bedeutet und die Figur auch sehr treffend beschreibt. Aber auch der deutsche Name ist Progamm, wenngleich auch weniger subtil, als das Original. In diesem neuen Abenteuer spielt sich die Handlung vorwiegend im Dorf ab, wobei im Dorf hier nicht wortwörtlich zu nehmen ist. Weite Reisen gibt es dieses Mal auf jeden Fall nicht. Die Handlung dürfte dem einen oder anderen bereits aus dem Film Asterix: Operation Hinkelstein bekannt vorkommen, diente doch Der Seher als direkte Vorlage hierfür. Allerdings wurde, wie schon mehrfach, ein weiterer Band hinzugenommen um eine abendfüllende Handlung zu erhalten. Dies erreicht man indem eine dramaturgische Mischung aus Der Seher und Kampf der Häuptlinge erzeugt wurde.

Oben: Original
Unten: Kopie (irgendwie auf jeden Fall)

Bevor es zum eigentlichen Review kommt, möchte ich den Blick, wie gewohnt auf ein paar Besonderheiten lenken. So gibt es eine kunstvolle Anspielung auf das Gemälde Die Anatomie des Dr. Nicolaes Tulp (1932), des holländischen Malers Rembrand. Albert Uderzo schafft fast eine 1:1-Kopie des Bildes mit seinen gallischen Protagonisten. Und noch eine Kleinigkeit, die direkt mit Uderzo verknüpft ist, wird in diesem Abenteuer dargestellt. So zeigt Uderzo ein Bild seines, zur damaligen gebauten, Landhauses voller Stolz und mit einem Augenzwinkern auf die drohende zukünftige Gesellschaft. Denn nicht nur in diesem Band spielen Seher und Weissager eine große Rolle. Allgemein galten Weissagungen zur damaligen Zeit als sehr wertvoll, ähnlich dem strategischen Wissen in Kriegszeiten. Immerhin versprach man sich von solchen Voraussagungen einen gewissen Vorteil. Das erkannte auch der griechische Geschichtsschreiber Diodorus Sicilius (lebte um 80 bis 29. v. Chr.) der die hohe Stellung der Propheten, auch wenn deren Mittel und Grundlagen uns merkwürdig erscheinen, wie die Weissagungen aus dem Vogelflug oder der Opferschau (das Lesen von toten Tieren und deren Innereien), für die Nachwelt niederschrieb.

Die Arbeitsweise und Ergebnisse der Seher.

In Deutschland erschien Der Seher, zum ersten Mal in MV Comix Nr. 21/72 bis 8/73 als Vorabdruck und am 4. März 1975 als XIX. Großer Asterix-Band bei Ehapa. IM März 2013 wurde dem Cover ein Facelifting verordnet, welches aber nur minimal ausfiel, im Vergleich zu anderen Bänden, und die Koloration sowie das Lettering wurden überarbeitet und geringfügige Korrekturen am Text vorgenommen, welche aber nur auffallen, wenn man mehrere Versionen zum Vergleich vorliegen hat. Siehe hierzu auch der Artikel zum Vergleich von der Neuauflage mit einer früheren Version.

Der Seher (Egmont, März 1975)

Ein Gewitter zwingt die unbeugsamen Gallier in die Knie und ausgerechnet jetzt ist der Druide Miraculix im Karnutenwald zum jährlichen Druidentreffen. Alle sind hysterisch, nur Asterix bleibt ruhig. Da kommt er vermeintliche Seher Lügfix gerade recht, um den Galliern das Blaue vom Himmel zu versprechen. Er verspricht den Frauen erfolgreiche Männer, Troubadix eine glorreiche Gesangskarriere und den Männern wirtschaftlichen und privaten Erfolg. Nur Asterix ist vor den Lügen gefeit und verjagt den Unhold aus dem Dorf. Glaubt er zumindest. Denn Lügfix lässt sich Wald nieder und spinnt dort seine Intrigen weiter. Auch dann noch, als er von den Römern erwischt wird, die seinen Einfluss auf die Gallier gnadenlos ausnutzen wollen …

Original Filmplakat zu „Asterix – Operation Hinkelstein“ von 1989.

Wie bereits erwähnt, dürfte die Handlung in ihren Grundzügen vielen durch Operation Hinkelstein bekannt sein. Witzig hieran ist auf jeden Fall noch, dass mich mit diesem Film sehr viel verbindet. War er doch die erste direkte Berührung mit Asterix nach der Maueröffnung. Als sich am 9. November 1989 die Grenzen zu Westdeutschland öffneten und wir, respektive ich, mit meinen Eltern, erstmals den „goldenen Westen“ betraten und an den Kinos die Plakate zu besagtem Film sah. Seitdem ist meine Verbundenheit mit dem kleinen Gallier stetig gewachsen, aber dies nur nebenbei. Denn auch so findet sich in der Handlung viel Außergewöhnliches wieder. Zum ersten Mal dürfen auch die Frauen von dem sagenumwobenen Zaubertrank kosten und geben dementsprechend gleich ein paar Bemerkungen dazu ab. Diese reichen von „Ich hätte etwas mehr Salz dazugegeben …“ bis zu „Macht Zaubertrank eigentlich dick?“ und zeigen, dass die gallischen Damen ganz andere Prioritäten setzen als die Herren der Zunft. Allerdings gibt es auch Dinge, die in der deutschen Fassung exklusiv sind. So wird zum Beispiel auf Seite 2, Zeile 2, Panel 1 die Schutzgöttin des Rheins, Bonna, welche hier die Nummer 53 trägt, erwähnt. Diese ist allerdings eine reine Erfindung der Ãœbersetzerin Gudrun Penndorf und beruht auf der Postleitzahl von Bonn 5300 (vor der Umstellung der Postleitzahlen auf fünf Stellen) und ist im Original so nicht zu finden. Auch hier gibt es wieder eine nette Anekdote die eine direkte Beziehung zu mir, bzw. meinem Wohnort herstellt. Wie bereits erwähnt bin ich ein gebürtiger Ostdeutscher und mein Wohn- und Geburtsort ist die Klassikerstadt Weimar, in der ich noch immer lebe, und die vor allem für Goethe und Schiller bekannt ist. Weimar hatte in der DDR ebenfalls die Postleitzahl 5300, wie auch der Regierungssitz Bonn in der Bundesrepublik. Nur um das Original nochmals zu erwähnen, möchte ich an dieser Stelle darauf hinweisen, dass an besagter Stelle die Schutzgöttin der Seine, Sequana, erwähnt, welche die Nummer 75 trägt, was der Departmentsnummer von Paris entspricht.

Frauen reagieren doch ein bisschen anders auf den Zaubertrank.

Grafisch zieht Albert Uderzo wieder alle seine Register des Könnens und arbeitet erstmals auch mit einer Fotomontage, wenngleich auch nur in einem Panel, welches eine drohende Weissagung zeigt und Hochhäuser samt Kränen in dicht besiedeltem Gebiet zeigt. Besonders auffällig ist in diesem Band, zumindest in meinen Augen, die sehr deutliche Mimik, welche Uderzo verwendet. Oftmals exzessiv überzeichnet, sehr dramatisch, aber auch sehr plakativ und eindeutig, zeigt und sagt Uderzo, was seine Figuren denken und tun. So kann man sehr viel der Handlung und der Emotionen, alleine an den Gesichtszügen der Figuren ablesen. Gerade Lügfix ruft bei mir gewisse Erinnerungen an die Grimassen von Jim Carrey hervor, der ebenfalls so überdeutlich seine Gesichtsmuskeln nutzen konnte. Allerdings ist Carrey zu dieser Zeit gerade einmal 10 Jahre alt und von seiner späteren Glanzzeit noch meilenweit entfernt. Dennoch ist es erstaunlich, welche weissagerischen Kräfte Uderzo hier an den Tag gelegt hat, um nur mal bei dem Thema zu bleiben. Auch sonst ist Der Seher eine visuelle Pracht. Man sieht, dass Uderzo viele Jahre zeit hatte, seinen Stil an die gallischen Abenteuer anzupassen (oder auch umgekehrt, wenn man es so will) und somit etwas Eigenständiges geschaffen hat, was unverwechselbar geworden ist.

Der Seher sieht, weissagt und …
… manipuliert.

Der Seher ist, nicht nur für mich, ein ganz besonderes Abenteuer mit viel Witz und Charme, einem tiefgründigen Humor, sehr viel Weisheit aus dem Leben und noch viel mehr Hilfe für das Leben. Goscinny und Uderzo machen dem Leser klar, was es heißt auf sich selbst zu vertrauen, ein gesundes Misstrauen an den Tag zu legen, ohne dabei zu übervorsichtig zu sein, und packen das Ganze noch in ein unterhaltsames Abenteuer zum immer-wieder-lesen.

… Schnäuzelchen …

Copyright aller verwendeten Bilder © 1972-2014 Les Edition Albert/René Goscinny/Uderzo / Egmont

Ähnliche Artikel

Überprüfen Sie auch
Schließen
Schaltfläche "Zurück zum Anfang"